Die tatsächlichen Cyber-“Kapazitäten” der Hamas und die “ISIS-Gefahr” in Israel

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Mehrere Frauen die Hamas als
Mehrere Frauen die Hamas als "Lockvogel" bei Facebook eingetragen hatte. Foto IDF Spokesperson's Unit
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Nachdem Hamas-Mitglieder erfolgreich die Mobiltelefone von Dutzenden IDF-Soldaten hackten, wurde die Berichterstattung stark aufgebauscht, ähnlich wie die Gefahr, die von “ISIS-Unterstützern” in Israel ausgehe. In beiden Fällen gilt es, Augenmass zu wahren.

von Amir Rapaport

Die Art und Weise, wie die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) den sogenannten “Cyberangriff” der Hamas gegen IDF-Soldaten in der öffentlich bekannt gab, fühlte sich an als schriebe sie den Qassam- und Grad-Raketen der Terrororganisation das Potenzial von Langstreckenraketen und Satelliten zu.

Die IDF versammelte die lokalen Militärkorrespondenten sowie Vertreter ausländischer Medien und gab ihnen unter anderem ein Briefing des Militärgeheimdienstes – damit ging das Drama los. Doch was ist wirklich dran an der Geschichte? Die Hamas demonstrierte ihre Fähigkeit, gefälschte Profile im Internet zu nutzen, um damit einige israelische Soldaten dazu zu bringen, sich eine vermeintliche Chat App herunterzuladen, die sich als eine einfache, bösartige Software herausstellte, welche die Mobiltelefone hackte.

Dies sind Fähigkeiten, mit denen jeder Möchtegernhacker vertraut ist. Sie sind weit entfernt von den Cyberwar-Kapazitäten Israels und anderer globaler Akteure. In etwa so weit wie Gaza vom Weltraum.

Folgende Fakten sollen dazu dienen, die tatsächlichen Verhältnisse aufzuzeigen: Der Cyberwar hält pausenlos an und die Hamas ist bloss eine Randfigur darin. Soziale Medien sind voller gefälschter Profile, die dort aus zahlreichen Gründen platziert werden. Die Hamas hat diese Vorgehensweise nicht erfunden, genauso wenig wie die Nutzung von Fake-Apps. Die IDF ist bereits seit einigen Jahren mit der Cyberwar-Abteilung der Hamas vertraut. Das Problem in diesem konkreten Fall waren nicht etwa die technologischen Fähigkeiten der Feinde Israels, sondern das Versäumnis der IDF, ihre Soldaten besser über Datensicherheit aufzuklären.

Ein weiterer “Cyberangriff” der Hamas fand ebenfalls vergangenen Monat statt: Dabei platzierte die Hamas eine visuelle Botschaft in der Übertragung des israelischen Channel 10 (Fernsehen), welche via Satellit von einer kleinen Prozentzahl israelischer Zuschauern empfangen wurde. Um ihre Botschaft zu übermitteln, nutzte die Hamas in diesem Falle die Satellitenfrequenz des Senders – diese ist weder vertraulich noch besonders geschützt. Aus wirtschaftlichen Gründen fällt die Übertragungsleistung des Senders sehr gering aus. Ungefähr zehn Minuten vergingen, bis die Rundfunkangestellten auf die “Übernahme” durch die Hamas aufmerksam wurden. Die visuelle Botschaft zu entfernen war ein Kinderspiel, der Sender erhöhte lediglich seine Übertragungsleistung.

ISIS in Israel

Die aufgebauschte Berichterstattung über den Hamas-Cyberangriff befand sich beinahe auf demselben Niveau wie die Berichte über einen tatsächlich wichtigen Sicherheitsvorfall vor einigen Wochen: Die schreckliche LKW-Rammattacke in Jerusalem, bei der vier IDF-Offiziere und Offiziersanwärter getötet und 15 weitere verletzt wurden.

Der Anschlag wurde von einem Terroristen ausgeführt, der nicht als “unmittelbare Bedrohung” galt: der 28-jährige Fadi al-Qanbar aus Jabl Mukaber, Vater von vier Kindern, der von angegriffenen Soldaten erschossen wurde.

Das israelische Sicherheitskabinett tagte unter dem Eindruck einer massiven öffentlichen Empörung über den Anschlag. Ministerpräsident Netanjahu und die anderen Kabinettmitglieder entschieden, dass das Haus des Attentäters so schnell wie möglich abgerissen, sein Leichnam nicht seiner Familie zurückgegeben und sämtliche Anträge für die Vereinigung seiner Familie mit Verwandten in Gaza und dem Westjordanland abgelehnt würden. Zudem entschied das Kabinett, Personen, die offen mit ISIS sympathisieren, in Verwaltungshaft zu nehmen.

“Gemäss allen Hinweisen, die wir haben, handelt es sich beim Attentäter um einen ISIS-Sympathisanten,” sagte Netanjahu.

Der Kabinettentscheid, über den am meisten berichtet wurde, war jener, der die Verwaltungshaft von ISIS-Unterstützern betrifft. Auch hier gilt es, Augenmass zu wahren. Tatsächlich war diese Entscheidung eine ziemliche Überraschung für den Sicherheitsapparat des Landes und relativ schwierig umzusetzen, da es keine Organisation namens ISIS in Israel gibt. Die Entscheidung benennt “ISIS-Unterstützer” aber dies zwingt den Inlandgeheimdienst Shabak dazu, in die Gedanken und Gemüter von Einzelpersonen einzudringen, denn ISIS ist mehr ein Konzept denn eine Organisation.

Gedanken können nicht gelesen werden, deshalb sucht der Sicherheitsapparat derzeit nach ISIS-Unterstützern, die – basierend auf Statements in den sozialen Netzwerken und Informationen von Shabak-Mitarbeitern im Aussendienst – ein besonderes Risiko darstellen.

Unter diesen Umständen werden, auch wenn nur wenige “ISIS-Unterstützer” gemäss der Entscheidung des Kabinetts in Verwaltungshaft festgenommen werden, als eine Menge angesehen.

Doch wie sieht es mit tatsächlichen ISIS-Aktivitäten in Israel aus?

Analysen des Shabak legen nahe, dass es drei Knotenpunkten gibt, die der Etablierung von kleinen ISIS-Zellen gleichkommen: im Norden des Landes, unter den Beduinen im Negev und in Ostjerusalem.

Im Norden wurden in der arabischen Stadt Sakhnin im Jahr 2014 sieben Araber verhaftet, die verdächtigt wurden, in ISIS-Aktivitäten involviert zu sein. Während ihres Verhörs durch den Shabak gaben die Mitglieder der Zelle zu, eine Gruppe geformt zu haben, die der salafi-jihadistischen Ideologie entspricht, welche den globalen Jihad befürwortet. Infolge hätten sie der radikalen Ideologie von ISIS ihren Treueeid geschworen.

Gemäss Shabank hätten die Ermittlungen ergeben, dass einige Mitglieder der Organisation sich mehrmals mit einem bekannten Jihadisten-Scheich (gemeint damit ist ein Anführer, Anm. d. Red.) getroffen. In ihren Treffen mit dem Scheich hätten sie sich auf religiöse Studien und die Einführung in den Salafi-Jihadismus fokussiert. Der Scheich ermutigte sie, neue Mitglieder durch religiöse Missionierung anzuwerben und andere vom Glauben an den Jihad zu überzeugen.

Die Mitglieder dieser gesetzwidrigen Organisation hielten geheime Treffen ab, in denen sie die salafi-jihadistische Ideologie, über die ISIS-Aktivitäten in Syrien, sowie über ihre Vorbereitungen, nach Syrien zu reisen und dort zu kämpfen diskutierten. Ihre Treffen beinhalteten unter anderem Training in der Herstellung von Molotow-Cocktails und die Schlachtung von Tieren, um sie mental auf die Schlachtung von Ungläubigen auf syrischem Boden vorzubereiten. Zudem kommunizierten Gruppenmitglieder via Internet mit ISIS-Aktivisten in Syrien, inklusive israelischen Arabern, die nach Syrien gereist waren, um sich ISIS anzuschliessen.

In diesem Falle wurden Standard-Verfahren gegen die ISIS-Mitglieder eingeleitet, inklusive Anklagen. Verwaltungshaft wurde nicht angeordnet, denn diese Massnahme dient normalerweise dazu, Sicherheitsrisiken im Vorfeld zu verhindern. Die war der Fall bei einer Gruppe im Beduinendorf Khureh in der Nähe von Dimona, von denen einige als Lehrer im israelischen Bildungssystem arbeiteten. Sie wurden beschuldigt, Mitglieder von ISIS zu sein.

Im Einklang mit denen oben beschriebenen Gegenmassnahmen gibt es derzeit keine Informationen über signifikante ISIS-Zellen in Israel oder Ostjerusalem. Im Westjordanland gibt es ebenfalls keine signifikante ISIS-Aktivitäten und sämtliche Versuche werden nicht nur vom Shabak, sondern auch den palästinensischen Sicherheitskräften bekämpft.

Gemäss Informationen des Sicherheitsapparates sind die bedeutendsten ISIS-Aktivitäten mit israelischen Identitätskarten jene, welche sich ISIS in Syrien und Irak angeschlossen haben. Bislang sind ungefähr 60 israelische Araber ins Kriegsgebiet gereist, 11 wurden im Kampf getötet. Die hohe Anzahl an Verlusten und Niederlagen, welche ISIS auf dem Schlachtfeld erlitt, hat den ISIS-Rekrutierungsbemühungen in Israel ein nahezu komplettes Ende gesetzt. Die Bemühungen halten in kleinem Masse im Internet an.

Amir Rapaport ist der Gründer und Chefredakteur des IsraelDefense Magazine – ein internationales Magazin zu israelischen Militär- und Verteidigungsangelegenheiten. Er ist ehemaliger militärischer Korrespondent und Kommentator, Autor und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Begin-Sadat-Zentrum für Strategische Studien (BESA) der Bar-Ilan University. Auf Englisch zuerst erschienen bei IsraelDefense Magazine.