Israel, Europa und die Internationale Sicherheit

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Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas zu Gast im EU Parlament. Foto ©
Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas zu Gast im EU Parlament. Foto © "European Union 2016 - European Parliament". (Attribution-NonCommercial-NoDerivatives CreativeCommons licenses creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/)
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Der niederländische EU Parlamentarier Bastiaan „Bas“ Belder im Gespräch mit dem Sicherheitsexperten, Historiker und Politikwissenschaftler Marcel Serr über die Beziehung der EU zu Israel und die Internationale Sicherheit.

Im Herbst 2016 las ich einen ausgezeichneten Beitrag von Marcel Serr in der Oktoberausgabe von “Aus Politik und Zeitgeschichte“, die der „Internationalen Sicherheit” gewidmet war. Dieser Beitrag des Militärhistorikers und Politikwissenschaftlers Serr unter dem Titel “Terrorismus — Bekämpfung in Israel: Vorbild für Europa?“ war für mich aufklärend.

Nachdem ich Herr Serr Anfangs Dezember 2016 in Jerusalem persönlich begegnet bin und ich von seiner grossen Sachkenntnis über den Nahen Osten beeindruckt war, gestattete er mir freundlicherweise für Audiatur-Online ein schriftliches Gespräch.

Bastiaan Belder: Herr Serr, Selbstkritik ist an meinem Arbeitsplatz, dem europäischen Parlament, nicht reichlich vorhanden. Dennoch geschah es vor Kurzem im Ausschuss für Aussenpolitik, dass ein Kollege zugab, dass sich durch die pro-palästinensische Stellungnahme der EU, Brüssel damit in israelischen Augen als diplomatischer Player im israelisch-palästinensischen Konflikt disqualifiziere.

Er fügte hinzu, dass anlässlich eines Delegationsbesuches von europäischen Parlamentariern in Jerusalem, Ramallah und Amman nirgendwo der Name des Hohen Vertreters der europäischen Aussen- und Verteidigungspolitik, Frau Mogherini, und ihrer diplomatischen Mission fiel! Und dann all dieser Jubel im Europaparlament fὔr Mogherini als offizieller Vertreter der EU-Nahostpolitik…

Stimmen Sie dieser europäischen Selbstkritik aus Ihrer Erfahrung zu? Leidet die EU vielleicht an einer ´Siedlungsobsession´ gegenüber Israel?

Marcel Serr: Dem muss ich leider zustimmen. Ich schreibe bewusst „leider“ – weil ich als überzeugter Europäer die europäische Integration als den vielleicht grössten zivilisatorischen Fortschritt Europas der Nachkriegszeit betrachte. Mit Blick auf die europäische Israelpolitik enttäuscht die EU allerdings auf ganzer Linie. Zu oft nimmt die EU eine unreflektiert anti-israelische Haltung ein. Damit disqualifiziert sie sich selbst als Mediator.

Bereits mit der umstrittenen Deklaration von Venedig bezeichnete der Europäische Rat im Juni 1980 den Siedlungsbau als „ernsthaftes Hindernis im Friedensprozess“ und als „völkerrechtswidrig“. Verständlicherweise misstraute Israel zukünftig den Europäischen Gemeinschaften (EG). So verwundert es nicht, dass die entscheidenden Verhandlungen in Madrid 1991 und in Oslo 1993 ohne wesentlichen Einfluss der EG stattfanden. Erst mit den Oslo-Abkommen verbesserten sich die Beziehungen wieder. Im November 1995 unterzeichneten Israel und die EU ein neues Handelsabkommen (Assoziierungsabkommen, AA) im Kontext des Barcelona-Prozesses. Damit stieg Israel zu einem der wichtigsten wirtschaftlichen Partner der EU im Mittelmeerraum auf. Doch dadurch rückte die Herkunftsregelung israelischer Produkte in den Fokus Brüssels. Im Mai 1998 erklärte die Kommission, dass Israels Siedlungen jenseits der „Grünen Linie“ nicht als Teil des israelischen Staatsgebietes zu betrachten sind. Entsprechend seien Exporte, die aus diesen Gebieten in die EU getätigt werden, nicht als Teil des AA zu behandeln. Diese Linie wurde 2010 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestätigt: Der deutsche Wasserfilterhersteller Brita hatte Produkte der israelischen Firma Soda Stream, die in der Westbank hergestellt wurden, als israelische Produkte deklariert und nach Deutschland eingeführt. Der EuGH entschied jedoch, dass in israelischen Siedlungen im Westjordanland produzierte Waren nicht den israelischen Präferenzzöllen unterliegen und daher voll verzollt werden müssen.

“DIE „GRÜNE LINIE“ IST NICHTS ANDERES ALS DIE WAFFENSTILLSTANDSLINIE DES ISRAELISCHEN UNABHÄNGIGKEITSKRIEGES 1948/49”

Aus israelischer Sicht musste dies äusserst befremdlich wirken – massen sich hier doch die EU-Kommission und der Europäischer Gerichtshof eine Entscheidung über Israels Grenzen an. Zur Erinnerung: Die „Grüne Linie“ ist nichts anderes als die Waffenstillstandslinie des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948/49 und keine internationale Grenze. In den Waffenstillstandsverhandlungen hatte Jordanien, das im Krieg die Westbank besetzt hatte, ausdrücklich darauf bestanden, dass es sich bei der Demarkationslinie um keine permanente Grenze handle.

Auch der heutige völkerrechtliche Status der Westbank ist alles andere als eindeutig. Das Westjordanland war zuvor nicht im rechtmässigen Besitz eines anderen Staates. Jordanien hatte das Gebiet im Krieg gegen Israel 1948/49 besetzt und 1950 völkerrechtswidrig annektiert. Insofern lässt sich die Westbank eher als umstrittenes Territorium verstehen, auf das sowohl Israel als auch die Palästinenser Ansprüche erheben. Eine Regelung der bilateralen Grenzen obliegt allein den Konfliktparteien – und nicht der EU.

In der Tat ist die Bezeichnung einer „obsessiven“ Beziehung der EU zu den israelischen Siedlungen zutreffend. Brüssel hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe politischer Massnahmen implementiert, die gegen Israels Siedlungstätigkeit gerichtet sind. Im November 2015 entschied die EU, dass bestimmte Produkte aus Siedlungen (Obst, Gemüse und Kosmetika) besonders gekennzeichnet werden müssen und nicht mehr unter dem Label „Made in Israel“ eingeführt werden dürfen. Entgegen Brüssels Verweis auf den technischen Charakter der Massnahme, handelt es sich hierbei um den Versuch, Handelsregularien für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Obwohl die Verschärfung der Kennzeichnungsregeln keine direkten Auswirkungen auf Israels Wirtschaft hat (betroffen sind nur 1-2 Prozent der israelischen Exporte in die EU), lassen sich bedenkliche Langzeitfolgen ausmachen. Denn die EU vermittelt gegenüber europäischen Unternehmen den Anschein, dass Geschäfte mit israelischen Partnern komplizierte rechtliche Verfahren und ggf. imageschädigende Wirkungen nach sich ziehen können. Damit spielte diese Politik der BDS-Bewegung in die Hände.

Als einzige stabile Demokratie im Nahen Osten sollte Israel ein wichtiger Partner der EU im östlichen Mittelmeerraum sein – nicht nur im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich, sondern auch als politischer Verbündeter. Die Politik der EU sollte dem Rechnung tragen und eine respektvolle Beziehung zu Jerusalem auf Augenhöhe unterhalten. Dann würde Brüssel als auch Mediator im Nahostkonflikt ernstgenommen werden.

Als Mitglied dieses EP-Ausschusses seit 1999 bin ich absolut der Meinung, dass die israelischen Sicherheitsinteressen und Vorsorgemassnahmen gegenüber den Palästinensern und der ganzen Region nicht in überzeugender Weise von den EU-Institutionen mitgetragen werden. Wie sehen Sie das als Sicherheitsexperte?

Israel legt seit seiner Gründung viel Wert darauf, selbst verantwortlich für die eigene Sicherheit zu sein. Zumal sich der Einsatz internationaler Truppen an Israels Grenzen bislang als eher begrenzt hilfreich erwiesen hat – um es vorsichtig zu formulieren. Man denke hier bspw. an die UNIFIL im Südlibanon, deren fast 40jährige Präsenz nicht verhindern konnte, dass die Hisbollah sich auf den nächsten Waffengang mit Israel vorbereiten kann und mittlerweile zehntausende Raketen im Grenzgebiet stationiert hat.

“Brüssel ist der grösste internationale Geldgeber der Palästinenser.”

Gleichwohl benötigt Israel natürlich Verbündete – sei es mit Blick auf die Rüstungskooperation oder auf dem internationalen diplomatischen Parkett. Hier könnte die EU eine gewichtige und wertvolle Rolle spielen. Wie oben schon angedeutet, sprechen sicherheits- und wirtschaftspolitische Interessen, aber auch normative Gründe für gute Beziehungen zwischen Brüssel und Jerusalem.

Ich bin allerdings ganz der Meinung, dass die EU im Bereich der israelischen Sicherheitspolitik wenig Verständnis zeigt. Oftmals erscheinen mir die Statements aus Brüssel als Reaktion auf die israelische Sicherheitspolitik einseitig, voreingenommen und gelegentlich ignorant.

Politische Statements sind eine Sache; aber viel schwerwiegender ist eine EU-Politik die Israels Feinde aktiv fördert. In erster Linie ist hier an die massive Finanzierung der PA durch die EU zu denken. Brüssel ist der grösste internationale Geldgeber der Palästinenser. Um das klar zu stellen: An der finanziellen Unterstützung der PA ist an sich nichts auszusetzen. Eine stabile palästinensische Administration ist im Interesse aller. Allerdings scheinen EU-Gelder nicht nur in den Taschen von PA-Funktionären zu verschwinden, sondern fliessen teilweise auch in die Finanzierung von Terror gegen Israel – bspw. werden damit nach Medienberichten Abfindungszahlungen an die Familien von palästinensischen Terroristen gezahlt. Darüber hinaus werden im Gazastreifen womöglich EU-Hilfsgelder für den Bau des Tunnelsystems der Hamas missbraucht. Ferner finanziert die EU NGOs, die der BDS-Bewegung angehören. Derartige Massnahmen gefährden zweifelsohne Israels Sicherheit und sind inakzeptabel.

Meiner Ansicht nach fehlt in Europa oft ein Grundverständnis von Israels prekärer Sicherheitslage. Der jüdische Staat existiert seit fast 70 Jahren in einer äusserst feindlichen Umwelt. Abgesehen von Jordanien und Ägypten, mit denen Jerusalem einen (kalten) Frieden geschlossen hat, ist die gesamte arabische Staatenwelt Israel feindlich gesonnen. Hinzu kommt die permanente Gefahr von Terroranschlägen. In der jüngsten Terrorwelle kam es seit September 2015 unter anderem zu 169 Messerattacken, 133 Anschlägen mit Schusswaffen und 55 Angriffen mit Autos. Dabei wurden 47 Israelis getötet und über 650 verletzt. Terrorismus ist ein fast schon alltägliches Sicherheitsproblem in Israel. Ich vermute allerdings, dass die islamistischen Anschläge in Europa auch in der EU ein Umdenken einleiten werden. Europa kann (und sollte) einiges von Israel in der Terrorismusbekämpfung lernen!

Sie haben in Ihrer Publikation über “Die Baupolitik der EU in der Westbank“ selber auch fundamentale Kritik an Brüssel ausgesprochen. Können Sie bitte Ihre Stellungnahme in dieser wichtigen politischen Sache zusammenfassen?

Die EU finanziert Bau- und Infrastrukturprojekte in Teilen der Westbank, die unter israelischer Verwaltung stehen, ohne dieses Vorgehen mit Jerusalem abzustimmen. Brüssel setzt sich damit über geltendes Recht hinweg und gefährdet Israels Sicherheit.

Die primäre Zielgruppe der europäischen Wohltätigkeit sind in diesem Fall Beduinen, die entlang des Highway 1 zwischen Jerusalem und dem Toten Meer siedeln. Dieses Territorium gehört zu den sog. C-Gebieten, die rund 60 Prozent des Westjordanlandes ausmachen und im Oslo II-Abkommen zwischen Israel und der PA der vollen israelischen Verwaltung übergeben wurden. Israel plant für die Beduinen den Bau einer neuen Stadt im Norden Jerichos. Dessen ungeachtet fördert die PA den Bau permanenter Wohnstrukturen entlang der Ost-West-Verkehrsader ohne die rechtlich notwendige Koordination mit Israel. Ermöglicht und unterstützt wird diese Politik durch die EU. Brüssel finanziert die Anschaffung und Errichtung von hunderten von vorgefertigten Wohncontainern. Zwischen 2006 und 2012 verdoppelten sich derartige Bauten ohne israelische Genehmigung entlang des Highway 1 von 202 auf 412. Bis März 2014 stieg deren Anzahl noch einmal um fast 100 Prozent auf 774.

Ein Blick in entsprechende EU-Dokumente offenbart die politischen Hintergründe: Im September 2012 liess die Kommission verlauten, dass sie 100 Mio. Euro in Projekte für die arabische Bevölkerung im C-Gebiet investieren werde. 7 Mio. Euro sind der „Landerschliessung und grundlegenden Infrastrukturen in Zone C“ gewidmet. Die EU-Mittel sollen dazu dienen, „die zuständigen palästinensischen Behörden dabei zu unterstützen, neue Infrastrukturen zu planen und aufzubauen und der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, ihr Land wiederzuerlangen und neu zu bebauen.“ Im Humanitarian Implementation Plan vom September 2014 stellt die EU klar: „Die PA sollte dabei ermutigt werden, die operative Unterstützung für die Menschen im C-Gebiet weiter auszubauen […]. Die Europäische Union und die PA beteiligen sich nun aktiv an der Bauplanung im C-Gebiet, was der PA den Weg zu mehr Entwicklung und mehr Autorität über das C-Gebiet ebnen kann.“  Konkret zielen diese Massnahmen darauf, das Gebiet zwischen Jerusalem und dem Jordantal dauerhaft durch Araber zu besiedeln, um damit Fakten zu schaffen und ein zukünftiges palästinensisches Staatsgebiet als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses vorwegzunehmen.

Bei dem Korridor entlang des Highway 1, der von Jerusalem über Maale Adumim an das Tote Meer führt, handelt es sich nicht nur um C-Gebiet, das nach geltendem Recht (Oslo II) der israelischen Verwaltung unterliegt, sondern es ist von eminenter strategischer Bedeutung für Israel. Im Falle einer Sicherheitsbedrohung an der Ostgrenze lassen sich über die Strasse schnell und direkt grosse Truppenverbände ins Jordantal verlegen.

Nach jahrelanger Zurückhaltung ordnete Premierminister Netanyahu 2015/2016 die Zerstörung von hunderten Baustrukturen an, die von der EU in diesem Gebiet finanziert wurden.

In der NZZ vom Mittwoch 1. Februar 2017 widmete der Israelkorrespondent Ulrich Schmid eine ganze, informative Seite der jüngsten israelisch-beduinischen Kontroverse über die Umstände des Todes des beduinischen Lehrers Yakub Abu al-Kiyan. War es ein Attentat? Die NZZ titelte über Schmids Beitrag “Verpasste Chance im Land der Beduinen — Die Regierung Netanyahu zeigt im Umgang mit den einstigen Nomaden im Negev wenig Fingerspitzengefühl“. Stimmen Sie dieser Schlagzeile zu?

Ulrich Schmids Artikel ist in der Tat ein hervorragend unaufgeregter und sachlicher Beitrag zur Debatte um die tragischen Vorkommnisse in dem Beduinen-Dorf Umm al-Hiran am 18. Januar 2017, bei denen der Lehrer al-Kiyan und der Polizist Erez Levi ums Leben kamen.  Ob es sich tatsächlich um einen Terroranschlag handelte, ist noch immer unklar.

Der Hintergrund dieses Vorfalls bildet die jahrzehntealte Problematik um die Ansiedlung der rund 130.000 Beduinen in der nördlichen Negev. Israel siedelte die Beduinen Anfang der 1950er Jahre im Gebiet um Dimona, Arad und Beersheva an. Seit den 1970er und 1980er Jahren versucht Israel die Beduinen dauerhaft in regulären Städten mit der entsprechenden Infrastruktur anzusiedeln. Die Beduinen weigern sich jedoch zum Teil vehement dagegen und verweisen auf ihren traditionellen Lebensstil.

So auch in Umm al-Hiran. Israel bot den Bewohnern an, in die nahe Stadt Hura umzusiedeln und zahlte als weiteren Anreiz Entschädigungen für die Unannehmlichkeiten. Ein Grossteil des Beduinenklans hat das Angebot dankend angenommen. Zu Recht weist Schmid auf die seltsame Situation hin, dass es einige Beduinen vorziehen, in heruntergekommenen Wellblechverschlägen ohne Infrastruktur zu leben, anstelle der Städte, die Israel für sie baut und die Zugang zu Wasser, Elektrizität und medizinischer Versorgung bieten. Die NGOs, die sich die Sache der Beduinen auf die Fahne geschrieben haben, sind daran sicherlich nicht ganz unschuldig.

Während einer Debatte des EU-Parlaments. Foto Screenshot Youtube
Abgeordnete (rechts) der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke während einer Debatte des EU-Parlaments 2014. Foto Screenshot Youtube

In der aufgeheizten Situation war es tatsächlich wenig hilfreich, dass israelische Politiker unmittelbar eine Verbindung zwischen al-Kiyan und dem Islamischen Staat herstellten. Im Juli 2015 waren in Hura, in dem benachbarten Beduinendorf, in dem al-Kiyan als Mathe-Lehrer arbeitete, vier Lehrer festgenommen wurden, weil sie eine IS-Zelle aufgebaut hatten und Propaganda unter Schülern verbreiteten. Doch dies kann natürlich kein Argument für einen Generalverdacht sein. Insofern ja, etwas mehr Fingerspitzengefühl kann in Zukunft nicht schaden.

Während unseres Gesprächs in Jerusalem erzählten Sie mir, wie schwer es ist palästinensische Schüler, aber auch Akademiker, für eine objektivere Sicht auf die jüdische Geschichte und Präsenz im Heiligen Land zu gewinnen. Erläutern Sie gerne Ihre konkreten Erfahrungen als Historiker. Meiner Meinung nach ist diese klare und kontinuierliche palästinensische Verneinung der jüdischen Geschichte im Heiligen Land und somit auch des Existenzrechtes des jüdischen Staates Israel die wichtigste Blockade der Zwei-Staaten-Lösung. Diese primäre Sache wird in der EU einfach und unverantwortlich übergangen, mit allen bedauerlichen Folgen.

Geschichte und Archäologie sind in Jerusalem hochpolitisch. Dies habe ich im Rahmen eines Geschichtsprojekts mit der Schmidt-Schule in Jerusalem selbst erfahren können. Dabei handelt es sich um eine deutsche Schule für arabische Mädchen. Der Unterricht ist zum Grossteil auf Deutsch und Schülerinnen können auch das deutsche Abitur erwerben. Allerdings heisst das auch, dass der Lehrplan in Geschichte auf deutsche Geschichte fokussiert. Genau hier setzt das Projekt „Meine Stadt“ an. Als wissenschaftliche Mitarbeiter des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem (DEI) wollen meine Kollegin Katja Soennecken und ich den Schülerinnen einen ideologiefreien Zugang zur Geschichte ihrer Stadt vermitteln. Die Zusammenarbeit mit den Schülerinnen der 10. Klasse ist stets herzlich. Die Schülerinnen sind sehr interessiert und wissbegierig. Doch wenn es um die jüdische Geschichte Jerusalems geht, hört der Spass für die meisten schnell auf.

“Die Mär von al-Aqsa is in danger“

Insbesondere die Existenz des jüdischen Tempels ist ein grosses Problem für viele Schülerinnen. Dabei bewegt sie die Befürchtung, dass „die Israelis“ den Felsendom jederzeit in die Luft sprengen könnten, um dann den dritten Tempel zu errichten. Diese irrationale Angst ist bereits in 15jährigen Schülerinnen tief verankert und führt zur vollständigen Negierung der jüdischen Geschichte Jerusalems. Archäologische und schriftliche Quellenbelege für die Existenz des Tempels werden schlicht und einfach als „zionistische Fälschungen“ vom Tisch gewischt.

Diese gefährlichen Märchengeschichten sind weit verbreitet in der arabischen Gesellschaft und werden von offiziellen Stellen bewusst verbreitet. Ein promovierter Historiker der al-Quds Universität erzählt bspw. bei englischsprachigen Stadtführungen an Expats und Touristen allen Ernstes, dass die herodianischen Umfassungsmauern des Tempelbergs in Wirklichkeit von den muslimischen Umayyaden stammen, unter deren Herrschaft Ende des 7. Jh. der Bau des Felsendoms und der al-Aqsa Moschee fällt. Wer etwas anderes erzähle, würde lediglich israelische Propaganda verbreiten. Ähnliches weiss auch der deutschsprachige Touristenführer des Waqf, der islamischen Stiftung, die Haram ash-Sharif verwaltet, bei Führungen auf dem Tempelberg zu berichten. Fernab der Wahrheit erzählt er, dass israelische Archäologen das Plateau des Tempelbergs mit Tunneln unterhöhlen würden. Eine Existenz des jüdischen Tempels leugnet auch er.

Die Mär von „al-Aqsa is in danger“ wurzelt bereits in den 1990er Jahren und wird v. a. von der Islamischen Bewegung propagiert. Die Legende wird gezielt dazu genutzt, die muslimischen Araber gegen Israel aufzuhetzen.

In der Tat machen es derartige Geschichtskonstruktionen schwer, Empathie für die Gegenseite zu erzeugen. Im Gegenteil: Sie führen zu verhärteten Fronten. Solange palästinensische Autoritäten dem nicht explizit entgegentreten und Aufklärung betreiben, scheint mir eine Annäherung wenig erfolgversprechend.

Zum Schluss und unausweichlich im Augenblick: Was erwarten Sie vom Verhältnis USA-Israel unter dem 45. amerikanischen Präsidenten Donald Trump? Und welche Folgen wird diese neue (geo-)politische Konstellation für die europäisch-israelischen Beziehungen haben?

Die Zukunft der israelisch-amerikanischen Beziehungen ist sicherlich derzeit eine der spannendsten und meist diskutiertesten Fragen in Israel. Barak Obama hatte sich mit der Enthaltung der USA bei Resolution 2334 im UN Sicherheitsrat im Dezember 2016 mit einem Paukenschlag verabschiedet. Folgt man israelischen Medienberichten waren die Beziehungen zwischen Obama und Premierminister Netanyahu stets angespannt. Doch sollte man nicht vergessen, dass die Obama-Administration Israel Militärhilfen in der Höhe von 38 Mrd. US-Dollar für die nächsten 10 Jahre gewährt hat – mehr als jedem anderen Land zuvor.

Mit Blick auf Präsident Trumps Israelpolitik ist noch vieles ungewiss. Die Ankündigung die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, wurde in Israel mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Doch es bleibt abzuwarten, ob Präsident Trump dieses Vorhaben in die Tat umsetzen wird. Trumps Politik ist zuweilen von abrupten Richtungswechseln gekennzeichnet.

„America first“ ist Trumps Devise – d.h. solange eine enge Kooperation mit Israel im Interesse der USA ist, sieht es für Jerusalem gut aus. Was aber, wenn Trump zu der Überzeugung gelangt, dass es – aus welchen Gründen auch immer – nicht im Interesse der USA ist, Israel zu unterstützen? Werden normative Gründe dann ausreichen, um Israel in Trumps Augen als Verbündeten zu betrachten? Ich bin mir dahingehend nicht sicher.

Israels Regierung feierte derweil euphorisch die Präsidentschaft Trumps und hat bereits den Bau neuer Wohnungen in den Siedlungen verkündet. Darauf reagierte das Weisse Haus zurückhaltend und liess verlauten, dass der Ausbau der Siedlungen nicht hilfreich sei. Heute, Mittwoch, 15. Februar, werden sich Präsident Trump und Premier Netanyahu in Washington treffen. Von diesem Gespräch wird vieles abhängen. Danach werden wir vielleicht eine bessere Vorstellung von Trumps Israelpolitik und der persönlichen Beziehungen zwischen Trump und Netanyahu bekommen.

Sollte sich der bisherige Trend einer deutlichen pro-israelischen Politik der Trump-Administration bestätigen, könnte dies meines Erachtens zu einer (weiteren) Verschlechterung der europäisch-israelischen Beziehungen führen. Mit der Unterstützung Washingtons wird Israel selbstbewusst agieren können, was für mehr Verstimmung in Brüssel sorgen wird. Dessen ungeachtet, wird die EU nach wie vor ein wichtiger Handelspartner Jerusalems bleiben.

Weitere geostrategischen Konsequenzen bleiben bislang noch abzuwarten. Es wird sich zeigen müssen, welche Bedeutung die Trump-Administration dem Nahen Osten beimisst und wie sehr das Weisse Haus auf die EU als Partner setzt. Ich vermute, dass Trumps Aussenpolitik noch die eine oder andere Überraschung bereithalten wird.

Marcel Serr ist Historiker und Politikwissenschaftler.

1 Kommentar

  1. in den oben gennanten artikel steht geschrieben das jordanien das land besetzt habe Jordanien hatte das Gebiet im Krieg gegen Israel 1948/49 besetzt und 1950 völkerrechtswidrig annektiert. Insofern lässt sich die Westbank eher als umstrittenes Territorium verstehen, auf das sowohl Israel als auch die Palästinenser Ansprüche erheben,aber 1948 bis 1967 gab es doch keine palestinenser die jordanier sind doch die palistinenser haben sie es verstanden palis und jorda sind die selben araber die sind einfach da geblieben und sie haben den krieg verloren und sie stellen immer wieder bedingung und erpressen die europaer

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