Essen mit Migrationshintergrund

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Restaurant in Israel. Foto Orel Hamawi - Own work, CC BY-SA 4.0, Link
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Nichts verbindet so sehr wie eine gemeinsame Mahlzeit. Nichts prägt die eigene „Kultur“ so sehr, wie das, was in der Küche von der Grossmutter zur Enkelin weitergegeben wird. Völker werden danach beurteilt, wie „gastfreundlich“ sie sind, und ihre Speisen mit anderen teilen.

Gleichzeitig wandern seit Jahrhunderten Gemüse und Obst wie Kartoffeln, Tomaten oder Erdbeeren von Amerika nach Europa, Gurken kamen aus Syrien, Kirschen aus Kleinasien. Alle Züchtungen und Zubereitungen werden weltweit abgeschaut, nachgemacht und weiterentwickelt. Sushi, Curry, Nudeln und Brot wanderten mehrfach um den Globus. Oft lässt sich gar nicht mehr nachvollziehen, wer was erfunden, von einem Land zum anderen gebracht hat oder gar ein „Urheberrecht“ für sich beanspruchen kann. Umso eifriger pflegt man das heimische Erbe. Wie stolz war der Bäcker aus Dessau, als es sein Leopoldbrot bei der UNO-Unterorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur in die exklusive Liste schützenswerter Güter geschafft hat.

Wem gehört welches Rezept?

Seit Jahrzehnten „tobt“ der erbitterte Kampf zwischen Israelis und Palästinensern, wer denn den Humus (Kichererbsenbrei) erfunden und für sich als „Nationalspeise“ reklamieren darf. Tatsache ist, dass in der heutigen Türkei Kichererbsen schon vor 13.000 Jahren angebaut worden sind und dass schon die biblische Ruth, auf der Rast nach einer Reise im Felde, ihr Fladenbrot in Humus getunkt hat (und nicht etwa in Essig, wie das hebräische Wort „Hometz“ fälschlich übersetzt worden ist). (Ruth 2,14)

Nicht jeder „darf“ alles essen

Genauso wichtig wie die Herkunft der Speisen sind die Speisetabus. In der Bibel gebietet Gott seinem Volk, den Israeliten: „Du sollst nicht das Zicklein in der Milch seiner Mutter kochen“. Damit stand zum ersten Mal in der Weltgeschichte ein Rezept der Nachbarn auf dem Index, auch wenn die Mengenangaben und mögliche Gewürze fehlen. Tatsächlich handelte es sich um eine Opferspeise des Gottes Baal der „Heiden“ aus dem Libanon.

Kein Fleisch mit Milch

Bei den Juden entwickelte sich dieser Vers zu einem der teuersten und schwierigsten Speisegesetze überhaupt. Auf Schweinefleisch, Krabben, Aal oder Kamelfleisch kann man leicht verzichten, zumal derartige „unkoschere“ Zutaten in Supermärkten (in Israel) gar nicht erst angeboten werden. Aber die strikte Trennung von „Fleischigem“ und „Milchigem“ ist äusserst aufwendig, nicht nur in koscheren Restaurants, wo man einen Milchkaffee nach einem Steak nicht bestellen kann. In manchen Heimen religiöser Juden gibt es in der Küche zwei Waschbecken, zwei Kühlschränke und auch zwei Sets von Geschirr, Kochtöpfen und Besteck.

Trotz diesem Mehraufwand, sieht und schmeckt man anhand „typisch jüdischer Gerichte“ aus Polen, Indien, Jemen oder Marokko, wie die Juden dennoch in aller Welt gut integriert waren. Die lokalen Speisen, Gerüche, Gewürze und Zutaten haben sie aufgesogen und gemäss ihren „koscheren Bräuchen“ umgewandelt. Dieser kulturell-kulinarischen Vielfalt begegnet man überall im kleinen Israel, in das wieder Juden aus über 170 Ländern heimgewandert sind. Israelische Köche stehen vor der Herausforderung, dutzende Traditionen in neue kulinarische Schöpfungen zu verwandeln. Der Phantasie sind da kaum Grenzen gesetzt.

Das Göttergericht

Araber, Juden und Christen lebten Jahrhunderte lang gemeinsam im osmanischen Reich, das von Algerien über Ägypten und Jemen bis Bagdad reichte. Die Küche des Sultans von Istanbul war tonangebend. Aber örtliche Traditionen wurden ausgetauscht und in die Ferne getragen. Das biblische Gericht „Zicklein in der Milch seiner Mutter“. hat sich nicht nur im Libanon als Festspeise erhalten, die bei keiner Hochzeit und bei keinem Staatsempfang fehlen darf. Entsprechend abgewandelte Rezepte dazu findet man auch in Iran oder Ägypten und sogar in Indien.

Es muss nicht Zicklein sein. Lamm, Rind oder Hühnerfleisch können genauso gut verwendet werden. Das Fleisch wird separat in Wasser vorgekocht, gewürzt mit vielen im Mörser zerschlagenen Kardamomkapseln, Lorbeer und Zwiebel.

Kaschk – Trockenjoghurt. Foto Klaus-Norbert, CC BY-SA 3.0, Link

“riecht wie ungewaschene Füsse“

Die „Milch“ findet man überall bei den Gewürzhändlern in den arabischen Basaren. In schäbigen Kartons werden da weisse käsige „Steine“ angeboten. Bis heute wird dieses „Kaschk oder Kishk“ in einem dreiwöchigen Prozess nach uralter Methode per Hand hergestellt. So wird seit Jahrhunderten die kostbare Milch für den Winter konserviert.

Zunächst wird frisch gemolkene Milch in einer Ziegenhaut geschwenkt. Das „rayeb” teilt sich in “zebda” (eine reiche Crème wie saure Butter) und “shanina“ (Yoghurt mit wenig Fett).

Die Masse mit dem berauschenden Duft saurer Milch wird mit Burgul, zerkleinertem Weizen, vermengt und zehn Tage lang immer wieder kräftig mit den Händen geknetet. Die Milch fermentiert mit dem Weizen und viel Salz, bis aus der Masse kleine Kegel geformt werden können. Die werden auf den Flachdächern in der Sonne getrocknet. Das Ergebnis ist ein weisser „Stein“, der ohne jede Kühlung „ewig“ hält. Er kann gerieben auch wie Parmesan über das fertige Essen gestreut werden. Die Brocken selber riechen sehr streng nach Ziege – wie „ungewaschene Füsse“ – wie eine alte Frau mal sagte.

Speise der Götter

Für das klassische Gericht „Zicklein in der Milch“ wird der Stein am Abend in kochendes Wasser gelegt. Am nächsten Tag ist er so weich, dass er zerschlagen und gesiebt werden kann. Dieser Prozess wird so oft wiederholt, bis keine „Krümel“ mehr übrigbleiben. Das ist dann die Grundlage für eine intensiv duftende käsige Sosse, in der am Ende das Fleisch unter ständigem Rühren noch einmal aufgekocht wird. Das Ergebnis ist „Mansaf“, wie die Jordanier ihr Nationalgericht nennen.

Mansaf Zubereitung in Jordanien. Foto Ji-Elle , CC BY-SA 4.0, Link

Die Araber wissen durchaus, dass sie hier eine uralte, biblische Tradition bewahren. Kulinarische Traditionen können Völker verbinden und trennen. So ist in Deutschland Pferdefleisch verpönt, seitdem im achten Jahrhundert Papst Gregor III. dem als Winfrid geborenen Heiligen Bonifatius beschieden hat, dass die Germanen dem Christentum zugeführt werden sollten und das beliebte Rossopfer für Odin verboten wurde. Weil Bonifatius nur für die Verkündigung des Evangeliums in Germanien zuständig war, galt dieses Verbot weder für Frankreich, noch für die Schweiz oder Italien.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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