Terrorbekämpfung zwischen Tragik und Farce

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Per Kabinettsbeschluss hat Israels Regierung beschlossen, getötete Messerstecher, also im Sprachgebrauch „Terroristen“, nicht sofort zum Begräbnis an ihre Familienangehörigen freizugeben. Das war eine von vielen Massnahmen zur Abschreckung.

Die gleiche Absicht befolgt der Einsatz von 300 Soldaten in Jerusalem zwecks Sicherung der Linienbusse, das Aufstellen von Metalldetektoren an den Stadttoren Jerusalems, die Deponierung von Betonblöcken oder die Aufforderung an Bürger mit Waffenschein, ausserhalb ihres Dienstes als Sicherheitsleute ihre Waffe stets bei sich zu tragen. Diese Massnahmen hatten ganz unterschiedliche und zum Teil auch überraschende Folgen.

Die Metalldetektoren an den Stadttoren der Altstadt waren nur halb wirksam. Denn in jedem Haushaltswarengeschäft und bei jedem Fleischer kann man ein Messer mühelos erwerben oder „ausleihen“. Nach Medienberichten haben über 10.000 Israelis einen Antrag zur Erneuerung ihres Waffenscheins gestellt. Doch nur 1.000 erhielten ihn, während die Übrigen wochenlange Schiessübungen absolvieren und vier Monate lang die Mühlen der Bürokratie geduldig abwarten müssen.

Die Polizei wurde angewiesen, problematische Viertel Jerusalems mit Betonblöcken abzusperren und jedes Auto genau zu kontrollieren. Die Folge waren stundenlange Staus auch für „anständige“ Bürger, die zur Arbeit in Westjerusalem wollen. „90 Minuten steckte ich auf einer Strecke fest, die ich sonst in 5 Minuten schaffe“, sagt Eyhab der Taxifahrer. Er wohnt in einem arabischen Viertel auf dem Ölberg.

Tote als Druckmittel
Als weitere Massnahme zur Abschreckung wurde auch beschlossen, die Toten als Druckmittel zu benützen. Sowie wieder „Ruhe“ einkehre, würden sie für ihre Begräbnisse freigegeben. Doch genau das Gegenteil passierte. In Hebron und Ramallah kam es zu grossen gewalttätigen Demonstrationen. Verteidigungsminister Mosche Jaalon und die Militärs knickten ein. Sie hielten das Einbehalten der Toten für kontraproduktiv, weil es die Stimmung auf der Strasse unter den Palästinensern anheize. Unter Umgehung des Kabinetts nahmen die Militärs Kontakt mit der Autonomiebehörde auf. Die Palästinenser versprachen „stille“ Begräbnisse im engsten Familienkreis, ohne Flaggen, Demonstrationen und Plakate. Daraufhin liess Jaalon die Leichen übergeben. Tatsächlich wurden einige Terroristen aus abgelegenen Dörfern, wo die Autonomiebehörde keinen direkten Zugang hat, in aller Ruhe bestattet.

Aber in Hebron und Ramallah organisierte die palästinensische Regierung Riesenaufmärsche, mit Beteiligung von Präsident Mahmoud Abbas. Die Leichen wurden entgegen den Absprachen in Flaggen gehüllt, während Polizisten in Uniform ihnen „militärische Ehren“ zum „Staatsbegräbnis“ Geleit boten. Palästinensische Zeitungen veröffentlichten Lobeshymnen auf den Mut der „Märtyrer“ und Abbas verfügte, den Angehörigen der getöteten Mörder grosse Geldsummen als Prämie zu zahlen.

Wegen dieses erneuten Vertrauensbruchs der Palästinenser gestaltete sich für den Verteidigungsminister die Übergabe der Leichen zu einem innenpolitischen Debakel. Zudem kam es in der Zwischenzeit zu weiteren Überfahranschlägen auf Grenzschützer und Messerattacken. Ausgerechnet Palästinenser aus Hebron verübten sie. Anstelle von „Beruhigung“ als Dank für pietätvollen Umgang mit den Toten, erhielten die Israelis weiteren Mord und Totschlag.

Die Israelis stehen mal wieder vor einem unlösbaren Dilemma. Gleichgültig was sie tun: Es ist falsch und bringt weder Ruhe noch „Frieden“.

Jaalon wurde nicht nur von Angehörigen der Opfer der jüngsten Terrorwelle kritisiert. Auch die Mutter von Schaul Oron meldete sich zu Wort im Fernsehen. Ihr Sohn ist vor einem Jahr im Gaza Krieg gefallen, als sein Schützenwagen auf eine Mine der Hamas fuhr und explodierte. Die Hamas konnte die Leiche Orons mitnehmen, ehe israelische Rettungsmannschaften zum Schützenpanzer gelangten. Sie konnten einwandfrei feststellen, dass auch Oron tot war. Aber bis heute weigert sich die Hamas, Orons sterbliche Überreste – sowie jene vieler anderer Israelis –  an Israel zwecks Begräbnis herauszurücken. „Ehe Jaalon die Leichen von Mördern und Terroristen freigibt, sollte er erst einmal dafür sorgen, dass ich meinen Sohn beerdigen kann“, sagte die Mutter.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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