Medienschau mit Matthias J. Becker

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Foto CC0 Public Domain
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Die neue Kabinettszusammensetzung in Israel mit Avigdor Lieberman sorgte für ein umfangreiches mediales Echo in der Schweiz.

Claudia Kühner vom Tagesanzeiger weist in ihrem ausführlichen Artikel auf den Konflikt über das „künftige Verhältnis von Regierung und Armee“ hin, welches sie als Grund für den Rücktritt des ehemaligen israelischen Verteidigungsministers Moshe Yaalon anführt. Die Autorin bezeichnet die aktuelle Entwicklung als einen „Machtkampf mit Israels alten Eliten, so weit sie sich (noch) dem wachsenden Rechtsextremismus in Regierung und Parlament entgegenstellen“.

Wo auch immer man Liebermans Partei politisch verortet – Kühner trivialisiert in ihrem Artikel die Gefahr, die vom Iran sowie von palästinensischen Terroristen ausgehen. Einerseits schreibt sie zu Letzteren: „Die Angreifer, manchmal halbe Kinder, werden oft umstandslos erschossen, was auf palästinensischer Seite zu einer ungleich höheren Zahl an Opfern geführt hat als unter israelischen Zivilisten“. Dieses Argument liest sich schon fast wie ein Kommentar über ein ungerecht ablaufendes Gesellschaftsspiel. Die Tatsache, dass es hier um geplante Mordaktionen an Juden geht und auch sehr junge Menschen durch Indoktrination zu Mördern werden können, lässt Kühner unerwähnt. Andererseits lässt der Artikel die anhaltenden Vernichtungsdrohungen des Iran gänzlich unter den Tisch fallen, auch wenn diese von Medien und Forschung immer wieder problematisiert werden.

Zuletzt spricht sie von einer „heuchlerischen Armeespitze“, die zwar auf eine gesellschaftliche Radikalisierung hinweise – laut Autorin ist die von der Armee etablierte „Besatzung [aber] der Urgrund für die Radikalisierung, die diese Generäle nun selber anprangern“. Demnach ist die israelische Armee (und damit Israel) selbst für die Verhärtung der Fronten im Nahostkonflikt verantwortlich – ein typisches Klischee in den Medien. Zugegebenermassen mögen sich politische Haltungen in der israelischen Gesellschaft verändert haben (wie auch in ganz Europa), aber wenn man dies thematisiert, sollten die Gründe – ein Gegner, der nicht verhandeln, sondern Israel auslöschen will – auf den Punkt gebracht werden.

Eine klare Beschreibung der politischen Entwicklungen in Israel der letzten Jahre kann man unter anderem dem Interview mit dem mittlerweile pensionierten israelischen Botschafter Yigal Caspi entnehmen, welches die Basler Zeitung am 01. Juni veröffentlichte.

Blick prophezeit, dass die Kabinettsumbildung „das Vertrauen des Westens in die israelische Regierung schmälern“ wird, da Yaalon zu Washington gute Beziehungen unterhielt. In einem anderen Artikel verwendet die Zeitung mehrmals das hochproblematische, denn historisch stark konnotierte Wort „Deportation“, um die Linie der Partei Liebermans im Umgang mit Palästinensern zu bewerten. Das von der Partei eigentlich verwendete Wort „Transfer“ wurde im Artikel somit verdrängt (s. vorletzter Absatz des Artikels). Ungenannt bleibt, dass der Bevölkerungstransfer für besagte Partei die Grundvoraussetzung für eine stabile, friedliche Zweistaatenlösung darstellt.

Ulrich Schmid von der NZZ nennt in einem Artikel vom 19. Mai Lieberman einen „berechenbaren Polterer“. In einem anderen, mit „Lieberman ante portas – Die Stunde der Ultranationalisten“ betitelten Artikel stellt der Autor die Frage „Ist Israel auf dem Weg zur orientalischen Diktatur?“ (interessanterweise ist in der Druckversion übrigens noch von „Autoritarismus“ die Rede, was womöglich zugunsten der Provokation nachträglich geändert wurde). Dieser Artikel (sowie teils der vom 19.5.) entpuppt sich jedoch als eine verhältnismässig ausgewogene Bestandsaufnahme der politischen Lager und zeichnet das Bild eines „pragmatischen“ und international „nicht unbeliebten“ Lieberman.

Nachdem Netanyahu und Lieberman das Koalitionsabkommen unterzeichnet haben (siehe auch Kurzmeldung bei NZZ), geht Schmid an anderer Stelle auf die von Lieberman gemachten „etlichen Konzessionen“ ein (NZZ, 26. Mai). Im letzten Absatz bespricht der Journalist die „extrem negativen“ palästinensischen Reaktionen auf die neue Koalition und zitiert Saeb Erekat, der von „Apartheid, Rassismus sowie religiösen und politischen Extremismus“ spricht. Ulrich Schmid hält dem Folgendes entgegen: „Israels Regierung ist zuletzt in einer Volkswahl im März 2015 wiedergewählt worden. Drittstärkste Partei wurde die Vereinigte Arabische Liste. In Palästina ist zuletzt 2006 gewählt worden.“

Neben den Veränderungen innerhalb der israelischen Regierungsfraktion führt Schmid ein weiteres Thema an: „Netanyahu will Abbas treffen“ titelt die NZZ am 23. Mai. Parallel zu den Verhandlungen mit Liebermans Partei kam es zu einem Besuch des französischen Ministerpräsidenten, bei dem Manuel Valls nochmals auf das Interesse Frankreichs zu sprechen kam, durch eine Konferenz in Paris den Friedensprozess zu beschleunigen (s. auch NZZ-Meldung vom 19.05.). Netanyahu entgegnete erneut (wie zuvor dem französischen Aussenministers Ayrault gegenüber), dass nur direkte Gespräche mit den Palästinensern eine Lösung bringen würden, da – wie in meiner letzten Medienschau besprochen – in dem Fall von palästinensischer Seite eine Anerkennung Israels als Verhandlungspartner folgen müsste. Ulrich schliesst den Artikel mit der Unterstreichung: „Nach seiner Auffassung bietet eine internationale Konferenz den Palästinensern keinen Anreiz, ernsthaft mit Israel zu verhandeln.“

Am 31. brachte das Tagblatt die SDA-Meldung, dass sich Netanjahu „zu neuen Verhandlungen über einen Friedensplan arabischer Staaten bereit erklärt“ hat – ein weiteres positives Zeichen, an das man angesichts des düsteren Bildes, welches viele Medien zeichnen, gar nicht mehr glauben wollte.

Wenn es in den Medien um Israel geht, muss es nicht immer um den Konflikt gehen: Schmid wendet sich von diesem ab und äussert sich in seinem Artikel „Die Ekstase im richtigen Körper“ über den offenen Umgang mit der Transgender-Gemeinde in Israel. Darin heisst es: „[E]s gibt weitere Fälle von Diskrimination. Aber Israel tut viel für die Szene. Ganz Tel Aviv ist in diesen Tagen für das ‚Pride Festival’ in Regenbogenfarben beflaggt. Nicht in einem schäbigen Klub in der Vorstadt findet der ‚Miss Trans’-Wettbewerb statt, sondern an reputiertester Adresse, im Habima-Theater nahe dem Rothschild-Boulevard, mitten in der Stadt.“ In den Medien wird Israel immer wieder auf den Konflikt mit den Palästinensern reduziert und als waffenstarrender, engstirniger Militärstaat dargestellt. Perspektiven, wie sie dieser Artikel aufzeigt, bleiben dabei leider eine Ausnahme.

Ein Fokus in der Presse war in den letzten Wochen der Umgang mit dem Islam und islamischem Extremismus. Ruud Koopmans, Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin, bringt einen lesenswerten NZZ-Artikel zu aktuellen europaweiten Einstellungen muslimischer Communities zu islamischem Extremismus. Ohne dabei Muslime zu verteufeln, führt Koopmans statistische Zahlen an, die den Rückhalt des islamischen Extremismus innerhalb bestimmter Teil dieser Communities bestätigt.

Angesichts des Gefahrenpotenzials, welches von einem militanten Islamismus heutzutage ausgeht, sollte dieses Problem nicht trivialisiert oder gar geleugnet werden.

Über Matthias J. Becker

Matthias J. Becker ist Doktorand an der Technischen Universität Berlin. Er studierte Romanische Philologien, Philosophie und Linguistik an der Freien Universität. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit dämonisierenden Analogien im deutschen und britischen Nahostdiskurs (Web-Kommentare auf Die Zeit und The Guardian), um die verschiedenen Qualitäten eines israelbezogenen Entlastungsantisemitismus’ anhand des Online-Diskurses in liberalen Medien zu erforschen.

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