Die Schweizer Presse interessiert sich für nahöstliche Polit-Logik

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Foto Ralf Roletschek. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.
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Syriens Bürgerkrieg fordert täglich dreistellige Todesopfer. Die Terrormiliz Islamischer Staat hat einen beträchtlichen Teil des Landes in der Gewalt und schickt regelmässig Videos diverser blutiger Bestrafungsszenarien. Nicht anders sehen die Bilder aus dem Irak aus. Millionen Flüchtlinge aus der Region stürmen die europäischen Grenzen. Doch kein anderes Thema steht auf der medialen Beliebtheitsskala so weit vorne wie der israelisch-palästinensische Konflikt. Analysen sind mangels Erfahrung jedoch Profiarbeit.

Von Sabrina Goldemann. Freie Autorin

Mahmud Abbas, seines Zeichens erster Mann der palästinensischen Autonomiebehörde und der PLO Spitze hat gleich zweimal für mediales Aufsehen gesorgt.

Beunruhigt bis empört reagierten Mitarbeiter des Aussenministeriums in Bern (EDA), als sie sich plötzlich inmitten arabischer Machtkämpfe verwickelt sahen. Das Online Magazin Watson wendet sich reisserisch an den „Schweizer Steuerzahler. Wie der Autor, Kian Ramezani, berichtet, begann Präsident Abbas, sich Anwärter auf seine Posten, wie Jassir Abed Rabbo und Salaam Fayad zu entledigen. Beide stehen Nichtregierungsorganisationen vor, die Abbas kurzerhand schloss und deren Vermögen er einfror. Dazu gehörte die NGO Palestinian Peace Coalition (PPC), die das Berner Aussenministerium als „strategischer Partner“ jährlich mit einer sechsstelligen Summe unterstützte. Nun sei das EDA „tief besorgt und ruft den Präsidenten auf, diesen Entscheid zu widerrufen“. Nach aktuellen Meldungen zu Folge hat sich Abbas davon beeindrucken lassen.

Danach griff der 82jährige Abbas zum nächsten Coup. Er gab seinen Rücktritt als Chef des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation bekannt. Mit ihm ging auch die Hälfte des Komitees. Ulrich Schmid von der Neuen Zürcher Zeitung gelingt in seinem Text der nachvollziehbare Einblick in nahöstliche Polit-Logik.

Er sieht in Abbas’ Vorgehen „eine konzertierte Aktion“. Höhere Figuren deuteten „den Rückzug als Manöver zur Machterhaltung“ an, da in dreissig Tagen das Exekutivkomitee und der Vorsitzende erneut gewählt werden. Zu undurchsichtig sind die Strukturen in diesem Apparat aus Korruption, politisch-ideologischen Verstrickungen und komplizierten Clanstrukturen. Seit dem Abzug der Israelis aus Gaza, 2005 und den folgenden Wahlen der Autonomiebehörde, so Schmid, ist Abbas in seinen Ämtern nicht mehr vom Volk bestätigt worden. Zudem schwäche ihn der zunehmende Einfluss der Hamas im Westjordanland. Deren Verhandlungen mit Israel über Möglichkeiten und Konditionen eines Waffenstillstands hinter Abbas‘ Rücken untergrabe dessen Autorität zusätzlich. Für das Beispiel vorsichtiger Kritik von Seiten der neuen Fatah Generation verlinkt der Autor jedoch etwas missglückt zur Palestine News Network-Seite. Der PNN Autor macht rhetorisch unmissverständlich klar, dass für ihn Israel gar nicht existiert; ein sehr beunruhigender Umstand für künftige Friedensverhandlungen.

Artur K. Vogel von der Aargauer Zeitung wagt sich mit der heiklen Ausgangsfrage „Ist der alte PLO Chef auch der neue PLO Chef“? tief in die Geschichte des komplizierten israelisch-palästinensischen Konflikts. Letztendlich legt er trotz journalistischer Feinarbeit in seiner Recherche einzig Benyamin Netanjahu die politischen Fäden in die Hand. Sein Fazit: Die Regierung Netanjahu wolle Gaza vom Westjordanland trennen und dieses so lange „weiter aufsplittern und besiedeln“, bis die Gründung eines zusammenhängenden Palästinenserstaates nicht mehr möglich sei. Eine Denkweise, die möglicherweise auf einige Mitglieder ultrarechter Kreise um den israelischen Premier zutreffen. Der europäische Beobachter vom heimischen Redaktionstisch jedoch sollte mit Pauschalisierungen vorsichtig sein. Schliesslich war es einst Ariel Scharon, der „Bulldozer“, der unerwartet vor zehn Jahren den Rückzug aus Gaza anordnete und flammende Reden zur Zweistaatenlösung hielt, die niemand für möglich hielt.

Die Lösung für die festgefahrenen Friedensgespräche glaubt der Tagesanzeiger zu liefern. Mit einem bereits an viele europäische Regierungen und Redaktionen gesandten sogenannten „Gastkommentar“ ungenannten Ursprungs ist der Aufmacher gewiss: Die ehemaligen israelischen Regierungsbeamten, Alon Liel und Ilan Baruch bitten die Schweiz um die bedingungslose Anerkennung Palästinas als souveräner Staat. Baruch quittierte seinen Dienst, 2011, spektakulär kurz vor seiner Pensionierung, weil er die israelische Aussenpolitik nicht mehr vertreten wollte. Liel und Baruch, beide ehemals Mitarbeiter des Aussenministeriums, jetzt offiziell Privatmänner und Friedensaktivisten, waren u.a. Botschafter in Südafrika; ein Umstand, der ihrerseits zu Apartheidvergleichen führt, die selbst Autoren der regierungskritischsten israelischen Zeitung für unangemessen halten

Auch auf Nachfrage in der Redaktion des Tagesanzeigers ist der Textursprung nicht nachvollziehbar, auch die ursprünglich 800 Unterschriften israelischer Repräsentanten aus Politik und Kultur bleiben namentlich unerwähnt. So ist nicht klar, ob sich nicht andere Organisationen mit den illustren Namen der Verfasser schmücken. Der Text gleicht einem Flyer in agitatorischer Rhetorik. Der mit Machtspielen beschäftigte Abbas wird hier als heilsbringender Friedensengel beschrieben, der mit seinem mageren „politischen Kapital“ gewalttätigen Widerstand „gegen die israelische Besatzung“ mässige. Zuvor heisst es, dass Europa seine Stimme heben solle, um die israelische Demokratie zu retten, auch wenn es dafür den „Preis“ zahlen müsse. Denn das vom „weltweiten jüdischen Establishment“ unterstützte Israel werde nicht nur drohen und protestieren, sondern sich auch zu „rächen“ versuchen. Das müsse man aber in Kauf nehmen, um, ganz poetisch, die „Besetzung Palästinas durch Israel in eine Nachbarschaft“ zu verwandeln.

Dank medialer Netzkooperationen erscheinen solche Texte unkommentiert auch in anderen Onlineportalen. Als seriöser Vergleich dient ein SRF-Radiointerview mit Alon Liel. Hier bezeichnet er die Mitglieder der Initiative als „Patrioten“. Der anerkennenswerte Kampf bedeutender israelischer Politiker und Intellektueller um den Erhalt der Werte und politischen Moral in ihrem Land ist ein innerisraelisches Engagement, das den demokratischen Charakter des Landes wiederspiegelt. Vielleicht ist es auch ein naiver Versuch, das Ansehen Israels in Europa auf diese Weise zu verbessern. Leider werden persönliche Einsätze wie diese von sogenannten „Israelkritikern“ und auch Medien instrumentalisiert.

Die wachsende Anhängerzahl muslimischer Extremisten verschwindet auch in einem allseits anerkannten Staat Palästina nicht. Ihre ablehnende Haltung zu einer jüdischen Souveränität auf „muslimischer Erde“ wird sich auch nicht so schnell an europäische Werte anpassen. Der politische und religiöse Führer des Iran, Ayatholla Ali Khameini, z.B., hat kürzlich ein Buch unter dem Namen „Palästina“ herausgegeben und damit eine Gebrauchsanweisung und religiöse Legitimierung zur Zerstörung Israels veröffentlicht. Eine wunderbare authentische Quelle für die Tagesanzeiger-Redaktion, ein Stück gelebten israelischen Alltags und der Umgang mit dem Terror darzustellen.

Vielleicht hatte wenigstens das Basler Fussballteam ein bisschen vom sonnigen, freundlichen, anderen Gesicht Israels kennengelernt. So könnten die Kicker eine neue „zuverlässige Quelle“ über eine Region und ihren Konflikt werden, die nicht in Schwarz und Weiss gesehen werden kann.