Judenhass – alter Inhalt, neue Form

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Symbolbild. Foto Ali Martin - https://www.flickr.com/photos/alisonmartin1/14641211272, CC BY 2.0, Link
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Judenhass hat sich verändert. Darauf müssen auch politische Praxis und Gesetzgebung reagieren.

von Samuel Salzborn

Moderne Gesellschaften verändern sich, die Lebensrealitäten der Menschen wandeln sich, neue Bedürfnisse entstehen, auch neue Herausforderungen. Und ebenso verhält es sich mit Formen der Diskriminierung, auch und gerade beim Antisemitismus. Antisemitische Ressentiments nehmen andere Formen an, verändern die Art und Weise, in der sie geäussert werden – und bleiben doch antisemitisch.

Der Blick in die Geschichte zeigt das. Hat der Antisemitismus eine wesentliche Quelle seiner Entstehung im Christentum, verband er sich im 18. und 19. Jahrhundert mit der aufkommenden Rassenideologie. Aus den christlich-antijüdischen Vorwürfen wurde der rassistische Antisemitismus, der mit völkischem Nationalismus und sozialdarwinistischem Rassismus verschmolz, aber auch mit generell modernefeindlichen und antiaufklärerischen Überzeugungen.

COMMON SENSE Nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus waren die Antisemiten keineswegs verschwunden, suchten aber neue Wege, um alte Ressentiments weiter öffentlich äussern zu können. Denn Antisemitismus wandelte sich im Übergang zur Bundesrepublik vom gesellschaftlichen Common Sense, der er im Nationalsozialismus gewesen war, zu einer in der Öffentlichkeit als tabuisiert wahrgenommenen Einstellung. So entstand eine schuldabwehrende Form von Antisemitismus, die Juden für die Folgen der Schoa verantwortlich machte und den Holocaust als negative Störung der nationalen Erinnerungskompetenz bestimmte.

Eine weitere Variante einer solchen, wie die Soziologen Werner Bergmann und Rainer Erb sie genannt haben, »Umwegkommunikation« wurde der antiisraelische An-
tisemitismus, der seit den 70er-Jahren verstärkt mit NS-Vergleichen und Versuchen zur Dämonisierung und Delegitimation Israels begann, antizionistisch zu formulieren, was antisemitisch gemeint war.

Und spätestens mit den antisemitischen Grossdemonstrationen in zahlreichen bundesdeutschen Städten im Sommer 2014 ist auch der arabisch-islamische Antisemitismus zu einer öffentlich überaus präsenten Wirklichkeit in der Bundesrepublik geworden. Gerade diese international schon lange existierende, in der bundesdeutschen Innenpolitik aber noch relativ neue Form des Antisemitismus zeigt zugleich auch das Dilemma, aktuell angemessen auf den sich wandelnden Antisemitismus zu reagieren.

RATIONALITÄT Denn während die Palästinenser, die 2014 einen Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge begangen hatten, vom Gericht jenseits jeder Rationalität bescheinigt bekamen, nicht aus antisemitischen Gründen gehandelt zu haben, sahen andere Staatsanwaltschaften bei den propalästinensischen Demonstrationen im selben Jahr durchaus, dass Antisemitismus vorlag – allerdings eine Form von Antisemitismus, die nach geltendem Strafrecht nicht justiziabel war.

Damit wurde deutlich, dass eine Diskrepanz zwischen dem besteht, was verurteilbar ist, und der Art, wie Antisemitismus sich seit Langem äussert. Die Leugnung des Holocaust zu sanktionieren, wie dies das Strafgesetzbuch vorsieht, reicht eben vor dem Hintergrund des Wandels antisemitischer Artikulationsformen nicht mehr aus, da sich dieser immer öfter über den kommunikativen Umweg des Hasses auf Israel äussert. Um darauf zu reagieren, muss das geltende Strafrecht dringend den antisemitischen Realitäten angepasst werden.

Da Antisemiten psychologisch nach autoritären Mustern agieren, darf die Wirkung einer repressiven Sanktionierung nicht unterschätzt werden. Keine Frage: Mit dem Strafrecht wird man aus Antisemiten keine Demokraten machen. Aber wenn sowieso klar ist – und das zeigt die gesamte sozialwissenschaftliche Forschung –, dass das Weltbild des Antisemitismus aufklärungsresistent ist und antisemitische Überzeugungen nicht trotz, sondern wegen ihrer Irrationalität geglaubt werden, dann wäre ihre öffentliche und erweiterte strafrechtliche Sanktionierung ein wesentlicher Schritt zur generellen Stärkung der Demokratie – gerade auch mit Blick auf die jüngeren Varianten des Antisemitismus.

ÖSTERREICH Ein wesentlicher Zug des NS-Antisemitismus war die systematische Entrechtung von Juden bei gleichzeitiger politischer Willkür, sodass man die Perspektive umkehren und ein nachhaltiges demokratisches Instrument gegen Antisemitismus erwägen könnte: eine Erweiterung des Strafrechts um einen Straftatbestand, den es in Österreich schon lange gibt. Er heisst: Verbot der Wiederbetätigung. Im Vergleich zu Österreich müsste er freilich anders akzentuiert und deutlich geschärft werden, sodass man jede Form von Antisemitismus als Wiederbetätigung verstehen und strafrechtlich bewehren müsste.

Ein solches Rechtsinstrument würde berücksichtigen, dass sich Antisemitismus in unterschiedlichen Formen äussert, aber jede dieser Formen antisemitisch bleibt und damit immer die Vernichtungsandrohung beinhaltet. Und es könnte diese Erkenntnis mit dem Ziel verbinden, jede Form von Antisemitismus zu bekämpfen – als Schutz für Juden, aber auch als grundsätzlicher demokratischer Anspruch.

Prof. Dr. Samuel Salzborn lehrt Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Giessen. Auf deutsch zuerst erscheinen bei Jüdische Allgemeine.