„Ungleich verteilte Mittel“

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Der Ort des Angriffes, bei dem ein Terrorist mit seinem Auto in Fussgänger raste und dann ausstieg und mit einem Küchenbeil wahllos Menschen angriff. Es gab mindestens 5 Verletzte und einen Toten. Jerusalem, 13. Oktober 2015. Foto Hadas Parushl / FLASH90
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Dienstag, der 13. Oktober 2015. Der Tag beginnt mit ohrenbetäubenden Sirenen von Polizei und Krankenwagen. Messerstechereien in Raanana und Cholon.

Im Jerusalemer Viertel Armon Hanatziv 16 Opfer, darunter ein Toter in einem Bus der Linie 78, durch Schüsse und Messerstiche von 2 Terroristen. Ein Toter und Schwerverletzte bei einem Auto-Überfahr-Anschlag in der Nachbarstrasse. 10:20 Uhr ein weiterer Überfahranschlag in einem orthodoxen Viertel mit einem Toten und 2 Verletzten. 10:35 Uhr ein zweiter Anschlag in Raanana mit einem Toten und 4 Verletzten durch Messerstiche.

“Israel reagiert auf die zunehmenden Attacken zumeist junger oder jugendlicher Palästinenser, die mit Steinen oder Messern bewaffnet sind, mit scharfen Polizeikontrollen und militärischem Druck. Gut ausgebildete Soldaten und Polizeikräfte gegen Teenager mit Küchenmessern und selbst gebauten Brandsätzen – es ist eine Spirale der Gewalt mit ungleich verteilten Mitteln.” (Der Spiegel 11.10.2015)

Die Empfehlung des „Spiegels“ hat sich die israelische Polizei laut Angaben namentlich nicht genannter israelischer Geheimdienstleute zu Herzen genommen. Gemäss Völkerrecht müsse eine „Verhältnismässigkeit der Mittel“ bestehen, wenn Militär oder Polizei zurückschlagen. Deshalb wurde beschlossen, jeden Polizisten oder wegen der olivgrünen Uniform als „Soldat“ bezeichneten Grenzschützer mit einem waffengefüllten Wägelchen auszustatten. Daraus könnte er zwischen Küchenmesser, Wackerstein, Axt, selbstgebastelter Rohrbombe, Feuerwerkskörper und anderen Waffen auswählen, wenn ein Palästinenser mit Mordabsichten auf einen Juden losgeht. Das würde garantieren, dass Amnesty International, die UNO oder eben der Spiegel dem jüdischen Staat nicht mehr eine „Spirale der Gewalt“ mit ungleichen Mitteln vorwerfen.

Gemäss der gleichen namentlich nicht genannten Quelle wurde ein israelisches Startup damit beauftragt, ein Miniaturauto zu entwickeln, für den Fall, dass Palästinenser „Siedler“ an Strassenbahnhaltestellen oder Busstationen in den völkerrechtswidrig besetzten Gebieten mit Autos überfahren und danach die am Boden liegenden Verletzten mit Messern abstechen. Mit dem Miniauto könnte dann der Attentäter überfahren werden. Schliesslich geht es darum, „gleiche Mittel“ einzusetzen.

Noch ungelöst ist die passende Reaktion auf Behauptungen von Palästinensern, dass es sich doch nur um einen „Autounfall“ gehandelt habe, wenn sie gezielt mit hoher Geschwindigkeit in Menschengruppen fahren, Kinderwagen durch die Luft schleudern, aussteigen und mit einem Messer um sich stechen.

Bei Spiegel und anderen Medien handelt es sich um „mutmassliche“ Aktivisten ohne Herkunftsbezeichnung. Selbst wenn sie „Allah U-Akbar“ schreien, darf man in Europa nicht nach Religion oder ethnischer Zugehörigkeit fragen. Deshalb bleibt unerwähnt, dass die mutmasslichen Aktivisten Palästinenser oder Araber sind.

Religiöse Motive sind ohnehin tabu. Nur bei den getöteten Juden darf die Religionszugehörigkeit betont werden. Dann darf auch das „mutmasslich“ wegfallen.

Aufruf der UNO, die „Spirale“ zu stemmen
Es kann freilich passieren, dass jüdisch/israelische Opfer gänzlich ignoriert werden, wie jetzt bei einem dringenden Aufruf des Pressesprechers der UNRWA, Christopher Gunnes. Ausgewogen, wie es sich für einen Mitarbeiter der Weltorganisation gehört, fordert er „politische Aktion und Rechenschaftspflicht, um die derzeitige Spirale der Gewalt und Angst zu stemmen“. Mit vielen Beispielen zählt er die palästinensischen Toten und 43 Invasionen israelischer Militärs in Flüchtlingslager auf. Besonders angetan hat Gunnes der Tod des 13 Jahre alten Abd El Rahman aus dem Aida-Flüchtlingslager in Bethehem. Verschwiegen wird, wie auch in anderen Fällen, dass der Erschossene in einer Gruppe von Palästinensern demonstrierte, die Sprengbomben auf die Soldaten warf. Laut UNRWA habe er nach der Schule in einer „Gruppe von Freunden“ gestanden und niemanden gefährdet.

Pressesprecher Gunnes kommt jedenfalls zum Schluss, dass die hohe Zahl ziviler Toter unter den Palästinensern eine Folge „exzessiver Gewalt“ und des Einsatzes tödlicher Waffen sei. Deshalb stehe das im Widerspruch zu internationalem Recht bei Strafverfolgungsmassnahmen. Offenbar verstossen auch europäische Polizisten und amerikanische Sherriffs gegen internationales Recht, wenn sie bei Amokläufen, Geiselbefreiungen oder Massakern an amerikanischen Universitäten Schusswaffen einsetzen, anstatt den mutmasslichen Tätern gut zuzureden und zu verhaften. Bemerkenswert an der Pressemitteilung ist die Tatsache, dass bei all der Gewalt – laut UNRWA – kein einziger Israeli oder Jude getötet worden ist. Das muss also eine Erfindung israelischer oder jüdisch gelenkter Medien sein.

„Autos“ und „Jerusalem“ als Terroristen
Wenn es heisst, dass „Schüsse aus einem Auto“ Israelis getötet hätten, wird nicht erwähnt, dass jemand im Auto gesessen und geschossen habe. Es handelt sich wahrscheinlich um Autos aus James Bond Filmen wie „Goldfinger“, die ganz von alleine schiessen können.

Und bei BBC erfährt man, dass nicht etwa Palästinenser in der Altstadt Jerusalems Juden mit Messern niedergestochen haben. Vielmehr handelte es sich um „Jerusalem-Attacken“. Offenbar hat die ganze Stadt losgeschlagen.

Der britische Guardian zitierte den israelischen Polizeisprecher Mickey Rosenfeld Zum Anschlag am Samstag in Jerusalem, bei dem Rabbi Aahron Bennett getötet und seine Frau Adele schwer verletzt und deren Sohn leicht verletzt worden sind. Doch der Guardian verdrehte die Vorgänge mit einem Zitat von Rosenfeld, das er so gewiss nicht gesagt hat: Die Frau (Adele Bennett) habe einem der toten Männer die Waffe entrungen und auf Polizei wie Touristen in der Gegend geschossen. Dabei sei auch der 2 Jahre alte Sohn von Bennett verletzt worden.

Israelische Medien brachten eine völlig andere Version des Vorgangs. Nachdem Rabbi Aahron Bennett ermordet und seine Frau Adele verletzt worden waren, habe der palästinensische Terrorist – der 19 Jahre alte Jura Student der Al Quds Universität Mohannad Hallabi – dem toten Rabbiner die Waffe weggenommen, dessen Frau Adele schwer verletzt, den 2-Jährigen Sohn der Bennetts ins Bein geschossen und dann Polizei und Touristen bedroht, ehe er erschossen werden konnte. (Inzwischen hat der Guardian in seiner Online-Ausgabe die Angaben korrigiert, aber es gibt Screenshots des ursprünglichen Berichts. (http://honestreporting.com/guardian-confuses-victim-with-terrorist/)

Die Endlösung des Nahostkonflikts
Zum Repertoire der Anklagen gegen den Judenstaat gehört die Behauptung, dass Israel die Atombombe besitze, während die Palästinenser sich doch nur mit unschuldigen Steinen, Messern und bestenfalls mit Selbstmordattentätern gegen die Zionisten zur Wehr setzen. Dahinter steckt wohl die Vorstellung, dass Israel sich mit einer Atombombe auf Tel Aviv oder Jerusalem gegen Selbstmordattentäter auf dem Weg zu einem Anschlag in einem Bus wehren könnte.

Ich wage allerdings den begründeten Verdacht, dass es anschliessend dann auch landesweit keine europäischen Pressevertreter mehr gibt, die darüber berichten könnten, was mutmasslich das Nahostproblem endgültig lösen würde.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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