Palästinenser: Der „Kampf um die Nachfolge“

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Foto: Fatah Propaganda-Poster/Gatestone
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Bei seinem letzten Besuch in Kairo sagte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, Berichten zufolge zum ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi, dass er nicht die Absicht habe, bei künftigen Wahlen zu kandidieren.

Von Khaled Abu Toameh

Hochrangige palästinensische Beamte, die Abbas nach Kairo begleiteten, zitierten ihn, wie er sagte, dass er kein „Präsident auf Lebenszeit“ sein wolle und er sehr gerne sähe, dass sobald wie möglich neue Präsidentschaftswahlen in den Palästinensergebieten durchgeführt würden.

„Mein Alter und meine gesundheitliche Verfassung lassen nicht zu, dass ich im Amt bleibe“, erklärte der 81-jährige Abbas. „Meine Amtszeit ist bereits vor einigen Jahren abgelaufen und ich bin immer noch an der Macht, weil die Hamas geputscht hat, den Gazastreifen kontrolliert und neue Wahlen ablehnt.“

Abbas machte diese Anmerkungen im Rahmen vermehrter Gespräche über einen „Kampf um die Nachfolge“, der unter den Spitzenleuten der Palästinenserbehörde im Westjordanland schon seit Wochen ausgetragen wird.

Vorerst scheint es, als gäbe es keinen Mangel an Palästinensern, die sich selbst für „naturgegebene“ und „würdige“ Nachfolger von Abbas halten, der vor Kurzem das elfte Jahr seiner vierjährigen Amtszeit beging.

Abbas’ Weigerung, einen Vizepräsidenten zu ernennen, einen möglichen Nachfolger zu wählen oder seine Macht mit jemandem zu teilen sowie sein Insistieren darauf, dass er die PA im Alleingang leitet, lässt grossen Raum für Spekulationen darüber, was passiert, wenn er nicht mehr da ist.

Einige Palästinenser erwarten einen reibungslosen Machtwechsel, viele fürchten aber, dass ein „Kampf um die Nachfolge“ zu Anarchie und Gewalt führen wird.

Der palästinensische Journalist Munir Abu Rizek schlug kürzlich Alarm, als er aufdeckte, dass einige hochrangige palästinensische Funktionäre und deren Anhänger im Westjordanland zur Vorbereitung auf die Zeit nach Abbas Waffen kauften. Er sprach die Prognose aus, dass die Anarchie, die im Westjordanland ausbrechen könnte, womöglich den Zuständen im Gazastreifen ähneln würde, die dort herrschten, bevor vor fast zehn Jahren die Hamas die Palästinenserbehörde von dort vertrieb. Abu Rizek schloss die Möglichkeit nicht aus, dass die palästinensischen Städte im Westjordanland zu Bezirken unter der Herrschaft von rivalisierenden Fatah-Funktionären und selbsternannten Kriegsherren werden könnten.

Dennoch ist die Frage nicht, welcher palästinensische Funktionär Abbas‘ Nachfolge antritt, sondern eher, wer den nächsten Präsidenten wählen wird und auf welche Art und Weise. Und ganz nebenbei: Spielt es überhaupt eine Rolle, wer der nächste Präsident wird?

Natürlich wird Abbas‘ Nachfolger nicht per Urnengang gewählt. Im Westjordanland und dem Gazastreifen gibt es keine freien und demokratischen Wahlen. Über die Gründe dafür sind sich Hamas und PA allerdings nicht einig.

Die Hamas ist davon überzeugt, dass die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland niemals Wahlen zulassen wird, da dort ein Wahlsieg der Hamas wahrscheinlich wäre, wie sich auch bei den Parlamentswahlen 2006 zeigte.

Die PA hingegen vertritt die Auffassung, dass die Hamas auf keinen Fall freie Wahlen im Gazastreifen zulassen wird, weil sie keinerlei Konkurrenz duldet.

Doch da die Hamas und die Palästinenserbehörde hart gegen die Unterstützer der jeweils anderen Gruppe im Gazastreifen und im Westjordanland vorgehen, wird es so oder so nicht zu freien Wahlen kommen. Es ist also klar, dass eine Wahl zur Bestimmung des Nachfolgers von Abbas zumindest in der absehbaren Zukunft kein Thema ist. Es sei denn natürlich, die PA-Führung entschliesst sich zur Durchführung separater Wahlen im Westjordanland – eine Option, die sehr unwahrscheinlich scheint. Getrennte Wahlen im Westjordanland würden dazu führen, dass die Palästinenser die PA der „Stabilisierung“ der Spaltung zwischen Gazastreifen und Westjordanland bezichtigen würden, und würden dementsprechend die Bemühungen zur Errichtung eines vereinten Palästinenserstaats in diesen beiden Gebieten zunichtemachen.

Es liegt also beim regierenden Zentralausschuss der Fatah, einen neuen Präsidenten zu wählen. Dieses Gremium wurde 1963 aufgestellt und ist das oberste Entscheidungsorgan der PLO. Der Ausschuss besteht aus 21 Fatah-Funktionären, die alle als Anhänger von Abbas bekannt sind. Doch in den letzten Jahren hat sich die Zusammensetzung des Ausschusses ein wenig verändert.

Eines der Mitglieder, Othman Abu Gharbiyeh, starb vor einigen Wochen bei einer Operation am offenen Herzen in einem indischen Krankenhaus. Ein weiteres Mitglied, Marwan Barghuthi, verbüsst momentan wegen seiner Rolle bei den Terroranschlägen gegen Israel während der zweiten Intifada eine Haftstrafe von fünfmal lebenslänglich. Ein drittes Mitglied des Ausschusses, Mohammed Dahlan, wurde vor fünf Jahren nach einem Zerwürfnis mit Abbas und seinen Söhnen von der Fatah ausgeschlossen.

Doch die Fatah-Führung wird die Präsidentschaft nicht jemandem übertragen, der nicht aus ihren Reihen stammt, nicht einmal, wenn es sich um eine unabhängige und angesehene Persönlichkeit wie z. B. Salam Fayyad handelt, den früheren Premierminister der Palästinenserbehörde.

Die Entscheidung darüber, wer Abbas ersetzen wird, liegt also in den Händen von 18 führenden Fatah-Funktionären, allesamt Mitglieder des Zentralausschusses der Fraktion. Die letzten internen Wahlen des Ausschusses fanden im Juli 2009 statt, als Abbas zum Vorsitzenden gewählt wurde.

Über die Hälfte der Ausschussmitglieder hat bekundet, dass sie nicht daran interessiert seien, Abbas‘ Nachfolger zu werden. Doch das kann sich schon am Tag nach dessen Verabschiedung ändern. In der Tat scheint Abbas‘ Präsenz den Mitgliedern allen Mut zu derartigen Ambitionen zu nehmen. Der PA-Präsident hat jeden Fatah-Funktionär entlassen, der im Verdacht stand, ein Auge auf die Präsidentschaft zu werfen. Das beste Beispiel dafür, wie schnell sich Abbas der Amtsträger entledigt, die für seine Herrschaft zur Bedrohung werden könnten, ist Mohammed Dahlan. Nach seinem Rauswurf aus der Fatah war Dahlan gezwungen, in die Vereinigten Arabischen Emirate überzusiedeln, da Abbas ihm Korruption und Mord vorgeworfen hatte.

Sechs Ausschussmitglieder sind über siebzig Jahre alt, doch die meisten sind in ihren Sechzigern. Nur zwei von ihnen sind zwischen fünfzig und sechzig: Marwan Barghuthi und Hussein Sheikh. Doch diese beiden gelten nicht ernsthaft als Nachfolger, wenngleich einige öffentliche Umfragen ergeben haben, dass viele Palästinenser für Barghuthi stimmen würden.

Heute nennen die Palästinenser mindestens drei Kandidaten, die gute Chancen haben, Abbas‘ Nachfolge anzutreten: Saeb Erekat, Mohammed Shtayyeh und Majed Faraj.

Erekat und Shtayyeh sind Mitglieder des Zentralausschusses der Fatah, während Faraj, ebenfalls ein hochrangiger Beamter der Fatah, die General Intelligence Force leitet, den Nachrichtendienst der Palästinenserbehörde im Westjordanland.

Letztes Jahr wurde Erekat von Abbas zum Generalsekretär der PLO befördert, ein Zug, der von vielen Palästinensern als Zeichen dafür interpretiert wurde, dass Abbas ihn als seinen Nachfolger ansieht. Doch auch Faraj steht Abbas sehr nahe, der ihm blind vertraut, was den Schutz des PA-Regimes vor der Hamas und anderen politischen Gegnern anbelangt.

Hinsichtlich Barghuthi sagten Funktionäre der Fatah diese Woche, dass es keinen Sinn habe, einen Präsidenten zu haben, der hinter Gittern ist und daher nicht in der Lage, seine Aufgaben wahrzunehmen.

Premierminister Rami Hamdallah, der frühere Präsident der An-Najah-Universität in Nablus, sieht sich selbst als möglichen Nachfolger. Einer seiner Mitarbeiter sagte, dass es „keinen Grund gibt, weshalb ein so angesehener Mann nicht der nächste Präsident werden sollte.“ Hamdallah hat allerdings kein offizielles Amt in der Fatah und verfügt dort über keine Machtgrundlage.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich Hamdallah nicht von seinem Vorgänger Salam Fayyad. Beide Männer gelten bei den Palästinensern nicht in ausreichendem Masse als „berechtigt“, weil sie nie in israelischen Gefängnissen inhaftiert waren und nie aktive Mitglieder des palästinensischen „Widerstands“ waren.

Aufgrund des Machtkampfs zwischen den Mitgliedern des Zentralausschusses der Fatah besteht die Chance, dass sie einen Fatah-Veteranen wählen, der kein Mitglied des Ausschusses ist. Einer dieser „Aussenseiter“ ist Faraj, doch es gibt viele Personen, auf die diese Kriterien zutreffen.

Ein weiteres denkbares Szenario wäre, dass infolge der internen Zankereien und massiven Differenzen innerhalb der Fatah, ihre Anführer eine „kollektive Führung“ bilden könnten, um die Angelegenheiten der Palästinenser zu verwalten. Tawfik Tirawi, Mitglied des Zentralausschusses der Fatah und ehemaliger Leiter der General Intelligence Force der PA im Westjordanland, wies vor Kurzem auf diese Option hin, als er sagte: „Präsident Abbas wird der letzte Präsident der Palästinenser sein.“

Schliesslich muss man einer letzten Frage nachgehen: Ist es wirklich wichtig, wer Abbas ersetzt? Oder anders gesagt: Wird der nächste Palästinenserführer in der Lage sein, von der politischen Linie und Strategie abzuweichen, die bereits von Abbas und seiner Art der Fatah-Führung vorgezeichnet wurde? Wichtiger ist, ob der nächste Präsident es schaffen wird, eines der Friedensabkommen zu akzeptieren, die bereits von Abbas und Jassir Arafat abgelehnt wurden.

Nach dem Tod Arafats lebte der „Arafatismus“ weiter. Dasselbe gilt auch für Mahmud Abbas. Wenn überhaupt, sollte man nach seinem Weggang nicht mit echten Veränderungen bei der palästinensischen Einstellung gegenüber dem Konflikt mit Israel rechnen.

Wieder einmal werden die Palästinenser die grossen Verlierer sein. Niemand wird sie nach ihrer Meinung zum nächsten Präsidenten fragen und sie bekommen auch keine Gelegenheit, bei einer Präsidentschaftswahl ihre Stimme abzugeben.

Der Zentralausschuss der Fatah im Westjordanland erinnert an das Politbüro einer kommunistischen Partei, das zwar im Namen des Volkes Entscheidungen fällt, dabei aber nicht dessen Interessen im Sinn hat. Im Gazastreifen werden die Palästinenser weiterhin von der Hamas regiert, einer islamistischen Bewegung, die dem palästinensischen Volk nichts als Verwüstung und Unglück gebracht hat.

Letzten Endes ist die Frage nach Abbas‘ Nachfolger also eher zweitrangig. Die Palästinenser werden weiter von Diktaturen beherrscht, denen ihr Volk absolut egal ist.

In Englisch zuerst erschienen bei Gatestone Institute. Khaled Abu Toameh, ein preisgekrönter Journalist, lebt in Jerusalem.