Für Irans Hardliner läuft die Zeit ab

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Ayatollah Sayyed Ali Khamenei. Foto Unbekannt - http://english.khamenei.ir/photo/4837/Ayatollah-Khamenei-cast-his-vote-for-Presidential-election, CC-BY 4.0, Link
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Die kommunistische Revolution in Russland brauchte 70 Jahre, um sich totzulaufen. Irans islamistische Revolution nimmt nach nunmehr 38 Jahren dieselbe Wendung.

“Reich zu werden ist ruhmvoll”, sagte Deng Xiaoping, nachdem er China vom Kommunismus zum Kapitalismus gelenkt hatte.

Dieser Ausspruch, der heutzutage Chinas wichtigstes Ideal zu sein scheint, war einst Ketzerei, als Deng Nachfolger von Mao Tsetung wurde, dessen Kulturrevolution ein Jahrzehnt früher dazu gedacht gewesen war, “die zu zerschmettern, die den kapitalistischen Weg suchen”.

Widerstand gegen die kapitalistische Revolution kam vonseiten einer alten Garde, die nichts übrig hatte für die Richtung der Geschichte, die Erfordernisse der Wirtschaft und den Schmerz des Volkes.

Der Dampf von Maos Revolution war im Lauf von drei Jahrzehnten aufgebraucht worden.

Die kommunistische Revolution in Russland brauchte 70 Jahre, um sich totzulaufen, und auch dort versuchte eine alte Garde, den Gang der Geschichte aufzuhalten, um dann aber doch von wirtschaftlichem Ruin, imperialer Überdehnung und ideologischer Müdigkeit beiseite gewischt zu werden.

Irans islamistische Revolution nimmt nach nunmehr 38 Jahren dieselbe Wendung.

Nein, das bedeutet nicht, dass das Ende des iranischen Islamismus unmittelbar bevorstünde oder dass dessen Untergang ebenso dramtisch sein wird wie das, was in Russland passiert ist oder so drastisch wie die Entwicklungen in China. Gleichwohl kämpfen Irans Konservative eine Schlacht, die dem ähnelt, was die Welt im letzten Jahrhundert in China und Russland beobachtet hat; ihre Bemühungen werden mit einer ähnlichen Niederlage enden.

Die iranische Gesellschaft bettelt um Rettung

Zwei Jahre nach der Unterzeichnung jenes Abkommens, mit dem die meisten Wirtschaftsanktionen gegen den Iran aufgehoben wurden, besteht die grösste ökonomische Leistung der Mullahs darin, dass es ihnen gelungen ist, die Inflation von 40 Prozent pro Jahr auf etwas mehr als zehn Prozent zu reduzieren. Dies ist wichtig, hat aber nicht zu einer Verringerung der Arbeitslosigkeit geführt, die offiziell bei 12 Prozent liegt, in Wirklichkeit aber fast jeden fünften Erwachsenen betrifft; unter jungen Erwachsenen ist es gar jeder dritte.

Die Pragmatiker verstehen, dass der einzige Weg, den von Präsident Hassan Rouhani versprochenen ökonomischen Durchbruch herbeizuführen, in einer Liberalisierung der Wirtschaft besteht. Doch Liberalisierung ist der alten Garde ein Gräuel – nicht aufgrund ihrer Überzeugungen, sondern wegen ihrer Geldquellen.

Die Khomeini-Revolution spielte die ländlichen Bauern, zu denen sie Vertrauen hatte, gegen die urbanen Händler aus, denen sie nicht traute.

Soziale Ruhe wurde durch Vernachlässigung der industriellen Entwicklung erkauft, man liess Ölexporte die Wirtschaft dominieren und benutzte die hereinströmenden Petrodollars, um Benzin, Kerosin, Lebensmittel, Medikamente und von Bauern benötigte Güter wie etwa Traktoren zu subventionieren. Dieses Programm war politisch effizient, doch wirtschaftlich so kostspielig, dass es im Jahr 2008 ein Fünftel des Haushalts auffrass.

Weil sie begriff, dass dieses System die Inflation antreibt, begann die Regierung in den letzten Jahren, die Subventionen zu kürzen; trotzdem machen diese immer noch zehn Prozent des Staatsbudgets aus. Dazu kommt: Damit die Wirtschaft genesen kann, bedarf es nicht nur eines Abbaus der Subventionen, sondern der Ertüchtigung eben jener Mittelschicht, vor der sich die Revolution fürchtet und die sie unterdrückt.

Schlimmer noch: Ein wirtschaftlicher Reifeprozess bedeutet die Fortsetzung der Industrialisierungsbestrebungen des Schahs und die Umsiedlung Abertausender Menschen vom Land in die Stadt, wo sie politisch unberechenbar werden.

All dies bringt wirtschaftspolitische Konfrontation mit den Revolutionären Garden mit sich.

Diese rund 100.000 Mitglieder starke Veteranenorganisation ist zu einem milliardenschweren Firmenmonster geworden, das auf unfaire Art staatliche Aufträge an sich reisst und Tausende von Unternehmen gegründet hat, die ein landesweites System der Günstlingswirtschaft stützen.

Die Garden, die wichtige Körperschaften wie die nationale iranische Ölgesellschaft kontrollieren, sträuben sich aus denselben Gründen gegen Reformen, derentwegen die sowjetischen Konservativen einst Gorbatschows Perestroika bekämpften: das bestehende System ist das, was sie reich macht; wenn es verschwindet, dann auch ihre wirtschaftliche Sicherheit.

Ausserdem müsste, um die iranische Wirtschaft zu kurieren, Irans imperiales Projekt im Nahen Osten zusammengefaltet werden.

Der Iran ist derzeit an den Konflikten in Syrien, dem Irak, dem Jemen und dem Libanon beteiligt und unterstützt einen schiitischen Aufstand in Bahrain, während er gleichzeitig seine Einmischung in Afghanistan verstärkt.

All dies provoziert nicht nur die USA, Europa, Saudi-Arabien, die anderen sunnitisch-arabischen Staaten und natürlich Israel; es stört auch die Wirtschaft.

Teherans Abenteurertum bedeutet, dass Tausende von Beratern und Offizieren in zahlreichen Ländern stationiert sind, zu einer Zeit, wo die Wirtschaft jeden einzelnen der Milliarden Dollar bräuchte, die dieser politische Luxus verschlingt.

Im Übrigen fordern die iranischen Aktivitäten in Syrien auch Russland heraus, dessen Eingreifen in diesem Krieg von Teheran nicht erwartet worden war, wie wir im letzten Winter an dieser Stelle angemerkt haben.

Die Hyperaktivität des Iran in der Region erinnert an das Missgeschick der UdSSR in Afghanistan, das den finsteren Hintergrund für den Zusammenbruch der Wirtschaft bildete, während gleichzeitig das politische System Risse bekam.

Diese imperiale Überdehnung ist der Zusammenhang, in dem Rouhani während eines Treffens mit Geschäftsleuten im vergangenen Juni die Garden eine “Regierung mit Gewehren” nannte und dabei ihre Rolle in der Wirtschaft anprangerte und forderte, dass sie von dem von ihm geplanten Privatisierungsprozess ferngehalten werden müssten.

Rouhanis Äusserungen wurden in der Folge vom Kommandanten der Garden, Ali Jafari, kritisiert sowie vom Kommandanten der Eliteeinheit “Quds”, Kassem Suleimani, und dem Führer der Bauabteilung der Garden, Abdallah Abdallahi.

Dies ist Teil eines grösseren Zusammenpralls von Reformern und Konservativen, der vor aller Augen stattfindet, seit Rouhani die Garden während des Wahlkampfs bezichtigte, sein Atomabkommen durchkreuzen zu wollen, das die Sanktionen beendet hatte.

“Sie wissen genau, was auf dem Spiel steht.”

Die Konservativen sind alarmiert, weil Rouhani sie gegen das Volk ausgespielt und das Volk gegen sie gestimmt hat. Alle wissen, das hinter der ökonomischen Debatte die Forderung nach der Befreiung der politischen Gefangenen steht, der Abschaffung der Kleidervorschriften für Frauen und der Gewährung von Versammlungs- und Redefreiheit.

Deshalb kämpfen die Konservativen. Sie wissen genau, was auf dem Spiel steht.

Aus diesem Grund haben die Garden kürzlich Rouhanis Ölgeschäft mit dem französischen Konglomerat Total, als einen Plan zur “Verwestlichung” des Iran vereitelt. Darum liess ein konservativer Richter letzten Monat Rouhanis Bruder aufgrund fragwürdiger Anklagepunkte verhaften und darum beschämten die Garden Rouhani, indem sie sagten, sie hätten ihn nicht konsultiert, bevor sie Raketen auf ein IS-Ziel in Syrien abfeuerten, nachdem der IS im Juni einen Terroranschlag in Teheran verübt hatte.

Rouhani ist nicht der wagemutige und unorthodoxe Gorbatschow, nach dem sich der Iran sehnt. Ali Khamenei aber ist die iranische Version von Leonid Breschnjew, dem Konservativen, der Veränderungen unterdrückte und über den langwierigen aber kontinuierlichen Abstieg der UdSSR waltete.

Und die Revolutionsgarden, Richter, Generäle und Geistlichen der islamistischen Republik sind das Äquivalent der alten Garden in der Sowjetunion und China, für die Veränderung den persönlichen Ruin bedeutet. Sie wissen, dass sie kämpfen müssen, so wie wir wissen, dass sie verlieren müssen.

Über Amotz Asa-El

Amotz Asa-El ist leitender Berichterstatter und ehemaliger Chefredakteur der Jerusalem Post, Berichterstatter Mittlerer Osten für Dow Jones Marketwatch, politischer Kommentator bei Israel's TV-Sender Channel 1 und leitender Redakteur des Nachrichtenmagazins Jerusalem Report.

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