Israel: Was Zionismus wirklich war und ist

2
14. Mai 1948: David Ben-Gurion erklärt die Unabhängigkeit des Staates Israel unter einem Porträt Theodor Herzls. Foto CC BY-SA 3.0. Government Press Office (GPO)
Lesezeit: 12 Minuten

„Der Zionismus brachte so eine ungeheure politische Potenz, die letztlich zur Staatsgründung Israels führte,nicht (wie kontinuierlich behauptet) wegen, sondern trotz des Holocaust  und trotz des massiven Widerstandes der arabischen Umgebungsländer im Nahen Osten.“

Von Evyatar Friesel

Israel als  ‘jüdischer  Todeswunsch‘ – so lautet die Hauptidee eines Beitrags des deutsch-jüdischen Professors Micha Brumlik in der April-Ausgabe der  Blätter für deutsche und internationale Politik 2015, veröffentlicht unter dem Titel  “Israel, ich bleibe!”  Brumlik zu Folge hat der Aufruf des israelischen Premierministers Netanyahu nach den Anschlägen in Paris Anfang 2015, die Juden sollten nach Israel kommen, “mehr mit dem Wunsch nach einem gemeinsamen Tod als mit Überleben zu tun.”  Dies, so schreibt er, sei auch der Sinn des Zionismus gewesen. Wenn Juden sich nicht behaupten könnten, bliebe immer noch die Alternative eines gemeinsamen, würdevollen Todes. “Dieser Mythos ist ein roter Faden in der jüdischen Geschichte”, so Brumlik. Israel also nicht als Ausdruck  jüdischer Kontinuität und Überlebensfähigkeit, sondern als gemeinsamer Todeswunsch?

Offensichtlich treibt die Existenz des  Staates Israel und die wesentliche Kraft seiner Gründung, der Zionismus, einen bestimmten Typ  jüdischer Akademiker  schlichtweg auf  die intellektuellen Barrikaden und auf eine affektiv gesteuerte Argumentation der De-Realisierung: Für die  jüdisch-britische Professorin Jaqueline Rose trägt der “scheinbare” Erfolg des jüdischen Staates in sich den Keim seiner Selbstzerstörung;  der jüdisch-amerikanische Historiker Tony Judt tadelte den „Anachronismus“ des  jüdischen Staates,  beharre doch Israel ungehörigerweise auf seiner jüdisch-nationalen Identität; der jüdisch-britische Philosophie-Professor Brian Klug bezeichnet  Israel als einen „zersplitterten Staat“; und die jüdisch-amerikanische Professorin Judith Butler verlangt eine “Umwandlung” Israels; usw.  usw. Zwischen diesen surrealistischen Szenarien malt Micha Brumlik sein eigenes, morbides Bild.

Man wundert sich: Wie kommt es, dass etablierte jüdische Professor_inn_en, auf ihren Gebieten Experten und dort auch durchaus ernst zu nehmende Intellektuelle, kognitiv derart entgleisen, wenn es um Israel geht und dann solche irrationalen Deligitimierungen sowie Untergangsphantasien  verkündigen?

Diese Jüdinnen und Juden treffen sich mit ihren Aussagen, argumentativ, kognitiv und emotional, im Wortlaut auf einer Bühne mit ausgesprochenen Judenhassern, ohne dass sie diese Tatsache zum selbstkritischen Nachdenken bringt. Es ist klar, dass sie von anderen Beweggründen motiviert werden als “gewöhnliche” Antisemiten: Bei solchen Juden ist es Israel, das im Fokus ihrer – wiederholt vorgetragenen – Kritik steht, nicht das Judentum. Über ihre emotionale Befangenheit und konzeptuelle Geschlossenheit diesbezüglich ist aus historischer Perspektive wenig zu sagen. Sie lassen sich aber in ihrer Argumentation von bestimmten Konzepten leiten, die aus dem Blick der Geschichtswissenschaft analysiert werden müssen, um die Frage beantworten zu können, wie  tatsächlich sowohl die zionistische Idee als auch ihr Ergebnis, der Staat Israel,  zu sehen und zu deuten sind.

Was war der Zionismus?

Da Zionismus eine Idee und Strömung mit vielen Facetten war, kann jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, prinzipiell den Zionismus, der ihr/ihm passt, auswählen und dann de-kontextualisiert in die jeweilige Argumentation einbringen. Ein besonders vorherrschendes Missverständnis, das von den meisten der gegenwärtigen jüdischen Israel-Kritiker_inne_n wiederholt wird, betrifft den Zusammenhang zwischen Zionismus und Nationalismus. In dem oben erwähnten Aufsatz erledigt Micha Brumlik die Angelegenheit mit einem pauschalen Satz: Zionismus  sei “in der Zeit seiner Gründung als politische Bewegung nichts anderes als die jüdische Variante des ethnischen Nationalismus” gewesen. Brumlik vertritt hier eine oft zu lesende, kontinuierlich reproduzierte Meinung.

Wenn man jedoch den Zionismus auf das Konzept des Nationalismus reduziert, und genau dies tun diese Schreiber_innen, dann erfasst man nicht die Grundidee und nicht das Wesen der zionistischen Bewegung. Dieses zumeist links-ideologisch beeinflusste Klischee ignoriert die Komplexität und vor allem das tief und breit im Judentum wurzelnde Kernanliegen des Zionismus.

Nationale Ideen, wie auch immer man sie definiert, waren stets nur eine der ideologischen Komponenten des Zionismus, keineswegs aber die entscheidende. Es gab Richtungen im Zionismus, wo der Nationalismus entweder nur eine sehr begrenzte Rolle spielte, wie in der religiösen Misrachi Bewegung oder bei der Hapoel Hatza´ir  Partei, die auf einer eigenen sozialen Auffassung gebaut war. Und auch bei der national-gesinnten jüdischen Arbeiterbewegung, die im jüdischen Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine sehr einflussreiche Präsenz war und eine bedeutende national-jüdische Kultur entwickelte, richtete sich die  ganze Bewegung an den politischen Hoffnungen der  Arbeiterklasse aus. Bei den Zionisten wie bei den jüdischen Sozialisten (zwischen beiden herrschte im Übrigen ein sehr gespanntes Verhältnis), spielten nationale Konzepte zum Teil eine Rolle, dies ist unbestritten. Aber es war beileibe nicht die treibende Kraft. Weiterhin zeigt die historische Forschung, dass der jüdische Nationalismus per se  sich nie als breite politische Bewegung behaupten konnte. Der überzeugendste Verfechter einer rein national-jüdischen Ideologie, bekannt unter dem Titel “jüdischer Autonomismus“, war der bekannte Historiker Simon Dubnow. Nach seinen Ideen wurde eine Partei gegründet, die Jüdische Volkspartei, die aktiv war in Osteuropa (hauptsächlich in Polen) zwischen den zwei Weltkriegen. Die Jüdische Volkspartei wurde aber nie zu einem bedeutenden Faktor im öffentlichen und allgemeinen jüdischen Leben.

Betrachtet man die Entwicklungen in einem breiteren Rahmen war die Übernahme nationaler Ideen ohnehin Ausdruck einer der Integrationsbemühungen der Juden, ein Adaptionsprozess an ihre nicht-jüdischen Umgebungen. In der Neuzeit veränderte sich die jüdische Gesellschaft unter der Einwirkung einer versatilen Mischung externer und interner Faktoren, d.h. die Symbiose externer Konzepte des nicht-jüdischen Milieus einerseits, der traditionellen Werte des religiösen Judentums andererseits. So gesehen gehörten ideologische philosophische, kulturelle und soziale Strömungen wie die Aufklärung, der Nationalismus, der Antisemitismus und noch andere Aspekte zu den externen Elementen, die das Judentum in der Moderne beeinflussten.

Die zionistische Idee 

Nicht nur der die (überschätzte) Rolle des Nationalismus, sondern auch eine andere bedeutende  Komponente des Zionismus, der Kampf gegen den Antisemitismus, muss  aus historischer Perspektive neu bewertet werden. Zwar sah der Gründer der zionistischen Weltorganisation,  Theodor Herzl, und wie er auch andere führende Zionisten, das zionistische Programm als Antwort auf die europäische Judenfeindschaft. Eine Erklärung, die später auch nicht-jüdische (v.a. muslimische)  Kommentatoren  übernahmen: die Auswanderung der Juden nach Palästina sei allein eine Konsequenz des europäischen Antisemitismus gewesen. Was aber zeigt die geschichtliche Analyse? Im Jahr 1939, nach vierzig Jahren zionistischer Tätigkeit, lebten in Palästina weniger als 3% aller Juden aus der Welt, um die Vierhundertfünfzigtausend. Viele dieser waren gar keine Zionisten. Tatsache ist, dass der antisemitische Druck in Europa Juden verstärkt zur Auswanderung nach Amerika brachte (im Vergleich: 1939 lebten in Amerika mehr als vier Millionen Juden).

Wenn Nationalismus und Antisemitismus zwar wichtige, aber nicht die wirklich bestimmenden, die entscheidenden Einflussgrössen hinter dem Zionismus waren, was war dann die essenzielle Kraft hinter dieser Idee, dieser Bewegung?  Hier ergibt sich eine gewisse Erklärungsschwierigkeit, weil es um Konzepte geht, die tief verwurzelt sind im kollektiven Bewusstsein des Judentums, sich aber nicht leicht in den ideologischen Kategorien des modernen nicht-jüdischen Denkens erklären lassen. Das bedeutendste dieser Konzepte war ‚ ahawat zion‘, die Liebe-für- oder das Streben-nach-Zion, also die uralte Verbindung der Juden mit ‚erets israel‘, dem Land Israel. Daran gekoppelt ist der Begriff  ‚galut‘, das Exil, und damit die Auffassung, dass die Juden unfreiwillig ihr Heimatland Israel verlassen mussten. Ge’ulah, die Erlösung, verbunden mit schiwat zion, die Rückkehr nach Zion, spiegelt somit rückwärts bezogen die Trauer über den Verlust der ursprünglichen Heimat, zeitlich vorwärts bezogen den Traum, die Sehnsucht nach der Rückkehr in das ursprüngliche Land der Juden. Schliesslich ist aus religiöser Sicht auch relevant der Begriff des ‚maschiach‘, der Messias, Nachkomme der königlichen David Dynastie, der erscheinen soll am Ende-der-Tage (acharit hayamim), die Juden befreien wird von der Bürde des Exils und sie auf wundervolle Wege zurückbringen soll ins versprochene Land.  Im traditionellen Judentum hatte diese Idee stets unterschiedliche religiöse, geschichtliche und mystische Deutungen sowie Bedeutungen, blieb aber immer zentral.

Der Zionismus, der im Europa des späten 19. Jahrhundert entstand, verkörperte als eine Strömung im sich modernisierenden Judentum die spezifische Verbindung von diesen tradierten jüdischen Glaubenswerten mit neuen Ideen und Handlungsmustern der nicht-jüdischen Denk- und Deutungsmuster. Hierzu zählte der Nationalismus, der die jüdische Ethnie neu definierte, zugleich aber auch die zunehmende Säkularisierung sowie der Demokratisierungsprozess  mit seinem politischen Einfluss. Auch sozialistische Ideen wurden von der zionistischen Bewegung übernommen. Ohne diesen auf breiter gesellschaftlicher Ebene stattfindenden Gesamtprozess der Neu-Strukturierung hätte der organisierte Zionismus nicht funktionieren können. Im Zionismus entwickelte sich eine breite Palette von ideologischen Richtungen, von rechts nach links, von religiös zu säkular. Der Zionismus nahm also als Bewegung viele Einflussgrössen in sich auf, deren jeweiliges Gewicht nicht immer exakt bestimmt werden kann. Was allerdings die diversen politischen Ausformungen der zionistischen Idee zusammenhielt, war die Grundidee des Zionismus, die Verbindung des jüdischen Volkes mit dem Land Israel (ahawat-zion). Auch wenn es z.B. wenig Gemeinsames zwischen der marxistisch orientierten Poale-Zion-Partei und der religiösen Misrachi-Bewegung gab, war das Streben-nach-Zion das verbindende Element, beide im Rahmen der zionistischen Organisation zusammen zuhalten. Über dieses gemeinsame Konzept wurden sogar oft Brücken zu Teilen des bürgerlichen, nicht-zionistischen Judentums geschlagen.

Eine Eigenart des Zionismus, die fast als revolutionär bezeichnet werden kann, ist hierbei bemerkenswert: Erstens kam es zu einer Wende im Verhältnis zur nicht-jüdischen Umgebung. Die bereits erwähnte politische und kulturelle Integration und Adaption  war ein Ausdruck der Übernahme  von Konzepten und Werten der europäischen, nicht-jüdischen Gesellschaft. Im Zionismus aber wurden diese neuen Konzepte in die Gegenrichtung gedreht: zur Desintegration  (schlilat hagola, Abkehr-vom-Exil). Die scharfe Kritik gegen dem jüdischen Leben in der Diaspora  wurde zu einem der Leitmotive der zionistischen Bewegung.  Zweitens kam es zur säkularen Politisierung und Loslösung vom religiösen Fundament der Idee einer Rückkehr in das historische Land des jüdischen Volkes.  Der Zionismus brachte so eine ungeheure politische Potenz, die letztlich zur Staatsgründung Israels führte,nicht (wie kontinuierlich behauptet) wegen, sondern trotz des Holocaust  und trotz des massiven Widerstandes der arabischen Umgebungsländer im Nahen Osten.

Als eher schwach dagegen zeigte sich die zionistische Bewegung in Bezug auf die Beziehung mit dem arabischen Bevölkerungsteil Palästinas. Konzentriert auf den Aufbau einer neuen Gesellschaft im Land und geistig eingeschlossen in ihren eigenen Traum, hatten die Zionisten keine überzeugenden Antworten oder Lösungen für den sich entwickelnden Konflikt mit den nicht-jüdischen Einwohnern des Landes.

Die aktuelle Lage

Geschichtlich betrachtet wurde der Zionismus die bedeutendste jüdische Ideologie unserer Zeit, wenn auch andere Strömungen existieren. Die jüdische  Orthodoxie beispielsweise erfährt heutzutage eine Renaissance, und dies gerade im jüdischen Staat, zu dem viele ultra-orthodoxe Juden ein negatives oder ambivalentes Verhältnis hatten und weiterhin haben. Auch die Integrations- und Adaptionstendenz, die Assimilation der Juden an ihre jeweiligen  Umgebungen, besteht weiterhin.

Aufgrund des anhaltenden Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern vergisst es sich leicht, was für ein einmaliges Gelingen Israel, das Hauptziel des Zionismus, de facto bedeutet.  Israel wurde gegründet und aufgebaut von einer heterogenen Mischung jüdischer Einwanderer aus aller  Welt, Menschen mit ganz unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen, die kaum etwas gemeinsames hatten ausser dem ahawat-zion –Traum. Das Land war klein und karg, besass keine  Naturressourcen (Erdöl und Gas wurden erst vor kurzen entdeckt). Trotz der permanenten Konflikt- und Kriegslage mit den arabischen Ländern des Nahen Ostens, ist es gelungen, Israel zu einer stabilen demokratischen, multi-kulturellen und wohlhabenden High-Tech-Gesellschaft zu entwickeln, in der Frauen gleichberechtigt alle Möglichkeiten der beruflichen Entfaltung haben, mit einer freien und kritischen Presse, einer modernen Medizin, einer lebendigen Kulturszene, mit den für Minoritäten so notwendigen Freiräumen usw. usw. Israel ist in sich eine relativ ruhige und stabile Insel in einer Region, wo keiner sicher ist, ob morgen nicht alles zusammenbricht. Natürlich gibt es in Israel sehr vieles zu verbessern und zu verändern – aber welcher Staat auf Erden hat keine Probleme?

Die aktuelle Tendenz, Israel über seine (ohne jeden Zweifel existierenden und höchst problematischen) jüdischen Extremisten zu identifizieren, ist ebenso falsch wie brisant. Diese  Übergeneralisierung und Negativbewertung lässt ein völlig verzerrtes Blick des Staates und seiner Gesellschaft entstehen. Man stelle sich vor, Deutschland würde ausschliesslich über den Blick auf den NSU-Prozess und Pegida bewertet, Frankreich primär als ein Land des Front National charakterisiert.

Die Staatsgründung Israel verdient es gesehen zu werden als das, was sie ist: eine geradezu unglaubliche Erfolgsgeschichte, und als die Realisierung der (auch durch die Shoah nicht gebrochene) jüdischen Lebensbejahung.

Der Konflikt mit den Palästinensern soll dadurch keineswegs marginalisiert werden. Er ist ein gravierendes Problem. In dem beide Konfliktparteien noch grosse Anstrengungen vollziehen müssen.

Zudem ist es bedrückend und immer wieder überraschend festzustellen, wie wenig die Gründung Israels die problematischen Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden verändert hat. War es doch einer der Hauptargumente des Zionismus, dass die sogenannte Normalisierung der Juden in einem eigenen Staat der uralten Judenfeindschaft den Boden entziehen würde. Tatsächlich aber ist ausgerechnet der Zionismus weltweit zum Hass-Objekt geworden, die Strömung also, die den uralten Hass gegenüber Juden beenden wollte, die den Weg nach Zion für die beste Antwort auf den modernen Antisemitismus hielt. Der Staat Israel ist zum Symbol aller Antisemiten für gelebtes Judentum nun sogar im Mittelpunkt aller judenfeindlichen Aktivitäten, wie die aktuelle empirische Antisemitismusforschung belegt. Offensichtlich war es sehr naiv zu erwarten, dass die tief in der westlichen Kultur eingewurzelte Judophobie durch die Schaffung eines jüdischen Staates verschwinden würde.

Fazit

Der Zionismus verkörperte historisch betrachtet einen höchst vitalen Funken im jüdischen Leben. Seine Ideen und Ergebnisse prägen bis heute das jüdische Dasein, bei vielen (über die Identifikation) im positiven, bei einigen (durch Dissoziation und Ablehnung) im negativen Sinne.

An den jüdischen Kritiker_inn_en Israels geht dieser magische und konstruktive Moment in der jüdischen Geschichte völlig vorbei. Geblendet von ideologischen Scheinwahrheiten oder gefesselt in antisemitisch geprägten Klischees und emotionalen Begrenzungen  ist Israel für sie nur eine Irritation. Statt sich z.B. mit Fragen moderner jüdischer Identität zu beschäftigen oder sich dem brennenden Problem der zunehmenden alt-neuen Judenfeindschaft in der Welt zu widmen, legen sie ihr Augenmerk immer nur auf den angeblich so problematischen Staat der Juden. Damit führen sie am Ende aber die von antisemitischen Nicht-Juden initiierte Debatte über das „jüdische Problem in der Welt“ weiter.  Auffällig ist, wie sich hier jüdische Intellektuelle ihren nicht-jüdischen Kolleg_inn_en anpassen und exakt das reproduzieren, was diese Klientel hören möchte. So sind sie nicht eigenständige und womöglich besonders selbstkritische Personen, sondern sie lassen sich, ob bewusst oder unbewusst vermag ich nicht zu sagen, instrumentalisieren. Entsprechend laut kommt der Beifall für ihre irrealen Israel-Bewertungen aus den einschlägigen Kreisen.

Was ist Israel wirklich? Mit den Beschreibungen seiner extremen Kritiker  hat das reale Israel nichts gemeinsam. Mehr als die Hälfte aller Juden lebt heute in Israel. Es handelt sich um eine höchst aktive, lebhafte und auch lebenslustige Gesellschaft, die nie still sitzt. Tagtäglich entwickeln sich in Israel neue Realitäten, man baut, baut ab und baut wieder auf, man jubelt und trauert, man sorgt sich, man freut sich, man hat Angst, trotzt aber dieser Angst mit ungebrochenem Mut und Lebensfreude.

Geschichtlich betrachtet bedeuten sowohl der Zionismus als auch der Staat Israel jüdische Kontinuität: Beide spiegeln die Anpassungsfähigkeit des jüdischen Volkes an die veränderten Gegebenheiten und Bedingungen des modernen Lebens wider – bei gleichzeitigem Erhalt der Spezifika des Judentums. Im Laufe der langen Geschichte der Juden hat dieser Prozess Tradition und bietet eine Erklärung für den Erhalt der Existenz des jüdischen Volkes –  trotz aller vergangenen und aktuellen  Bestrebungen, die jüdische Existenz auszulöschen.

Israel als Todeswunsch? Genau das Gegenteil ist der Fall. Sowohl die zionistische Bewegung als auch der Staat Israel sind Symbole für den Wunsch, jüdisches Leben zu erhalten, Judentum erleben zu können, es sind die vitalsten, dem Leben affirmativ zugewandten Kräfte eines Judentums, das sich nicht umbringen oder gegen seinen Willen verändern oder auflösen lässt.

Evyatar Friesel ist Professor (em.) für moderne jüdische Geschichte,  Hebrew University of Jerusalem

2 Kommentare

  1. Manchmal ist es echt abstossend wie sich gewisse “Gelehrte”, Intellektuelle linker Prägung gegenüber Nichtjuden anbiedern um sich dann als die “guten Juden” der Welt zu repräsentieren und mit Auszeichnungen geehrt werden !??

Kommentarfunktion ist geschlossen.