Palästinenser: Ist dies die richtige Zeit, um grosse Schritte zu machen?

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Einverstanden: Es ist keine gute Zeit, einen palästinensischen Staat zu schaffen. Im Bild: Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer Pressekonferenz in Berlin am 16. Februar 2016. Foto Israel Government Press Office
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Während eines Besuchs in Berlin wandte sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit den Worten an Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, dass dies nicht die richtige Zeit sei, um die „Zwei-Staaten-Lösung“ und die Errichtung eines palästinensischen Staates voranzutreiben.

Von Bassam Tawil

Für Merkel ist Israel offensichtlich ein Schutzwall, der Europa vor islamistischen Extremisten schützt. Die Deutschen würden die Bedrohung durch Terroristen, der Israel gegenübersteht, erkennen und ein Friedensprozess könne nur auf der Grundlage von zwei Staaten für zwei Völker vorangetrieben werden – doch dies sei nicht die richtige Zeit, um grosse Schritte zu machen, so Merkel zu Netanjahu.

Die im Gazastreifen lebenden Palästinenser sind sich der Tatsache sehr wohl bewusst, dass sie Geiseln der Terrororganisationen sind, insbesondere der Hamas. Jibril Rajoub, ein hochrangiger Beamter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), berichtete Al-Jazeera TV in der vergangenen Woche genau das.

Die Palästinenser im Westjordanland unterstützen zudem – ungeachtet der öffentlichen Bekanntmachungen – insgeheim die Zusammenarbeit mit Israel beim Thema Sicherheit, die uns vor radikal-islamistischem Terrorismus schützt. Trotz der „offiziellen“ Umfragen, die unter den Palästinensern erhoben werden und eine Unterstützung der Hamas abbilden, fürchten die Bewohner des Westjordanlands daher, dass die Hamas die Kontrolle übernimmt und unsere Leben und unseren Besitz zerstört, so wie sie es auch schon im Gazastreifen getan hat. Wir wollen einen palästinensischen Staat, aber einen, der die Lebensweise und die Errungenschaften bewahrt, die wir uns im Laufe der Jahre aufgebaut haben und der sie nicht dem Schrecken der Hamas und des IS anheimfallen lässt.

Angesichts der ruhigen, passiven Unterstützung, die das Regime von Mahmud Abbas in der Öffentlichkeit erfährt, hetzt die Hamas die Palästinenser dagegen auf. Die Hamas versucht, die Palästinensische Autonomiebehörde zu stürzen, indem sie Abbas‘ Sicherheitskräfte als Verräter darstellt, die Informationen an Israel übermitteln.

So wie Deutschland – und im Gegensatz zu Schweden und Frankreich – hat Grossbritannien vor Kurzem eine ausgewogenere Politik eingeführt. Das Vereinigte Königreich hat damit begonnen, Organisationen zu bekämpfen, die die anti-israelische BDS-Kampagne (BDS steht für „Boycott, Divestment and Sanctions“, dt. „Boykott, Kapitalabzug und Sanktionen“) unterstützen. Der britische Minister für Kabinettsangelegenheiten, Matthew Hancock, der die Aktivitäten zwischen diversen Regierungsministerien koordiniert, fördert Protokolle zur Vermeidung von laufenden Boykotten durch das britische Establishment.

Diese BDS-Organisationen versuchen Produkte zu boykottieren, die im Westjordanland hergestellt werden. Doch durch den Boykott verlieren unzählige Palästinenser ihre guten Jobs und grossartigen Vergünstigungen – und das nur für den Versuch, Israel zu einem übereilten Rückzug zu zwingen, der garantiert nicht stattfinden wird. Die Israelis und auch alle anderen erinnern sich nur zu gut daran, dass die letzten israelische Rückzüge aus dem südlichen Libanon und dem Gazastreifen nicht mehr waren als Fallstudien zur terroristischen Übernahme des entstandenen Vakuums. Genauso wie der Rückzug der USA aus dem Irak Platz für den Islamischen Staat (ISIS) gemacht hat.

Als Palästinenser wissen wir, dass BDS Israel schaden kann oder vielleicht auch nicht – doch den grössten Schaden tragen die Palästinenser, die ihre Familien durch die Arbeit in den Fabriken in den Siedlungen unterstützen und die sonst arbeitslos wären und dann, durch den daraus entstandenen Mangel an Arbeitsplätzen, von verschiedenen Terroristen angeheuert werden würden. Als sich die SodaStream-Fabrik aus dem Westjordanland zurückzog, verloren 500 Palästinenser ihre gutbezahlten Arbeitsplätze.

In Anbetracht der momentanen Hilflosigkeit der USA im Umgang mit den Russen, Iranern und Syrern hat sich die Regierung Obama dazu entschlossen, vor Israel die Zähne zu fletschen. Trotz seiner scheinbar vorhersehbaren persönlichen Einwände wird erwartet, dass US-Präsident Obama das Gesetz zur Handelserleichterung und -durchführung unterzeichnen wird, das eine Anti-BDS-Klausel enthält. Es führt eine neue politische Ausdrucksweise ein, indem es alle „von Israel kontrollierten Gebiete“ als Teil von Israel bezeichnet. Währenddessen wendet die amerikanische Zollbehörde noch immer ein 20 Jahre altes Gesetz an, das im Westjordanland hergestellte Produkte kennzeichnen lässt und den Palästinensern damit schadet. Eine Kennzeichnung der Produkte schadet den Palästinensern, die sich deswegen gezwungen sehen, Arbeit bei den Terrororganisationen zu suchen, die sie mit offenen Armen in Empfang nehmen und die Region weiter radikalisieren.

Die Franzosen spielen wie üblich „Bäumchen, wechsle dich“. Vor einigen Monaten versuchten sie, einen internationalen Untersuchungsausschuss in die al-Aqsa-Moschee zu entsenden. Sowohl die Israelis als auch die Palästinenser lehnten dies ab.

Der ehemalige Mufti von Jerusalem, Ikrima Sabri, sagte oft, dass die Palästinenser besser dran wären, wenn die Juden für die al-Aqsa-Moschee und Jerusalem verantwortlich wären, da sie in der Zukunft entfernt und getötet werden könnten. Doch wenn die Kreuzfahrer durch die Hintertür zurückkämen – in Form eines von den Franzosen angeführten internationalen Ausschusses – würde man sie weitaus schwerer wieder loswerden.

Die Franzosen, die angesichts ihrer eigenen lokalen terroristischen Enklaven um ihr Leben bangen, sind in starke Bedrängnis gekommen und versuchen beharrlich, sie mit einem Manöver nach dem anderen zu beschwichtigen. In ihrer Verzweiflung haben sie Friedensverhandlungen zwischen den Palästinensern und Israelis mit „internationaler Mediation“ angeregt. Sie schlugen sogar schamlos vor, dass sie den palästinensischen Staat anerkennen würden, sollten die Verhandlungen fehlschlagen. Das Ergebnis ist schon jetzt offensichtlich: Die Palästinenser, die keinen Grund haben werden, zu verhandeln, werden sich dabei überschlagen, zur Konferenz zu kommen. Dann werden sie automatisch gegen alle Beschlüsse oder mögliche Kompromisse ihr Veto einlegen und dann die versprochene Anerkennung Palästinas einkassieren.

Die Franzosen sind Meister darin, diplomatische Spielchen zu spielen: Einerseits tun sie alles dafür, ihre eigenen Islamisten zulasten Israels zu beschwichtigen, und andererseits wissen sie sehr wohl, dass weder Israel noch irgendein anderes westliches Land ihren eigennützigen Vorschlag akzeptieren wird. Und dieses Doppelspiel zeigen die Franzosen immer wieder. Sie weigern sich, die vom Iran unterstützte Hisbollah als Terrororganisation zu bezeichnen. Stattdessen nennen sie sie eine „politische Partei“, und das trotz ihres umfangreichen Einsatzes beim Abschlachten sunnitischer Muslime in Syrien. Die Hisbollah gehört zudem zu den Hauptverantwortlichen, die die unzähligen Asylsuchenden (und gelegentlichen IS-Aktivisten) vorwärts drängen, die Europa, die Türkei und Jordanien überfluten.

Die momentan im Nahen Osten begangenen Gräueltaten entspringen auf direktem Wege der Tatsache, dass sich Europa (einschliesslich Frankreich) und die USA weigern einzugreifen und dem betäubenden Schweigen der arabischen Staaten. Sie sind nicht gewillt, den IS zu bekämpfen, aber sie verurteilen, verleumden und kritisieren Israel mehr als bereitwillig, während der Nahe Osten immer weiter in die Anarchie rutscht.

Für uns Palästinenser bedeutet dies weiteres Blutvergiessen. Entweder infolge der Rivalität zwischen der Hamas und der Fatah, oder als Kollateralschaden im Krieg der Israelis gegen den islamistischen Terrorismus, oder, wenn die Palästinensische Autonomiebehörde fällt, durch die Hände von ISIS und Al-Kaida und der Al-Nusra-Front, wenn diese ihren Siegeszug durch das Jordantal antreten, um Israel anzugreifen.

Al-Jazeera TV versucht zudem, seinem Meister Katar gerecht zu werden. Der Sender radikalisiert die Palästinenser, indem er verkündet, dass die Sicherheitskoordinierungen zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und Israel die „palästinensische Sache“ betrüge – obwohl diese Bemühungen für alle hier von Vorteil sind, da dadurch islamistische Terroristen abgehalten werden. Hinzu kommt, dass der israelische Geheimdienst sagt, dass ein Seehafen für die Hamas gebaut werden sollte, und somit aus unerklärlichen Gründen versucht, die Palästinensische Autonomiebehörde durch die Stärkung der Hamas zu vernichten. Weder die Ägypter noch wir Palästinenser und auch nicht die Israelis profitieren davon, die Hamas auf unsere Kosten zu stärken. Durch die Hamas und die vielen anderen extremistischen Organisationen, einschliesslich ISIS, kann Israel seine Bedenken in Bezug auf die Sicherheitslage sowie in Bezug auf die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern rechtfertigen, und damit wird ein Rückzug aus dem Westjordanland verhindert. In Anbetracht der aktuellen Situation im Nahen Osten hatte Angela Merkel recht: Jetzt ist nicht die richtige Zeit, um grosse Schritte zu machen.

Bassam Tawil via Gatestone Institute. Bassam Tawil lebt als Wissenschaftler und Journalist im Nahen Osten.