Als die Vereinten Nationen zum Lynchmob wurden

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Kundgebung "Ausschluss von Israel aus der FIFA", 29. Mai 2015, Hallenstadion, Zürich. Organisiert von BDS Zürich, BDS Schweiz, Europalestine und weiteren Organisationen. Foto ZvG
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Am 10. November 1975 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die berüchtigte Resolution 3379 mit dem Titel „Beseitigung aller Formen der Rassendiskriminierung“ – besser bekannt als die „Zionismus-ist-Rassismus“-Resolution.

von Stefan Frank

„Die Generalversammlung … stellt fest, dass Zionismus eine Form des Rassismus und der Rassendiskriminierung ist“, lautete der Kernsatz. Um keinen Zweifel daran zu lassen, wie mit dem jüdischen Staat zu verfahren sei, wurde dieser mit Regimes gleichgesetzt, die international isoliert und diskreditiert waren:

„Das rassistische Regime im besetzten Palästina und das rassistische Regime in Zimbabwe und Südafrika haben einen gemeinsamen imperialistischen Ursprung, bilden ein Ganzes, haben dieselbe rassistische Struktur und sind organisch in ihrer Politik verbunden, die darauf zielt, die Würde und Unversehrtheit des menschlichen Wesen zu unterdrücken.“

Zwei Monate zuvor hatte die „Bewegung der Blockfreien“ – ein Euphemismus für Diktaturen, die zur erweiterten Sphäre des Sowjetblocks gehörten – eine Erklärung verabschiedet, die den Zionismus als „rassistische und imperialistische Ideologie“ geisselte, die eine „Gefahr für den Weltfrieden“ darstelle. Im Juli 1975 hatte eine andere UN-Veranstaltung, nämlich die „Weltkonferenz des internationalen Jahres der Frau“, den Zionismus als Feind der Frau identifiziert: Dass Frauen die „schmerzhafte Erfahrung“ „ungleicher Behandlung“ erlebten, mache sie zu „natürlichen Verbündeten im Kampf gegen jede Form der Unterdrückung, wie sie im Kolonialismus, Neokolonialismus, Zionismus, in der Rassendiskriminierung und Apartheid praktiziert wird“.

Begriffe wurden jeden Sinnes entleert; die Vereinten Nationen wurden zu einem Lynchmob. Was in der UNO am 10. November 1975 – 37 Jahre nach der Reichspogromnacht – offen zutage trat, war das Bestreben, dafür zu sorgen, dass künftig von keinem politischen, sozialen oder humanitären Misstand mehr gesprochen würde, ohne im selben Atemzug die Juden zu dämonisieren. „Wenn der Rassist, was nicht unmöglich ist, an irgendeinem Punkt der Zukunft durch einen anderen Feind ersetzt wird, der gerade in Mode ist, dann wird die Verurteilung des Zionismus zweifellos entsprechend angepasst werden“, sagte der Orientalist und Historiker Bernard Lewis damals.

Die Sprache der Menschenrechte, auf denen die Vereinten Nationen gründeten, wurde pervertiert und mit dem Sowjetwörterbuch verschmolzen. Resolution 3379 wurde gegen die Stimmen der demokratisch regierten Staaten verabschiedet, mit der Mehrheit des Sowjetblocks, der Organisation der Islamischen Konferenz und einiger Dritte-Welt-Diktatoren. Letztere hatten unterschiedliche Motive; die einen waren von Judenhass getrieben, wie etwa Ugandas Tyrann Idi Amin. Dieser hatte in der Generalversammlung am 1. Oktober 1975 die Bevölkerung der USA aufgerufen, „sich von den Zionisten zu befreien, damit die wahren Bürger dieser Nation ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen und selbst von den Bodenschätzen ihres Landes profitieren“. Er verlangte „die Vertreibung Israels aus den Vereinten Nationen und die Ausrottung Israels als Staat, damit die territoriale Integrität Palästinas sichergestellt und aufrechterhalten wird“. Die Stimmen schwankender Länder wurden mit arabischen Petrodollars und sowjetischen Waffen gekauft (dass viele von ihnen auch westliche Entwicklungshilfe bekamen, änderte nichts an ihrer antiwestlichen Einstellung, weil sie wussten, dass diese Gelder an keine Bedingung geknüpft waren).

Leonard Garment, der zur US-Delegation bei den Vereinten Nationen gehörte, sagte später: Nicht die arabischen Staaten waren Urheber der Resolution, sondern die Sowjetunion, die „aktiv die Vorstellung verbreitete, dass der Zionismus eine Verschwörung der USA sei, dass alle Juden Zionisten seien und alle sowjetischen Juden daher als proamerikanische fünfte Kolonne betrachtet werden könnten“.

Die Verschmelzung von Angriffszielen – Juden, Zionisten, Israel, Amerika – die in wechselnden Kombinationen auftauchten, war absurd. Es ging, so Garment, nicht um spezifische Missstände, sondern darum, „eine allgemeine Paranoia zu verbreiten – eine, die auf dem uralten Hass auf Juden gründet und der niemals endenden Bestrebung, sich diesen Hass dienstbar zu machen, sei es für rationale oder völlig wahnsinnige Ziele“. In Anlehnung an Hitlers Diktum, wonach grosse Lügen leichter geglaubt werden als kleine, nannte der amerikanische UN-Botschafter Daniel Patrick Moynihan die Resolution 3379 „die grosse rote Lüge“.

In der sowjetischen Politik mischte sich der Judenhass stalinistischer Prägung mit Machtinteressen. Moskau versuchte Anfang der Siebziger Jahre, möglichst viele arabische Verbündete um sich zu scharen; da die Sowjetunion nicht mit Geld locken konnte, verstärkte sie ihre Bemühungen, als der grösste Feind Israels wahrgenommen zu werden. Der Hass der Kommunisten verstärkte sich durch die international stark beachtete Aliyah russischer Juden. 1971 hatte Moskau das Verbot der Auswanderung nach Israel aufgehoben, woraufhin im folgenden Jahrzehnt eine Viertelmillion Juden die Sowjetunion verliess; vielen Juden wurde die Ausreise allerdings verweigert und Akademiker, die das Land verlassen wollten, mussten sich freikaufen.

Die USA waren damals politisch geteilt: Aussenminister Kissinger stand für die Position des „Realismus“, die andere Appeasement nennen, und die am besten durch eine Bemerkung veranschaulicht wird, die Kissinger einmal gegenüber Präsident Nixon machte: „Die Auswanderung sowjetischer Juden ist kein Ziel amerikanischer Politik. Wenn sie [die Sowjets] Juden in Gaskammern stecken würden, wäre das kein amerikanisches Problem.“ Auf der andere Seite war der Kongress, wo Abgeordnete beider Parteien sich dem Establishment widersetzten und 1974 das Jackson-Vanik-Amendment durchgesetzt hatten, wonach Staaten nur dann mit den USA uneingeschränkt Handel treiben konnten, wenn sie ihre Bürger frei reisen liessen – dies war vor allem auf die Sowjetunion und die dortigen Juden gemünzt.

Zum Glück für Israel, Amerika und die Welt hatten die USA 1975 für kurze Zeit einen UN-Botschafter, der durch seine Urteilskraft und moralische Standhaftigkeit herausragte: Der bereits erwähnte Moynihan, über den der Historiker Gil Troy vor einigen Jahren ein faszinierendes Buch veröffentlicht hat [1. Gil Troy: Moynihan’s Moment: America’s Fight Against Zionism as Racism, Oxford 2012].

Als das Abstimmungsergebnis in der Generalversammlung feststand, hielt Moynihan eine nunmehr historische Rede [1. http://blog.unwatch.org/index.php/2012/12/30/moynihans-moment-the-historic-1975-u-n-speech-in-response-to-zionism-is-racism]. Darin sagte er:

„Die Vereinigten Staaten erheben sich, um vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen und der Welt zu erklären, dass sie diesen niederträchtigen Akt nicht anerkennen, sich nicht daran halten und sich ihm niemals fügen werden. […] Es wird noch genug Zeit sein, um den Schaden zu ermessen, den dieser Schritt den Vereinten Nationen zugefügt haben wird. Historiker werden das für uns tun, im Augenblick ist es ausreichend, eine Vorahnung davon aufzuzeigen. Ein grosses Unheil ist auf die Welt losgelassen worden. Dem Gräuel des Antisemitismus […] wurde der Anschein internationaler Billigung gegeben. Die Generalversammlung gibt den Mördern von sechs Millionen europäischen Juden heute eine symbolische Amnestie – und noch mehr. Das ist an und für sich schändlich genug, doch noch viel unheilvoller ist die Einsicht, die nun auf uns zukommt: die Einsicht, dass dies niemals hätte passieren können, wenn es keine Generalversammlung gäbe. Während dieser Tag für immer einer der Schande sein wird, obliegt es jenen, die versucht haben, ihn abzuwenden, ihre Gedanken darzulegen, damit Historiker wissen werden, dass wir hier gekämpft haben, dass unsere Zahl nicht gering war – nicht diesmal – und dass, obwohl wir verloren haben, wir gekämpft haben im vollen Bewusstsein dessen, was wir verlieren würden. […] Die Vereinigten Staaten erklären, dass sie diesen niederträchtigen Akt nicht anerkennen, sich nicht daran halten und sich ihm niemals fügen werden.“

Dass er den Diktatoren die Stirn bot, machte Moynihan in den USA zum Volkshelden. Gil Troy schreibt: „Im Herbst 1975 lehnten die meisten Amerikaner – Linke wie Rechte – die UNO ab, nicht den Zionismus. Indem sie Moynihan folgten und sich um Israel scharten, scharten sie sich auch um Amerika. Moynihan hatte einen nationalen Nerv getroffen und bewiesen, dass die Kultur der Siebziger Jahre nicht so defätistisch war, wie viele Historiker glauben.“

Die Defätisten in Washington freilich straften ihn ab. „Wir führen Aussenpolitik … Dies ist keine Synagoge“, sagte Kissinger, und fragte sarkastisch, ob der irisch-katholische Moynihan erwäge, „zum Judaismus zu konvertieren“. Moynihan verlor seinen Posten – nach seinem Aus bei den Vereinten Nationen wurde er allerdings auf dem Ticket der Demokraten insgesamt viermal zum Senator gewählt.

Die Resolution 3379 wurde 1991 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen widerrufen (gegen die Stimmen der arabischen Länder) – doch sonst hat sich nichts geändert. Die „Anti-Rassismus-Konferenz“ der UNO, die 2001 in Durban stattfand, wurde als das Israelhassfest bekannt. Auf dem dortigen NGO-Forum wurden die „Protokolle der Weisen von Zion“ verteilt; es gab Plakate mit dem Slogan „Hitler hatte Recht“ – und es wurde die Wiedereinsetzung der Resolution 3379 gefordert. Das „Apartheid“-Etikett gehört seit 2001 zum Rüstzeug der Israelhasser; sowjetische Ideologie und Rhetorik hat das Ende des Imperiums überdauert.

Die Dämonisierung Israels und der Juden ist immer noch das Alltagsgeschäft der Weltorganisation, in der Folterer, Henker und Sklavenhalter den Menschenrechtsrat leiten. Und die Strategie, Israel zu opfern, um Tyrannen milde zu stimmen, ist im Weissen Haus populärer denn je. Amerika wartet auf einen neuen Moynihan.

Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmässig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt "Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos."

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