Eine Million Messerstiche gegen Israel

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Manfred Gerstenfeld ist ein Publizist und ehemaliger Vorsitzender des Präsidiums des Jerusalem Center for Public Affairs. Foto Screenshot Youtube
Manfred Gerstenfeld ist ein Publizist und ehemaliger Vorsitzender des Präsidiums des Jerusalem Center for Public Affairs. Foto Screenshot Youtube
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Ist schon die Erforschung des Antisemitismus etwas, dem sich weltweit nur wenige Spezialisten widmen, so ist die Wissenschaft davon, wie man den Hass auf Israel und die Juden bekämpfen kann, noch gar nicht oder kaum entwickelt. Den vielleicht wichtigsten Beitrag dazu liefert Manfred Gerstenfeld in seinem 2015 erschienenen Buch The War of a Million Cuts, das man seit kurzem auch kostenlos als PDF-Dokument herunterladen kann.

Es gibt Katastrophen und Plagen, die immer wiederkehren. Es gab sie in der Geschichte, es gibt sie in der Gegenwart, und es wird sie in der Zukunft geben. Den Menschen zeichnet aus, dass er wiederkehrende Muster erkennen und Vorsorge treffen kann. Weil es immer wieder Brände gibt, existiert eine Feuerwehr. Sie kann den Brand, wenn nicht verhindern, so doch eindämmen und löschen. Der Erfolg hängt massgeblich davon ab, wie gut sie vorbereitet ist; es bedarf einer ausgebildeten und ausgerüsteten Mannschaft, die schnell zur Stelle ist, weiss, was zu tun ist, und es dann auch tut. Das erfordert Wissen über physikalische Zusammenhänge, nötig sind aber auch Kenntnisse und Fertigkeiten, die durch Erfahrung im Umgang mit Bränden gewonnen wurden. Aus Erfolgen und Fehlern kann man gleichermassen lernen – was funktioniert und was nicht.

Das gilt auch für die Bekämpfung von Antisemitismus. Der Hass auf Israel und die Juden ist zwar weder ein Unfall noch eine Naturkatastrophe. Er gleicht beidem aber insofern, als man mit Bestimmtheit sagen kann, dass es ihn morgen und in hundert Jahren noch geben wird. Es gibt also keine Rechtfertigung dafür, ständig unvorbereitet zu sein und sich auf dem falschen Fuss erwischen zu lassen. Vielmehr gilt es, Strategien zu entwickeln, die Praxis zu professionalisieren und diese durch Bewertung von Erfolgen und Misserfolgen immer weiter zu verbessern. Das aber geschieht kaum; stattdessen sind es die Israelhasser, die – finanziell oft gut ausgestattet – planvoll und koordiniert vorgehen. In Parlamenten, in der UNO, in der Presse, an Universitäten und über NGOs führen sie Kampagnen zur Dämonisierung Israels.

Der Widerstand dagegen ist oft unorganisiert, muss meist ohne nennenswerte Ressourcen auskommen und wird vor allem getragen vom persönlichen Einsatz Einzelner. Manfred Gerstenfeld, einer der profiliertesten Antisemitismusforscher der Gegenwart, fordert demgegenüber, die israelische Regierung solle eine professionelle und finanziell gut ausgestattete Organisation aufbauen. Erst wenn der israelische Staat eine Organisationsstruktur habe, um den ihm aufgezwungenen Propagandakrieg zu führen, die Operationsweise des Gegners genau verstehe und eigene Leute und Unterstützer ausbilde, könne er die Schlacht gegen die Delegitimation effizient führen. Weiterhin »improvisiert« auf Propagandaangriffe zu reagieren, sei zu wenig.

Strategien für die Gegenwart

Solange Israel noch nicht über eine solche Infrastruktur verfüge, müsse es zumindest seine Diplomaten in der Analyse antiisraelischer Vorträge und Artikel trainieren. »Sie sollten verstehen, wie man falsche Argumente erkennt und sie blossstellt«, rät Gerstenfeld. »Erst dann können sie effektiv auf Lügen reagieren, die über Israel verbreitet werden – und auf Trugschlüsse, die viel schwieriger zu durchschauen sind. Sie sollten ausgebildet werden, professioneller mit Dingen wie dem Messen mit zweierlei Mass, falschen moralischen Äquivalenzen, falschen Schuldzuweisungen und Gefühlsappellen umzugehen.«

Israels Feinde, so Gerstenfeld, benutzten viele verschiedene Techniken, um Israel zu delegitimieren. In gleicher Weise müsse man, wenn man einmal ein antisemitisches Ziel ausgemacht habe, dieses mit möglichst vielen (legalen) Mitteln angreifen. Das aber geschehe bislang oft nicht: »Grosse Aktionen im Kampf gegen den Propagandakrieg werden oft ad hoc unternommen.« Ein Beispiel dafür sei der erfolgreiche Einsatz des israelischen Aussenministeriums gegen die antisemitische Durban-II-Konferenz im Frühjahr 2009. »Die Schwäche einer solchen Herangehensweise wurde offensichtlich, als Israel [im September 2009] von der Veröffentlichung des karikaturesken Goldstone-Berichts überrumpelt wurde. Dies zeigte wieder einmal, dass man nicht auf Ereignisse vorbereitet sein kann, wenn man nicht über eine strategische Infrastruktur verfügt, um sich um auftauchende Probleme zu kümmern, die von antiisraelischer Propaganda verursacht werden.«

Angriff ist die beste Verteidigung

Israel habe im Propagandakrieg gegenüber seinen Feinden einen strukturellen Vorteil: »Die ideologische und tatsächliche Kriminalität führender politischer und anderer Organe in der palästinensischen Gesellschaft ist so gross, dass man nur Licht auf sie werfen muss, um ein Gegengewicht zu den antiisraelischen Hetzkampagnen zu bilden … Es ist nicht nötig zu übertreiben, die palästinensische Wirklichkeit ist schlimm genug.«

Die antiisraelische Hetze, die die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) etwa in den von ihr kontrollierten Medien, in Schulen oder bei Sportveranstaltungen betreibe, müsse so umfassend wie möglich bekannt gemacht werden. »Es muss herausgestellt werden, wie die PA die Mörder von Zivilisten verherrlicht.« Die Website Palestinian Media Watch biete hierzu viele Informationen. Indirekt könne bei diesem Thema die Heuchelei vieler westlicher Regierungen angeprangert werden. Auch die politischen Führer in Israel müssten sich fragen, wie sie es hätten zulassen können, dass die Palästinenser und ihre Verbündeten damit Erfolg haben, sich als etwas »radikal anderes« zu präsentieren als »die vielen Schurken in anderen arabischen Ländern«.

Der »falsch benannte Arabische Frühling«, so Gerstenfeld, gebe Israel »ausgiebig Gelegenheit dazu, in die Offensive zu gehen«: »Die gegenwärtigen oder kürzlich verübten Massenmorde und Gräueltaten an verschiedenen Gruppen in Libyen, Syrien und dem Irak bieten nahezu unerschöpfliches Material. Dazu kann man noch andere muslimische Länder rechnen, wo Gräueltaten an der Tagesordnung sind, wenn auch die Zahlen geringer ausfallen, etwa Pakistan, Afghanistan, Somalia, der Jemen, Algerien, Tunesien, Ägypten und der Libanon. Man könnte hinzufügen, dass eine Auswahl dieser brutalen Verbrechen wahrscheinlich ein guter Indikator dafür ist, was die arabischen Staaten und ihre palästinensischen Verbündeten den Juden angetan hätten, wenn sie in Israels Unabhängigkeitskrieg 1948 oder späteren Schlachten erfolgreich gewesen wären.«

»Verbaler Vegetarismus«

Israel, so Gerstenfeld, kämpfe im Propagandakrieg immer nur »mit einer Hand«, die andere sei »hinter dem Rücken gefesselt«. So hätten Israels Regierungen beispielsweise immer nur widerwillig die Position gestützt, dass Jordanien – das Ostpalästina des britischen Mandatsgebiets – der erste palästinensische Staat ist, obwohl dies bei den Verhandlungen über die Gründung eines zweiten und dritten palästinensischen Staates nützlich sein könnte. »Die israelische Methode, Propaganda nur mit einer hinter dem Rücken gefesselten Hand zu bekämpfen, könnte man als ›verbalen Vegetarismus‹ bezeichnen. Das passt in eine grosse, Jahrtausende alte jüdische Strömung der masochistischen Selbstanklage. Eines der weitreichendsten Beispiele in diesem Jahrhundert war die ungerechtfertigte israelische Entschuldigung für die Tötung von Muhammad al-Dura zu Beginn der zweiten Intifada. Es dauerte 13 Jahre, ehe Israel erklärte, dass es den Jungen gar nicht getötet hatte.«

»Stelle einige wenige bloss, erteile vielen eine Lektion«

Israel könne nicht alle seine Feinde gleichzeitig bekämpfen, so Gerstenfeld, aber das sei auch nicht notwendig. Stattdessen solle man einige wenige, die Lügen gegen Israel verbreiten, blossstellen, vorzugsweise solche Journalisten, Zeitungen, Politiker, NGOs, Kirchenführer und Akademiker, die einigermassen bekannt seien. Wichtig sei es, vorab sicher zu sein, die jeweilige Auseinandersetzung zu gewinnen. »Die Betonung sollte auf der Offensive liegen, ohne die Defensive aber zu vernachlässigen.« Von Bedeutung sei es zudem, nicht nur Institutionen anzugreifen, die Hetze gegen Israel verbreiten, sondern auch die dafür verantwortlichen Personen.

Zeit und Ressourcen effizient nutzen

Da Israel ein kleines Land ist und es nur relativ wenige Juden gibt, müssten die Ressourcen Zeit und Geld sehr effizient genutzt werden. »Hat man Kontakt zu einem Parlamentarier, dann ist die Zeit viel besser investiert, wenn man ihn davon überzeugt, einem antiisraelischen Minister eine peinliche Frage zu stellen, als einen Leserbrief zu schreiben, der oft nicht veröffentlicht wird.« Hier sei Kreativität gefragt, um überraschende Taktiken zu finden. Als Beispiel nennt Gerstenfeld einen Fall aus dem Juli 2006. Damals hätten über tausend amerikanische Professoren einen offenen Brief unterschrieben, in dem Israels angebliche »Aggression im Libanon und in Gaza« verurteilt worden sei. Darunter habe jemand die Unterschrift gesetzt: »Mr. H. Nasrallah, Joseph-Goebbels-Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der Duke University«. »Mit einer Unterschrift konnte er die Taten aller anderen lächerlich machen«, so Gerstenfeld.

Verbündete mobilisieren

Gerstenfeld nennt mehrere Beispiele von antiisraelischen Boykottversuchen, etwa an Universitäten. Durch die Mobilisierung von Verbänden und Individuen – bis hin zum amerikanischen Botschafter –, die sich öffentlich gegen Boykotte aussprachen, seien mehrere solcher Bestrebungen vereitelt worden, was wiederum andere abschrecke, das Gleiche zu tun.

»Gewinne einstreichen«

Erfolge gegen antiisraelische Hetze müssten auch als solche herausgestellt und publik gemacht werden – etwa jedes Mal dann, wenn wieder ein versuchter Boykott von Israel und Israelis gescheitert ist. »Dies ist eine weitere Art, die Ergebnisse zu maximieren, wenn man gegen seinen Gegner einen Sieg erzielt hat. Es gehört auch zu dem bereits erwähnten Prinzip, dass viele Leute – darunter Israels Widersacher – Feiglinge sind. Darum ist es wichtig, dass ihnen klar wird, dass es beim Einsatz für antiisraelische Hetze ein Risiko gibt.«

Die Wahrheit wiederholen

Goethe sagte einst: »Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse. In Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum oben auf, und es ist ihm wohl und behaglich, im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist.« Im Kampf gegen die antiisraelische Lügenkampagne wird die Wahrheit zu selten wiederholt. Dafür nennt Gerstenfeld Beispiele. Benjamin Netanjahu wies vor der UN-Generalversammlung 2014 darauf hin, dass viele der Länder, die sich für einen Kampf gegen den IS einsetzen, nicht die Hamas bekämpfen wollen, obwohl beide »zwei Äste desselben Baums« seien. Leider, so Gerstenfeld, seien Netanjahus Worte damals weitgehend ungehört verhallt, weil Israel keinen Apparat habe, der sie aufgreife und weiterverbreite.

Das gelte für vieles, was der israelische Premierminister sage. Im Oktober 2014 etwa hatte das amerikanische State Department mal wieder einen seiner Angriffe auf den »Siedlungsbau« in Ost-Jerusalem geritten, weil dieser angeblich die »Chancen auf Frieden gefährdet«. Netanjahu sagte: »Ich habe eine Behauptung gehört, wonach unsere Bautätigkeit in jüdischen Vierteln in Jerusalem den Frieden in weite Entfernung rücken lässt. Es ist jedoch die Kritik daran, die den Frieden nicht näher bringt. Denn diese ist von der Wirklichkeit abgekoppelt. […] Wenn Mahmoud Abbas dazu aufruft, Juden in Jerusalem zu ermorden, dann schweigt die internationale Gemeinschaft, aber wenn wir in Jerusalem bauen, dann ist sie ausser sich. Ich akzeptiere dieses Messen mit zweierlei Mass nicht.« Wieder habe Netanjahu Recht gehabt, so Gerstenfeld, doch solange Israel keinen Apparat habe, mit dem es sich weltweit Gehör verschaffen kann, sei dies fruchtlos.

Die Schlacht um die Sprache

Die Sprache sei etwas, das im politischen Kampf kaum je reflektiert werde. »Einer der Aspekte sollte sein, regelmässig darauf hinzuweisen, was ›Frieden‹ für viele palästinensische Führer bedeutet, nämlich ein Zwischenschritt zur Zerstörung Israels.« Viele Informationen darüber finde man wiederum auf Palestinian Media Watch. Ein anderes Thema sei der Gebrauch des Begriffs »besetzte Gebiete«: »Dieser Begriff ist so sehr in den internationalen Diskurs eingesickert, dass die korrekte Formulierung ‚umstrittene Gebiete« kaum je benutzt wird.« Darüber hinaus sollten ausländische Diplomaten in Israel ermahnt werden, wenn sie von der »Grenze von 1967« sprechen, statt, wie es korrekt wäre, von der Waffenstillstandslinie von 1949. Immer dann, wenn von Jordanien die Rede sei, könnten Israelis, so Gerstenfeld, darauf hinweisen, »dass es sich um das frühere Ostpalästina handelt, und so die Aufmerksamkeit darauf lenken, wo seine Ursprünge liegen«. Das ist eine gute Idee, weil auf diese Weise daran erinnert wird, dass es bereits einen palästinensischen Staat gibt: Jordanien macht 78 Prozent des ursprünglichen britischen Mandatsgebiets Palästina aus.

Gerstenfeld merkt an dieser Stelle an, es sei verwunderlich, dass israelische Regierungen nur selten den Gebrauch des Begriffs »besetzte Gebiete« anprangern. »Es gibt viele Rechtsexperten, die den Terminus ablehnen und stattdessen von ›umstrittenen Gebieten‹ sprechen. Es gibt zudem führende Rechtsexperten, die Israels Recht, gemäss internationalem Recht in diesen Gebieten Gemeinden zu bauen und zu erweitern, unterstützen. Die Weigerung der Europäischen Union, über diese Frage zu debattieren, ist ein Hinweis auf den höchst politischen und missbräuchlichen Charakter ihrer Schlacht gegen die Siedlungen.«

»Keinen Freifahrtschein für Israelhasser«

Viele Länder, Organisationen und Individuen zögerten nie, Israel zu attackieren, da sie wüssten, dass von dort niemals eine entschlossene Gegenreaktion kommt. Darum gingen sie mit ihrer Hetze keinerlei Risiko ein. »Die »schwachen israelischen Reaktionen auf die Hassreden des türkischen [Präsidenten] Erdogan« beispielsweise, so Gerstenfeld, »sind ein extremes Beispiel«. So, wie europäische Länder oft den jeweiligen israelischen Botschafter einbestellten, um ihm Moralpredigten zu halten, solle auch Israel jedes Mal den Botschafter eines Landes zum Gespräch bitten, wenn dieses gegen den jüdischen Staat hetzt. Denn es ist diese Hetze, die zu antisemitischen Einstellungen führt. Wie Gerstenfeld an anderer Stelle seines Buches ausführt, sind 150 von 400 Millionen Europäern der Meinung, Israel führe einen »Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser«. Europas Regierungen, so Gerstenfeld, trügen für diese »kriminelle Geisteshaltung« eine Mitverantwortung, und dafür müsse Israels Regierung sie angreifen.

Reaktion auf Regierungswechsel

Freunde Israels müssten aufmerksam sein, wenn es in einem Land einen Regierungswechsel gibt. Manchmal erwachse daraus etwas Gutes: So habe es etwa in Norwegen im Jahr 2013 einen Regierungswechsel von der antiisraelisch eingestellten Arbeiterpartei zu den Konservativen gegeben, unter denen es viele Israelfreunde gibt. Wann immer so etwas passiere, müsse die neue Regierung dazu aufgefordert werden, die Finanzierung von NGOs einzustellen, die Hetze gegen Israel betreiben.

Kampf um den öffentlichen Raum

Gerstenfeld konstatiert, dass es Israels Feinden gelungen sei, Israelis und Juden in Europa aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Gewalt – bis hin zur Ermordung von Juden – und Einschüchterung hätten dabei eine wichtige Rolle gespielt. »Jedes Mal, wenn ein Jude, der früher in der Öffentlichkeit für gewöhnlich eine Kippa trug, sie aus Angst ablegt, haben die Antisemiten einen weiteren Sieg errungen. Das Gleiche gilt für israelische Touristen, denen empfohlen wird, ihre Identität zu verbergen.« Es sei im Lichte dieser Entwicklung sehr wichtig, proisraelische Demonstrationen zu veranstalten; Gerstenfeld verweist auf einige solcher Demonstrationen in Italien, an denen sich in der jüngeren Vergangenheit bis zu 20.000 Menschen beteiligt hätten, und zwar – mit Ausnahme der Kommunisten – parteiübergreifend.

Gerstenfeld erwähnt eine kleinere, aber ebenso wichtige Demonstration, die die Publizistin und Politikerin Fiamma Nirenstein 2012 in Rom organisiert hatte. Zu einem »Redenmarathon« mit 50 proisraelischen Rednern kamen 1.500 Teilnehmer. Gerstenfeld zitiert aus der Rede Nirensteins: »Ich glaube, dass wir um des Friedens willen die Wahrheit über den andauernden Konflikt wiederherstellen müssen. Wir müssen die verleumderische Sprache neutralisieren, mit der Israel Tag für Tag kriminalisiert wird, und Israels Recht verteidigen, seine angegriffenen Bürger zu verteidigen.«

Ein zweiter Holocaust?

Ein zweiter Holocaust, schreibt Gerstenfeld im Schlussteil seines Buches, scheine auf zweierlei Weise möglich. Die am häufigsten diskutierte sei die, »dass der Iran oder eine fanatische muslimische Gruppierung erfolgreich eine Atombombe auf Israel wirft«. Eine zweite Möglichkeit sei, dass der »Druck, den Feinde und falsche Freunde auf Israel ausüben, so stark wird, dass Israel gezwungen ist, sich auf nicht zu verteidigende Grenzen zurückzuziehen«. Der »Prozess der Delegitimation mit seiner Million Messerstiche« werde eine weitere Konsequenz haben: »Ausser denen, die die Morde selbst verüben, werden nur wenige eine Verantwortung für das Geschehene verspüren. Nicht die vielen Feinde, die behaupten können, dass ihr eigener Beitrag zu der Million Messerstiche unbedeutend gewesen sei; nicht die falschen Freunde, die sagen werden, sie hätten Israel nicht angegriffen; nicht die vielen Zuschauer, die vor den klaren genozidalen Absichten, die in Teilen der muslimischen Welt verkündet werden, die Ohren verschlossen haben. Gleichzeitig wird Israel bezichtigt werden, für sein Schicksal selbst verantwortlich zu sein, da es die Palästinenser – in Wahrheit eine vom Verbrechen durchsetzte Bevölkerung – zu Opfern gemacht habe.«

Alle diese Lügen könnten in einer »mehr und mehr undurchsichtigen Gesellschaft« gedeihen. Doch nichts von alldem müsse passieren: »Es gibt keinen Grund zu Fatalismus, solange die derzeitige israelische Inkompetenz im Propagandakrieg nicht andauert. Es ist nicht zu spät, den Spiess gegen Israels Feinde umzudrehen. Dies erfordert jedoch eine radikal andere Herangehensweise als die jetzige.«

Manfred Gerstenfeld: The War of a Million Cuts: The Struggle Against the Delegitimization of Israel and the Jews, and the Growth of New Anti-Semitism, RVP Press, New York 2015, 504 Seiten, ca. 27 Euro. Zuerst veröffentlicht auf Lizas Welt.

Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmässig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt "Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos."

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