Israels Terrorabwehr aus Sicht eines Dozenten der ETH Zürich – Eine kritische Betrachtung

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Sicherheitskräfte vor dem Eingang zum Tempelberg in Jerusalem. 16. Juli 2017. Foto Yonatan Sindel / Flash90
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Dr. Mauro Mantovani, Dozent für strategische Studien an der Militärakademie der ETH Zürich, hat in der Zeitschrift Finanz und Wirtschaft einen Kommentar zum Thema „Wie Israel den Terrorismus abwehrt“ veröffentlicht. 

Die darin gesammelten Informationen bieten einen guten Überblick. Mantovani erwähnt „landestypische Faktoren“ wie „überdurchschnittlicher Patriotismus“ und Militärdienst – auch für Frauen. Er stellt fest: „Beides äussert sich bei Terroranschlägen in einem hohen Mass an Zivilcourage.“.

„Gleichwohl tragen nur 4,17% der Israelis eine Waffe“, schreibt er, wegen einer „restriktiven Gesetzgebung“. Weiter erwähnt er lobend „eine flache, flexible Hierarchie des Sicherheitsapparats, eine durchlässige Nachrichtengewinnung und -Auswertung.“ Die Flugsicherheitsmassnahmen seien um die Befragung der Passagiere erweitert und Flugzeuge gegen Boden-Luft-Raketen geschützt. Auch sein grundsätzliches Resümee ist richtig: „Gewiss darf auch die Widerstandsfähigkeit der israelischen Bevölkerung als grundsätzlich erstrebenswert gelten.“ So habe das israelische Vorgehen „Vorbildcharakter“.

Der europäische Blick sieht zu kurz

Solange sich der Dozent der ETH aus Zürich auf rein militärische oder technische Details beschränkt, sind seine Bemerkungen sachlich korrekt. Auch in Bezug auf die Zivilbevölkerung Israels liegt er richtig. Bedauerlicherweise lässt er aber in seinen Artikel politische Ansichten einfliessen, die in der sachlichen Analyse eines Militärexperten nichts zu suchen haben.

In der Einleitung zu seinem Artikel vergleicht er die Zahl der Terroranschläge und die Todesopfer in den USA und Europa einerseits und in Israel andererseits.  Mantovani zählt allein islamistische Organisationen wie IS, Hamas oder die Hisbollah im Libanon auf. Doch Israel ist keineswegs nur mit diesen Gruppen, mit Islamismus und der Ausrufung des Kalifats im Juni 2014 konfrontiert. Beim Terror gegen Juden und Israel vermischen sich palästinensischer Nationalkampf, „legitimer Widerstand“, Antisemitismus, innerpalästinensische Machtkämpfe und vieles mehr.

Mantovani vergisst die PLO

Die schlimmsten Terroranschläge führte die PLO durch, die Nationalbewegung der Palästinenser, unter der Führung von Jassir Arafat: Die Flugzeugentführungen ab Ende der 1960er Jahre, das Massaker bei den olympischen Spielen in München 1972, das Blutvergiessen unmittelbar nach der Unterzeichnung der Osloer Verträge ab 1994 und schliesslich die Zweite Intifada ab Herbst 2000. Das alles hatte mit „Islamismus“ überhaupt nichts zu tun. Der palästinensische Terror flankierte eher den Kalten Krieg und den Machtkampf zwischen Ost- und West. Dabei war die PLO mit Moskau verbündet und Mitglied der „Sozialistischen Internationale“.

Das von Mantovani aufgezählte „Massnahmenbündel“ Israels führte zweifellos zum Erfolg beim Kampf gegen jeglichen Terror. Der Überlebensinstinkt ist in Israel durch jahrelange Übung besonders ausgeprägt. So wird an jeder Bushaltestelle eine „vergessene“ Tasche sofort der Polizei gemeldet, die dann die Strasse absperrt bis Feuerwerker das „suspekte Objekt“ entschärft haben.

Doppelte Standards im Terrorkampf

Sehr richtig schreibt Mantovani, Israels Umgang “mit der islamistischen Bedrohung” stosse in Europa auf Kritik. Doch hier verlässt Mantovani den Beobachterstandpunkt, indem er moniert, dass Israels „Sicherheitsapparat resolut nach taktischem Erfolg“ strebe – „was tendenziell allerdings zu Lasten der strategischen Ebene geht“.

Es ist aber die Aufgabe eines „Sicherheitsapparats“, taktisch erfolgreich zu sein. Strategie und Suche nach Lösungen ist allein die Aufgabe der Politik und nicht des Militärs, Geheimdienstes oder der Polizei. Genauso reagieren Sicherheitsapparate in aller Welt nach jeglichen Anschlägen. Erwähnt seien hier der „Schuhbomber“ (Richard Colvin Reid) und der bisher einmalige Versuch, eines El Qaida Netzwerkes, mehrere Flugzeuge durch Flüssigsprengstoff zum Absturz zu bringen. Die „Ursachen“ wurden inzwischen ausgeschaltet, indem Reid verhaftet und verurteilt worden ist. Dessen Vorbild Osama bin Laden wurde ausgeschaltet. Dennoch müssen seitdem Millionen Fluggäste bei den Sicherheitskontrollen ihre Füsse heben und gelegentlich sogar die Schuhe durchleuchten lassen.

Mantovani verwendet hier einen doppelten Standard, indem er schreibt: „Auch wird Israel wohl nicht zu Unrecht vorgeworfen, es verzichte darauf, die Ursachen des Terrorismus anzugehen, nämlich das Fehlen eines politischen Ausgleichs mit den Palästinensern und deren Mangel an bürgerlichen Freiheiten und wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten, geschweige denn dieses endemische Defizit in der islamischen Welt.“ Was er als Kritik zur „strategischen Ausrichtung“ Israels schreibt und „politischen Ausgleich“ nennt, bedeutet wahrscheinlich eine Erfüllung aller Forderungen der Palästinenser. Im Klartext: wenn man palästinensische Forderungen wörtlich nimmt, bedeutet das ein Verschwinden aller Juden aus dem vorderen Orient und eine Abschaffung des jüdischen Staates. Dass sich damit der Terror eindämmen liesse, ist ein frommer Wunsch. Der Weg, den die Schweiz 1970 ging, ist für Israel nicht gangbar.

Mantovani hätte eigentlich auffallen müssen, dass die schlimmsten Terroranschläge trotz eines verkündeten Gewaltverzichts begannen, nachdem Arafats PLO 1994 mit den Osloer Verträgen eine Selbstverwaltung erhielt, die Autonomie. Der vermeintliche „Mangel an bürgerlichen Freiheiten und wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten“ als Ursache für Terror anzugeben, ist eine propagandistische Behauptung, die weder auf die israelischen Araber noch auf die Bewohner der Autonomiegebiete oder auf die meisten „islamistischen“ Terroristen aus Grossbritannien, Australien und sonstigen Länder zutrifft.

Mantovani wiederholt seine Kritik an Israel ein weiteres Mal am Ende seines Artikels: „In manchen Fällen muss sich die israelische Terrorismusabwehr vorwerfen lassen, unverhältnismässig oder gar kontraproduktiv zu sein. Auch verdient die Vernachlässigung der Wurzeln des Übels aus europäischer Sicht gewiss keine Zustimmung.“ Hier vermischt er wieder palästinensische Propaganda-Klagen und politische Ansichten. Er verrät nicht, was er mit „Unverhältnismässigkeit“ oder mit „Wurzeln des Terrors“ meint. Auf eine Anfrage dazu per Email hat er dazu geschwiegen. Er hat lediglich betont, dass es aus seiner Sicht keine Rechtfertigung für Terror gebe. Doch wenn tatsächlich, aus seiner Sicht, Israel mit einem „politischen Ausgleich“ die „Wurzeln des Übels“ abschaffen könnte, scheint es doch etwas zu geben, was zumindest als Rechtfertigung für Terror behauptet wird. In Europa werden da Vertreibung, Flüchtlinge, Besatzung, mangelnde Unabhängigkeit usw angeführt. Gleichgültig welches Argument man da herausgreift, so müsste der Autor auf jene Teile der Palästinenser hinweisen, die sie ihrer eigenen korrupten und aufhetzenden Führung zu verdanken haben. Ausserdem gibt es unzählige Völker und Regionen, die vertrieben, besetzt oder unterdrückt sind, aber trotzdem keinen Terror verüben, wie die Palästinenser.

Von einigen wird es als „unverhältnismässig“ angesehen, dass sich alle Palästinenser aus Gaza und dem Westjordanland scharfen Sicherheitskontrollen an den Grenzübergängen zu unterziehen haben. Sollte Mantovani diese Einschätzung teilen, so nimmt er selber solche „Unverhältnismässigkeit“ widerspruchslos hin, ehe er in Zürich ins Flugzeug steigt. Nach dieser „Logik“ kann man alle anti-Terror-Massnahmen als „kontraproduktiv“ bezeichnen, weil sie in jedem Fall eine Einschränkung der Freiheiten und „Erniedrigung Unbeteiligter“ bedeuten.

Terror ist, gleichgültig wegen welcher „Motivation“, wenn man ein Messer zückt und willkürlich beliebige Zivilisten ermordet oder überfährt. Egal, ob der Anschlag in Berlin, Nizza oder Jerusalem stattfindet. Hier anzunehmen, dass sich in Israel durch Appeasement irgendetwas zum Guten verbessern liesse, widerspricht jeder Erfahrung. Der Rückzug aus dem Gazastreifen mitsamt dem Abbau von Siedlungen war von Ariel Scharon auch als Friedensgeste gedacht, brachte aber nur massiven Raketenbeschuss und mehrere Kriege. Ein Militärexperte sollte mit nüchterner Präzision die jeweilige Faktenlage darstellen und nicht zu politischen Spekulationen hinreissen lassen, die allzu leicht widerlegt werden können.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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2 Kommentare

  1. “Ein Militärexperte sollte mit nüchterner Präzision die jeweilige
    Faktenlage darstellen und nicht zu politischen Spekulationen hinreissen
    lassen, die allzu leicht widerlegt werden können.”

    Danke für den Artikel!

  2. Herr Sahm sollte sich mal die Kontrollen an diversen Checkpost im Westjordanland
    anschauen. Da geht es nicht um Sicherheit oder Terrorabwehr, sondern um systematische Erniedrigung vom vermeintlich sicheren Standpunkt militärischer Überlegenheit aus gegenüber einer kolonialisierten Bevölkerung, der man zeigen will, wer Herr im Land ist. Aber: wer hoch steigt, fällt tief!

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