Israel im politischen Tiefschlaf

1
Symbolbild Cafe Aroma Foto Nati Shohat/Flash90
Lesezeit: 4 Minuten

Während die Kinder ihre Ranzen packen, um zum Ende der Sommerferien wieder in die Schule zu gehen, befindet sich die grosse Politik in Israel immer noch im Tiefschlaf. Traditionell glaubt die Opposition, dass es ihre Aufgabe sei, umgehend die Regierung zu stürzen. Das war immer schon so, gleichgültig ob die linken Sozialisten oder die rechten Konservativen an der Macht waren.

Im Sommerloch gab es deshalb nur wenige berichtenswerte politische Entwicklungen. Einen bedeutsamen Erfolg errang immerhin Israels Diplomatie wegen den winzigen, nur wenige Gramm wiegenden Halva-Riegeln, die „Brussels Airlines“ zum Dessert reichten. Weil sich angeblich ein Passagier über den Riegel beschwert hatte, wohl kaum wegen des Vanillegeschmacks, nahm die Fluggesellschaft die Süssigkeit aus ihrem Programm. Die Halva-Riegel hätten nicht der Bestellung der Tochtergesellschaft der deutschen Lufthansa entsprochen, hiess es in einer Stellungnahme der Fluggesellschaft. Weil offensichtlich mal wieder die pro-palästinensische Organisation BDS aktiv war und sich über das Produkt einer Fabrik im „illegal besetzten Westjordanland“ beschwerte, wurden die Diplomaten der israelischen Botschaften in Berlin und Brüssel angewiesen, gegen diesen „Boykott“ vorzugehen. Nachdem auch zahlreiche Fluggäste ihre Tickets nach Tel Aviv bei „Brussels Airlines“ storniert hatten, gab der Unternehmer nach. Ein paar Gramm Halva mit Vanillegeschmack wogen offensichtlich die wirtschaftlichen Verluste durch einen Boykott der Fluggäste auf der angeblich sehr lukrativen Strecke nach Tel Aviv nicht auf.

Mindestens ebenso mysteriös war ein Spruch des ehemaligen Premierministers der Arbeitspartei Ehud Barak. Der hatte 2001 die Wahlen haushoch an Ariel Scharon verloren, weil er erst im amerikanischen Camp David zu präzedenzlosen Konzessionen an den palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat bereit war und dann „völlig überrascht“ worden war von dem plötzlichen Ausbruch, der seit Mai 2000 vorbereiteten und geplanten 2. palästinensischen Intifada. Barak hat inzwischen sein „Babyface“ mit einem männlichen Bart geschmückt und bei einem öffentlichen Auftritt der Regierung ein „schlimmes Sicherheitsversäumnis“ vorgeworfen. Selbst dem Vorsitzenden des streng geheimen Sicherheitsrates der Knesset wollte Barak keine Einzelheiten verraten. So müssen die Israelis damit leben, einer riesigen Gefahr ausgesetzt gewesen zu sein, von der vorläufig nur der gescheiterte Politiker Ehud Barak weiss.

Bekanntlich hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nur eine einzige Stimme Mehrheit in der Knesset, sodass immer wieder Gerüchte über geheime Gespräche über eine Erweiterung der Koalition aufkommen zwischen dem Regierungschef und dem Vorsitzenden der Opposition, Jitzhak Herzog. Klar ist, dass nur ein Bruchteil der eigenen linken Gefolgsleute bereit wären, Herzog ins „rechte“ Lager zu folgen. Die Spekulation endet stets sehr schnell mit einem Dementi. Die Gespräche und Treffen hätten überhaupt nicht stattgefunden, obgleich sogar bekannt ist, in welchem Zimmer in welcher Villa eines Geschäftsmannes in Caesarea sich die Politiker getroffen haben.

Weil israelische wie ausländische Medien der Meinung sind, dass Netanjahu als Regierungschef nichts tauge, werden solche Regungen der Opposition zu grossen Geschichten aufgebauscht. Es sei daran erinnert, dass Netanjahu schon neun Jahre lang Regierungschef ist, etwa genauso lange wie seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel. Bisher wenigstens ist ein baldigst bevorstehender Sturz Netanjahus nur ein feuchter Traum der israelischen Linken. Deren Realitätsnähe lässt sie seit Jahren zielgerichtet in die elektorale Bedeutungslosigkeit abstürzen.

Grosse Bauchschmerzen bereiten tägliche Entdeckungen von Salmonellen und anderen Bakterien in Fertigprodukten. Tonnenweise wurden schon Cornflakes aus den Regalen der Supermärkte entfernt. Dann folgten die beliebten mit Tahini angereicherten Salate und jüngst sind auch noch geräucherte Würste im Visier. Von den Krankheitserregern befallen sind Produkte von Unternehmen mit Weltruf wie Unilever. Es gibt kaum noch ein Produkt im Supermarkt, das man ruhigen Gewissens einkaufen und gar seinen Kindern vorsetzen darf. Mangels besserer Nachrichten haben die Salmonellen der Medien eine regelrechte Panik ausgelöst. Vielleicht liegt das auch an den „sauren Gurken“, die Medienschaffende mit Vorliebe im Sommerloch züchten.

Und wenn überhaupt nichts mehr los ist, melden die Nachrichten in Israel, dass einem Bauarbeiter ein Balken auf den Kopf gefallen ist oder dass es Blechschaden gab, als ein Betrunkener gegen einen Baum gefahren ist. Alles was danach gemeldet wird, interessiert niemanden mehr, weder in Israel noch in Europa. Dazu gehören ein paar Fassbomben mit Giftgas auf Aleppo, in Syrien entdeckte Massengräber, türkische Angriffe auf Kurden oder eine Autobombe irgendwo in Afghanistan. Wen kümmert es, dass da hunderte Menschen gesprengt wurden? Die internationalen Menschenrechtsorganisationen sind ohnehin damit beschäftigt, allein Kriegsverbrechen der Israelis aufzudecken. Empört reagieren sie, wenn der israelische Militäranwalt eine Akte schliesst, wenn die Hamas-Organisation nachweislich ganze Familien mit Mörsern und Raketen „versehentlich“ ausgelöscht hat.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

Alle Artikel

1 Kommentar


  1. Köstlich, lieber Ulrich, du hast dich mal wieder selbst übertroffen. Ich müsste lügen, wollte ich sagen, man spürt nicht nicht wenigstens ein klitzekleines bisschen, wo du politisch stehst und wie du tickst (oh, doppelte Verneinung, zu der mich die Logik zwingt).

    Diese übersteigerte Selbstironie kommt meistens kurz vor dem Zusammenbruch: Also pass auf dich auf! Ich weiss, wovon ich rede (sprach der Marlboro-Cowboy-Darsteller, bevor er an Lungenkrebs erbärmlich krepierte).

    Die (angebliche) Ereignislosigkeit in der grossen Politik haben die Franzosen auch schon erkannt und (seit Langem) ihre entsprechende Zeitungsrubrik (vermischte Lokalnachrichten) ganz im Stil der Grande Nation pompös als “rubrique des chiens écrasés” bezeichnet, eben die Seiten mit den “überfahrenen Hunden”.
    Ein Hund sei, wer Böses dabei denkt.
    Schabbat Schalom aus der Schweiz
    Michael K.

Kommentarfunktion ist geschlossen.