Die Verteidigungsdoktrin Israels

1
Soldaten der IDF "Home Front Command’s Search and Rescue Brigade". Foto Alexi Rosenfeld, IDF Spokesperson Unit
Lesezeit: 4 Minuten

Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) haben im vergangenen Jahr zum ersten Mal ihre strategische Doktrin öffentlich publiziert. Seit kurzem liegt das Dokument auch auf Englisch vor.

Seit der Staatsgründung im Mai 1948 ist kein Tag vergangen, in dem sich Israel nicht mit zahlreichen Bedrohungen konfrontiert sah. Diese reichten von konventionellen Kriegen in den ersten Jahrzehnten, über den palästinensischen Terrorismus der zweiten Intifada, bis hin zu Proxy-Konflikten mit dem Iran und seinen Stellvertretern in Gaza und Libanon.

In diesem strategischen Umfeld ist Israel gezwungen, seine Verteidigungsdoktrin konstant anzupassen, um neue Bedrohungen durch seine Feinde – ein aktuelles Bespiel ist die Tunnelkriegsführung der Hamas – neutralisieren zu können.

Die strategischen und taktischen Überlegungen hat die IDF mehrheitlich nie öffentlich zugänglich gemacht, weshalb Diskussionen darüber auch immer unter gewissen Vorbehalten erfolgen mussten. Es ist deshalb bemerkenswert, dass sich der neue Generalstabschef Gadi Eizenkot im vergangen Jahr dazu entschied, eine öffentliche Version der strategischen Doktrin der IDF zu publizieren – eine Premiere in der Geschichte der israelischen Streitkräfte.

Kampf gegen Terrororganisationen

Das Dokument listet die mannigfaltigen Bedrohungen auf, mit denen sich die IDF konfrontiert sieht. Solche Bedrohungen gehen aus von Staaten wie dem entfernten Iran, dem nahe Libanon und dem sich in Auflösung befindenden Syrien, über substaatliche Organisationen wie Hisbollah und Hamas bis hin zu Terrororganisationen ohne Verbindungen zu einem partikularen Staat wie z.B. dem Palästinensischen Islamischen Jihad oder dem Islamischen Staat.

Zudem hält die Doktrin fest, dass die Bedrohung durch reguläre Armeen abnimmt, während hingegen jene durch irreguläre oder semireguläre substaatliche und vom Iran unterstützte Organisationen zunimmt. Auch wenn sie nicht explizit genannt werden, erscheint offensichtlich, dass damit insbesondere Hisbollah und Hamas gemeint sind. Insbesondere auch, weil die Doktrin das Streben dieser Organisationen nach Staatlichkeit herausstreicht.

Israels Feinde bemühen sich gemäss der Doktrin, ihre Feuerkraft zu bewahren, indem sie diese unter anderem dezentralisieren und tarnen und vor allem in ein ziviles Umfeld integrieren, welche es der IDF erschwert, sie erfolgreich zu neutralisieren und aufgrund der Anwesenheit von Zivilisten ihre Aktionsfreiheit einschränkt.

Das Dokument betont den multidimensionalen Ansatz von Israels Feinden, der darauf abzielt, den jüdischen Staat kontinuierlich durch Cyberangriffe, die Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung und juristische Massnahmen zu schwächen. Dazu kommen terroristische Aktivitäten im In- und Ausland, sowie Entführungen von Zivilisten und Soldaten als Druckmittel.

Israel begegnet diesen Bedrohungen mit einem Konzept, das auf vier Grundsätzen beruht:

  1. Vermeidung von Konfrontationen und Abschreckung des Feindes
  2. Frühwarnungen und Geheimdienstinformationen über die Kapazitäten und Absichten des Feindes
  3. Verteidigung und Schutz
  4. Sieg über den Feind

Abschreckung ist eines der Grundprinzipien in der Doktrin der IDF schreibt Graham Allison, Direktor des Belfer Center an der Harvard Universität, der die Übersetzung in Auftrag gegeben hat. In der Tat wird Abschreckung in dem Dokument ausführlich behandelt. Dabei hält die IDF fest, dass dieses Prinzip nicht nur spezifisch auf jeden Feind zugeschnitten werden muss. Vielmehr muss sie auch limitierte Offensivaktionen beinhalten, um glaubwürdig zu wirken.

Keine Überschreiten der roten Linie

An dieser Stelle ist ein Vergleich mit den Vereinigten Staaten interessant. Während Präsident Obama im Jahr 2013 verkündete, dass der Einsatz von chemischen Waffen in Syrien eine “rote Linie” darstellen, deren Überschreiten ein militärisches Eingreifen durch die USA zur Folge hätte, setzte er diese Drohung bekanntermassen nie in die Tat um. Israel hingegen interveniert periodisch in Syrien, wenn es seine eigenen “roten Linie” verletzt sieht, etwa durch den Transfer komplexer Waffensysteme an die Hisbollah.

Im Falle, dass Abschreckung alleine nicht ausreicht, setzt die IDF auf eine offensive Ausrichtung mit dem Ziel, eine rasche Entscheidung auf dem Schlachtfeld herbeizuführen. Dadurch soll eine aktive Bedrohung möglichst schnell neutralisiert und das Schadensausmass minimiert werden.

Diesen Ausführungen zum Trotz hält die Doktrin fest, dass Israel eine friedliebende Nation ist, die Konfrontationen zu vermeiden versucht und Frieden mit ihren Nachbarn anstrebt. Ob die IDF-Doktrin Israel dabei helfen kann, diese Ziele zu erreichen, wird sich in den folgenden Jahren zeigen.

Die komplette Doktrin in englischer Sprache: Deterring Terror- How Israel Confronts the Next Generation of Threats. English Translation of the Official Strategy of the Israel Defense Forces. Special Report. Harvard, MA: Belfer Center for Science and International Affairs, August 2016.

1 Kommentar

  1. Vielen Dank.
    Ich hoffe sehr, dass es noch einen Anhang gibt, der Russlands Einmischung in Syrien berücksichtigt (und bald – mit Ägypten zusammen – auch in Libyen?).

Kommentarfunktion ist geschlossen.