Was steht wirklich hinter einem Wirtschaftsboykott gegen Israel?

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Symbolbild. Foto Magne Hagesæter / Flickr.com, CC BY-NC-ND 2.0
Symbolbild. Foto Magne Hagesæter / Flickr.com, CC BY-NC-ND 2.0
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Vor kurzem machte Trondheim in der jüdischen Presse Schlagzeilen. Die norwegische Stadt hatte einen Boykott über alle israelischen Erzeugnisse aus Judäa und Samaria verhängt und forderte die Bevölkerung nachdrücklich auf, sich dem Boykott anzuschliessen. Was hier besonders auffällt? Die Massnahme bezieht sich ausschliesslich auf Israel.

Kein anderes Land wird in Trondheim ähnlich ausgegrenzt — weder China wegen Tibet, noch Iran ob der Massenmorde, noch Russland im Zusammenhang mit der Krim, noch Syrien wegen Kriegsverbrechen. „Eine solche Doppelmoral ist, laut Definition  der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance), antisemitisch“, erklärt dazu Manfred Gerstenfeld.

Der Publizist und ehemalige Präsidiumsvorstand des Jerusalem Center for Public Affairs weist zudem darauf hin, dass Norwegen zu den 31 Ländern gehört, die diese Definition abgesegnet haben. Trotzdem schreitet die Boykott-Initiative gegen Israel dort ungestört voran. Jedenfalls hat die Rødt-Partei nun auch den Stadtrat in Tromsø aufgefordert, sich anzuschliessen.

Dass der Wirtschaftsboykott gegen Israel, im Gegensatz zu einem Dialogansatz, weniger dem Frieden dient, als die Feindschaft schürt, gilt mittlerweile als ausgemacht. Dass er der palästinensischen Bevölkerung mehr schadet als nützt, auch. Schliesslich ist spätestens seit der Schliessung der SodaStream-Fabrik im Westjordanland klar, dass viele Palästinenser im Zuge einer solchen Aktion ihren Arbeitsplatz verlieren.

„Der Antisemitismus hat religiöse, ethnische und nationale Komponenten“

Hinter einem Boykott, der sich gegen Israel und nur gegen Israel richtet, steckt also nicht der engagierte Einsatz für Frieden und Menschenrechte, sondern der nur dürftig als Antizionismus-getarnte Antisemitismus.

Wie aber kommt es dazu? „Der Antisemitismus hat religiöse, ethnische und nationale Komponenten“, erklärt Manfred Gerstenfeld auf Anfrage von Audiatur-Online. Die ersten beiden Komponenten entsprächen dem klassischen Antisemitismus, die dritte wäre eine neuere Permutation des alten Ressentiments und richte sich gegen den Staat Israel. Auch in Norwegen, so Gerstenfeld, seien alle drei Komponenten im Spiel. So habe die Lutherische Kirche bereits vor Jahren den Grundstein für den religiösen Antisemitismus gelegt; der ethnische Aspekt sei von der Regierung Quisling verkörpert worden; für die Anti-Israel-Komponente würden schliesslich einige aktuelle, politische Parteien, vor allem die Arbeiterpartei und die SV, die sozialistische Linkspartei, verantwortlich zeichnen. Zwar habe Israel heute sowohl in der Lutherischen Kirche, als auch bei den politischen Parteien Freunde; sie könnten dem fortschreitenden Antisemitismus aber nicht Einhalt gebieten.

Tatsächlich werden in Norwegen nicht nur israelische Produkte, sondern auch Universitäten und kulturelle Institutionen systematisch boykottiert. Zudem gibt es klassische, antisemitische Übergriffe. Beispiele: Erst voriges Jahr gab die DNB, Norwegens grösste Bank, eine VISA-Karte heraus, die mit einer Stürmer-ähnlichen Karikatur verziert war. Die Tageszeitung Dagbladet publizierte ihrerseits eine Karikatur, die den Austausch von 1027 palästinensischen Gefangenen für Gilad Shalit mit dem Buchenwald Nazi-Symbol: “Jedem das Seine” versah.

Wie aber reagieren die lokalen, jüdischen Institutionen? In Trondheim, etwa, zunächst mit Stillschweigen und danach mit der Weigerung, den Boykott zu verurteilen. Offizielle Begründung: Es handle sich um ein Politikum. Dazu wolle man keine Stellung nehmen.

„Die jüdische Gemeinde hat beschlossen, den Kopf in den Sand zu stecken“, meinte daraufhin ein Vertreter des israelischen Aussenministeriums erbost. Offenbar hat die gerade mal 100-Mann hohe Organisation aber gar keine andere Wahl. „Ein öffentlicher Protest wäre Selbstmord“, versichert Gerstenfeld, weil die Gemeinde dann vielleicht auf essentielle Zuwendungen verzichten müsste. Zwar stünde Norwegen für eine freie Meinungsäusserung — allerdings nur mit Konsequenzen. „Die Kontrolle der öffentlichen Meinung ist in Norwegen derart stark, dass es fraglich ist, ob man noch von einem freien, demokratischen Staat sprechen kann,” bestätigt auch Hanne Nabintu Herland. Der Religionshistorikerin soll der Doktortitel vorenthalten worden sein, weil sie sich gegen die Regierung geäussert hatte.

Die jüdischen Gemeinden in Norwegen befinden sich also in einer Zwangslage. Umso wichtiger scheint es, dass andere internationale Gemeinden in die Bresche springen und im Propagandafeldzug gegen Israel die Offensive ergreifen. Das ist allerdings nicht immer der Fall. Auch im restlichen Europa üben sich viele, in Sachen Israel, in ängstlicher Zurückhaltung.

Was aber bringt eine solche Furchtsamkeit? Sicherheit und Popularitätszuwachs, wie die Geschichte zeigt, wohl nicht; dafür jede Menge Respektverlust und Solidaritätseinbussen im nichtjüdischen Umfeld. Zudem setzt die Haltung eine Signalwirkung. Schweigen die am nächsten Betroffenen, wenn sie sprechen können, so erteilen sie auch anderen einen grosszügigen Freibrief, den neuen, galoppierenden Antisemitismus zu tolerieren.

Wenn aber Juden im „aufgeklärten Westen“ nicht für sich und ihresgleichen einstehen, wer dann? Israel dann! Jedenfalls liess das israelische Aussenministerium, ob der Schlagzeilen über Trondheim, kürzlich verlautbaren: „Der Staat Israel wird immer hinter den Juden der Welt stehen.“

Über Yvette Schwerdt

Yvette Schwerdt ist internationale Marketingexpertin und Wirtschaftsjournalistin. Sie schreibt und referiert regelmäßig über neue Trends und Entwicklung in ihrem Fachbereich. Besonders am Herzen liegen ihr auch die Themen Israel, jüdische Geschichte und jüdische Kultur. Yvette ist, aufgrund ihrer mehrsprachigen, multikulturellen Ausbildung und ihrer internationalen Laufbahn, in Israel, Amerika und im deutschsprachigen Raum gleichermaßen zu Hause.

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