Lateinamerika: Irans Macht bröckelt

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Die jüngsten Wahlen in Argentinien und Venezuela haben nicht nur für die dortige Bevölkerung eine Wende zum Besseren gebracht – die andere gute Nachricht ist, dass Irans Ausbreitung einen Rückschlag erleidet.

Von Stefan Frank 

Seit dem 10. Dezember hat Argentinien einen neuen Präsidenten. Der rechtsliberale Mauricio Macri hatte am 22. November die Stichwahl gegen Daniel Scoli gewonnen, der von der scheidenden Präsidentin Cristina Fernández Kirchner und sämtlichen linksgerichteten lateinamerikanischen Staatschefs wie Maduro, Morales und Ortega unterstützt wurde.

Auch in Venezuela gibt es eine Wende. Obwohl die Sozialisten von Staatschef Nicolás Maduro sämtliche Medien des Landes kontrollieren und das Regime Oppositionspolitiker wie Leopoldo López einsperren liess, gewann das oppositionelle Parteienbündnis MUD bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 6. Dezember zwei Drittel der Sitze und kann damit u.a. die Verfassung ändern, Minister entlassen und nächstes Jahr ein Abberufungsreferendum gegen Präsident Maduro auf den Weg bringen.

Das alles sind gute Nachrichten für die unter der Mangelwirtschaft, extremer Kriminalität und Repression leidende Bevölkerung – aber auch für Israel und Lateinamerikas Juden.

Maduros Amtsvorgänger, der 2013 verstorbene Hugo Chávez, hatte seine Propaganda zu einem nicht unwesentlichen Teil auf den Antisemitismus gestützt. „Bis Ende der 1990er Jahre“, schreibt der dieses Jahr verstorbene Antisemitismusforscher Robert Wistrich in seinem Buch A Lethal Obsession. Anti-Semitism from Antiquity to the Global Jihad, „gab es in Venezuela so gut wie keine Anzeichen von Antisemitismus“. Doch je mehr Hugo Chávez im Laufe seiner Amtszeit den Schulterschluss mit Teheran suchte, desto bösartiger wurde seine eigene antisemitische Propaganda. Wistrich schreibt: „Was die antizionistische Rhetorik betrifft, hat Venezuelas Präsident Hugo Chávez, [Fidel] Castros eifrigster Schüler, seinen Mentor schon vor langer Zeit abgehängt. … Während des Sommers 2006 waren in den Strassen von Caracas zahlreiche Parolen zu sehen wie ‚Juden geht nach Hause’, ‚Jüdische Mörder’, ‚Die USA und Israel wollen Venezuela zerstören’ oder ‚Raus mit CIA und Mossad’. Die grossen Demonstrationen von Chávistas für die Hisbollah im August 2006 und die ständige Medienhetze gegen den ‚genozidalen’ Staat Israel verstärkten die Angst der [venezolanischen] Juden, von denen einige Tausend das Land verliessen.“

Die Propaganda führte zu Gewalt. Im November 2008 griffen Chávisten das Haus von Henrique Capriles, dem zur Opposition gehörenden Gouverneur des Bundsstaats Miranda, an und beschmierten es mit Hakenkreuzen. Da Capriles jüdische Grosseltern hat (er selbst ist Katholik), halten die Chávisten ihn für einen Juden. Die wichtige chávistische Internetseite „Aporrea“ nannte ihn ein „Mitglied der reichen jüdisch-zionistischen Bourgeoisie“, einen „Schurken“ und einen „genetischen Faschisten“.

Nach Chávez’ Tod setzte Maduro diese Hetze fort. Bei einem 2014 während des Gazakriegs veranstalteten „Marsch gegen den israelischen Völkermord“ rief er „die Juden, die in unserem Land leben“, dazu auf, „das Massaker, den Mord an jenen unschuldigen Jungen und Mädchen, zu stoppen“.

Aussenpolitisch verbündete sich das sozialistische Regime unter Chávez/Maduro mit allen Feinden des jüdischen Staats, vor allem mit dem Iran. Die diplomatischen Beziehungen zu Israel hingegen wurden 2009 abgebrochen.

Was wird sich nun in Venezuela ändern? Für 2016 ist zu erwarten, dass das Parlament Schritte ergreift, um in Venezuela die Pressefreiheit wiederherzustellen. Damit wird der Hetze gegen Israel ein Stück ihres Bodens entzogen. Da der Antisemitismus in Venezuela vor allem auf dem Chávismus und seiner „antiimperialistischen“ Ideologie fusste, kann man optimistisch annehmen, dass er seinen Zenit überschritten hat. (Anders sieht es aus, falls Maduro seine Macht erhalten will, indem er gegen das Parlament putscht und einen Bürgerkrieg anzettelt – dann würde er sicherlich auf antisemitische Verschwörungstheorien zurückgreifen). Wenn Maduro abgesetzt ist, wird Venezuela die diplomatischen Beziehungen zu Israel wiederaufnehmen. Der Iran verliert voraussichtlich einen seiner wichtigsten Alliierten in der westlichen Hemisphäre.

Iran mordet in Buenos Aires
Komplex ist die Lage in Argentinien. Zwar ist auch Kirchner eine Antisemitin reinsten Wassers; so rief sie unlängst Studenten dazu auf, die Figur des jüdischen Geldverleihers Shylock aus Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ zu studieren, um die Schuldenkrise ihres Landes zu verstehen. (2) Anders als Chávez konnte die wenig charismatische Kirchner aber nie die Massen aufwiegeln. Ihre finsterste Rolle spielte sie bei dem Versuch, die iranische Urheberschaft der antisemitischen Anschläge von Buenos Aires 1992 und 1994 zu vertuschen. Bei dem Anschlag auf die israelische Botschaft im März 1992 wurden insgesamt 29 Menschen getötet und 242 verletzt. Bei dem Anschlag auf die Zentrale der jüdischen Gemeinde (AMIA) wurden im Juli 1994 85 Menschen getötet und 300 Personen verletzt. Hinter beiden Taten wird die vom Iran unterstützte libanesische Terrororganisation Hisbollah vermutet.

In den letzten Jahren gab es in Argentinien Bestrebungen, diese Verbrechen aufzuklären. Gegen eine Reihe von Iranern – darunter Ajatollah Rafsandschani und einige Leute, die auch heute noch Machtpositionen im Iran besetzen – wurde Haftbefehl beantragt.

Das geschah gegen den Widerstand von Präsidentin Kirchner. 2013 unterzeichnete die argentinische Regierung eine Absichtserklärung mit dem iranischen Regime, die Anschläge „gemeinsam“ mit iranischen „Ermittlern“ aufklären zu wollen. Das sei so, als hätte man das Naziregime beauftragt, die Fakten der Reichskristallnacht zu ermitteln, kommentierte das American Jewish Committee.

Der für Terrorismusermittlungen zuständige Staatsanwalt Alberto Nisman beschuldigte Kirchner, im Austausch für bessere Handelsbeziehungen Irans Rolle vertuschen zu wollen. Am 19. Januar 2015 – einen Tag, bevor er mit belastendem Material gegen Kirchner an die Öffentlichkeit gehen wollte – wurde Nisman in seiner Wohnung erschossen aufgefunden. Alles deutet auf einen politisch motivierten Mord hin, von Leuten in Auftrag gegeben, denen Nismans Ermittlungen unangenehm waren.

Auch, wenn kaum zu erwarten ist, dass die im Iran sitzenden Drahtzieher des Terrors der Gerechtigkeit zugeführt werden (es sei denn, es gäbe dort eine Revolution), ist mit Kirchners Abgang und der Wahl eines Präsidenten, der nicht im Dienst des Iran steht, zumindest ein grosses Hindernis bei der Aufklärung der Anschläge aus dem Weg geräumt. Wenn die Untersuchungen endlich unbehindert vonstatten gehen, dann werden im besten Fall nicht nur die Schuldigen identifiziert – unter ihnen dürfte auch Irans „oberster geistlicher Führer“ Ajatollah Khamenei sein – sondern auch weitere Einzelheiten der iranischen Bestrebungen in Lateinamerika aufgedeckt werden. Es ist ein gutes Zeichen, dass es eine der ersten Amtshandlungen des neuen Präsidenten Macri war, die Versuche, den Iran an der Untersuchung der Terroranschläge zu beteiligen, zu stoppen.

Atomzusammenarbeit
Laut einem Artikel des brasilianischen Nachrichtenmagazins „Veja“, das sich dabei auf drei ehemalige Minister von Hugo Chávez beruft, die in die USA geflohen sind, war der Anschlag auf das AMIA auch Rache dafür, dass Argentinien Anfang der Neunziger Jahre die Atomkooperation mit dem Iran beendete. Wie die Dissidenten weiter berichten, habe der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad seine enge Freundschaft zu Hugo Chávez nicht nur dazu genutzt, diesen zu bitten, den Gang der argentinischen Ermittlungen gegen iranische Verdächtige des AMIA-Anschlags zu beeinflussen, sondern auch darauf zu dringen, dass die argentinisch-iranische Zusammenarbeit in der Nuklearforschung wieder aufgenommen wird. Laut „Veja“ lasse sich aus den Aussagen der Dissidenten folgende Unterhaltung zwischen Ahmadinejad und Chávez rekonstruieren:

Ahmadinejad: Das ist eine Angelegenheit von Leben und Tod. Ich brauche dich als Vermittler mit Argentinien, um Hilfe für das Atomprogramm meines Landes zu bekommen. Wir sind darauf angewiesen, dass Argentinien uns seine Nukleartechnologie zur Verfügung stellt. Ohne sie können wir unser Programm nicht voranbringen.

Chávez: Ich werde das rasch tun, Genosse.

Ahmadinejad: Sorge dich nicht über die Kosten für diese Operation. Iran wird alles Geld aufbringen, das notwendig ist, um die Argentinier zu überzeugen. Ausserdem musst du sie davon abbringen, dass sie weiterhin bei Interpol auf der Verhaftung von iranischen Regierungsvertretern bestehen.

Chávez: Ich werde mich persönlich darum kümmern.

Drehscheibe Caracas
Lateinamerika hat eine lange Geschichte des Terrorismus und des Drogenhandels. Oft hängt beides zusammen, wie im Falle der kolumbianische Guerilla FARC, die hinter einer marxistischen Fassade ihren einträglichen kriminellen Geschäften nachgeht. Das macht den Kontinent sehr interessant für die Hisbollah, die sich ausser durch die Zuwendungen aus dem Iran ebenfalls durch Drogenschmuggel finanziert.

Laut einem Bericht des israelischen Meir Amit Intelligence and Terrorism Information Center ist insbesondere die venezolanische Karibikinsel Margarita, wo 3.000 Araber, vorwiegend libanesischer und syrischer Herkunft, leben, eine wichtige Basis der Hisbollah, die von dort aus dem Drogenhandel, der Geldwäsche und der Fälschung von Dokumenten nachgeht und sogar ein Trainingsgelände für Terroristen betreibt.

Der Flughafen Caracas wiederum ist die Drehscheibe zwischen dem Nahen Osten und Amerika. Das US State Department berichtete 2008 über die wöchentlichen Flüge zwischen Teheran, Damaskus und Caracas, dass Passagiere auf diesem Flug „nur sehr oberflächlich“ kontrolliert würden; da venezolanische Pässe zudem leicht zu haben seien, mache dies Caracas zu einem „möglicherweise attraktiven Zwischenstopp für Terroristen“, die mit gefälschten Papieren durch Amerika reisen und sich als Venezolaner ausgeben können. (Wie es heisst, konnten diese Flüge nicht gebucht werden, sondern waren für Chávez’ Freunde im Nahen Osten reserviert.) Was am Flughafen der venezolanischen Hauptstadt alles möglich ist, illustriert die Tatsache, dass 2013 in Paris an Bord eines aus Caracas kommenden Flugzeugs sage und schreibe 1,3 Tonnen (!) reines Kokain gefunden wurden. Man könnte sagen: Was Rotterdam für den Ölmarkt, das ist Caracas für Drogen und Terroristen mit Verbindungen in den Nahen Osten.

Es wird dauern, bis in Venezuela und Argentinien die Rechtsstaatlichkeit wiederhergestellt ist und Irans dortige Bestrebungen eingedämmt sind. Aber es ist schon sehr gut, dass Teherans Agenten und Handlanger wissen, dass sie in Zukunft in Lateinamerika vielleicht nicht mehr so ungestört werden schalten und walten können wie in den letzten zehn Jahren.

Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmässig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt "Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos."

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