Kairos Palästina und die neue christliche „Religion des Palästinismus“

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Im September findet – wieder einmal – eine Tagung zum Dokument „Kairos Palästina“ in der Schweiz statt – im RomeroHaus in Luzern. Und es sind wieder das „Hilfswerk Evangelischer Kirchen Schweiz“ (HEKS) und die „Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn“ die Mitveranstalter.

Von Ekkehard W. Stegemann und Wolfgang Stegemann

Kritische Stimmen zum Dokument, die es seit dem Erscheinen im Dezember 2009 reichlich gibt, sind offenbar nicht eingeladen. Das im Dezember 2009 publizierte Dokument erhebt den Anspruch, ein „Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus der Mitte des Leidens der Palästinenser und Palästinenserinnen“ zu sein. Tatsächlich ist es jedoch von einigen Funktionären palästinensischer Kirchen und des Weltrats der Kirchen (ÖRK/WCC) verfasst worden, um als Propagandawaffe gegen Israel international in kirchlichen Institutionen zu dienen. Der ÖRK sorgt kräftig für dessen Verbreitung. Er war es wohl auch, der dem Text den Titel „Kairos Palästina“ gab, um so – auf ein klassisches Dokument anspielend, das die Apartheidspolitik in Südafrika anprangerte – dem Staat Israel Apartheid und Rassismus vorzuwerfen. Doch ist diese Anspielung durchaus im Dokument selbst angelegt. Entsprechend fordert der Text auch zum Boykott gegen Israel auf und reiht sich in die BDS-Bewegungen ein. Sie unterstützen die Delegitimierung und Dämonisierung Israels verbunden mit der Aufforderung zu Boykott-Massnahmen auf jedem nur denkbaren gesellschaftlichen Feld. Die BDS-Bewegung sieht der Göttinger Soziologe Samuel Salzborn deshalb als die gegenwärtig wichtigste „international agierende antisemitische Bewegung“ an.

Die christliche Bevölkerung Palästinas, für die „Kairos Palästina“ zu sprechen vorgibt, hat weder diese Handvoll von Funktionären zu ihrem Wort ermächtigt noch eine Möglichkeit gehabt, sich vor dessen Veröffentlichung dazu zu äussern. Aber es herrschen nicht nur dort medial kirchliche Funktionäre, sondern auch andernorts – wie eben in der Schweiz, bald dann in Luzern. Das Kirchenvolk muss nämlich belehrt werden; seine Funktionäre wissen es besser. Und die „Religion des Palästinismus“, wie wir das in Aufnahme einer Analyse des kürzlich verstorbenen Jerusalemer Antisemitismusforscher Robert Wistrich nennen, also hier die einseitige antiisraelische Instrumentalisierung christlich-biblischer Hauptbegriffe, ist offenbar auch relativ gut zu verbreiten. Der traditionelle christliche Antijudaismus, von dem wir uns nach der Shoah in vielen Kirchen zu befreien unternommen haben, wird über den Umweg palästinensischer „Theologie der Befreiung“ und mit dem alten hohen Ton moralischer Selbstgerechtigkeit gegenüber den Juden in der Version des theologischen Antiisraelismus wieder erweckt– oder besser: fortgesetzt.

Die Trias „Glaube, Hoffnung und Liebe“, die auch als gliederndes Prinzip der Stellungnahme dient, soll denn auch von der Tatsache ablenken, dass dieser Text eigentlich eine knallharte antiisraelische politische Propaganda betreibt. Suche nach Wahrheit, nach Fairness und nach historischer Faktentreue, das klassische Prinzip des audiatur et altera pars, fehlt vollständig. Stattdessen wird gegen Christinnen und Christen ausgeholt, die anderer Meinung sind als die Autoren des Pamphlets. Besonders wird eine „fundamentalistische Bibelauslegung“ angegriffen. Sie soll – man traut seinen Augen nicht – „Tod und Zerstörung“ bringen, da sie das „Wort Gottes versteinert … tradiert.“ Warum diese feindliche Kritik? Weil diese Christen bibeltreu etwa die Landverheissungen im Alten Testament an Israel ernst nehmen? Ein Wort der „Liebe“ sieht jedenfalls anders aus.

Entsprechend durchzieht das ganze Dokument auch eine geradezu peinliche Selbstgerechtigkeit und mangelnde Selbstkritik. Es gibt nur einen Schuldigen und Täter: Israel, und nur ein unschuldiges Opfer: die Palästinenser. Und es gibt nur das eine „Böse“, den einen „Feind“ und nur einen, der „Sünde“ begeht: Israel. Dieses manichäische Weltbild kennen wir aus dem klassischen Antisemitismus leider nur zu gut. Deshalb hilft es auch nichts, wenn „Kairos Palästina“ Gewaltfreiheit im Konflikt fordert. Denn das kann nicht ernst gemeint sein, wenn zugleich palästinensische Terrorangriffe zum „bewaffneten Widerstand gegen die Besetzung“ erklärt und die Berufung Israels auf ein Recht zur „Selbstverteidigung“ nur als eine „Vorwand“ bezeichnet wird, um „die Palästinenser des Terrorismus zu bezichtigen“. „Ja“, heisst es, es gibt palästinensischen Widerstand gegen die Besetzung. Wenn es jedoch keine Besetzung gäbe, gäbe es auch keinen Widerstand.“

Gibt es ein Widerstandsrecht gegen Säuglinge, Kinder und deren Mütter, die in einer Pizzeria in Jerusalem sich zufällig aufhalten und barbarisch ermordet werden? Oder gegen Greise, die in Netanja in einem Altenheim lebten, viele Holocaustüberlebende, die durch einen Selbstmordattentäter in Stücke zerrissen wurden? Sind Diskobesucher in Tel Aviv des Todes durch eine Bombe schuldig, weil man gegen sie „legitimen Widerstand“ leistet? Christliche Theologen, die diese hinterhältigen und mörderischen Untaten als Widerstand bezeichnen, vertreten ohne jeden Zweifel eine unchristliche Moral. Und Christen, die dann auch noch – wie im Kairos-Palästina-Text zu lesen – „Hochachtung vor allen, die ihr Leben für unsere (sc. palästinensische) Nation hingegeben haben“, terroristische Mörder inklusive, bezeugen, sind vor der islamistischen Märtyrerideologie der Hamas in die Knie gegangen. Denn Märtyrer sind in der christlichen (und jüdischen) Tradition unschuldige Gerechte und nicht Massenmörder.

Dass diese geradezu barbarischen Aussagen im Text vom Weltkirchenrat und nationalen bzw. kantonalen kirchlichen Funktionären wissentlich verbreitet werden (obwohl der Schweizerische Evangelische Kirchenbund, aber auch andere Kirchen im Blick darauf klare Kritik geübt haben), ist eine Anfechtung. Wir vermuten, dass dabei jedoch das Dauerfeuer der Delegitimierung und Dämonisierung Israels, dem wir alle täglich ausgesetzt sind, seine faulen Früchte gezeitigt hat, freilich im Zusammenspiel mit der Tradition der kirchlichen-christlichen-theologischen Judenfeindschaft.

Wer nach innerpalästinensischer Selbstkritik im Text sucht, wird nicht fündig. Die Verfasser behaupten zwar, dass „unser Land“ (also ihr Land!) „Gottes Land“ ist und  „deshalb … ein Land der Versöhnung, des Friedens und der Liebe sein“ muss. „Und das ist auch möglich. Gott hat uns als zwei Völker hierher gestellt, und Gott gibt uns, wenn wir es nur aufrichtig wollen, auch die Kraft, zusammenzuleben und Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen, das Land wahrhaft in Gottes Land zu verwandeln.“ Das ist offenbar kein Ansatz zur Zwei-Staaten-Lösung. Denn in der Stellungnahme fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass die Verfasser selbst ihre frommen Worte ernst nehmen. Es findet sich, wie erwähnt, nicht eine einzige Bemerkung, die auch nur annähernd das Existenzrecht Israels anerkennt. Das wäre doch eine Brücke zu „Gerechtigkeit und Frieden“ und gewissermassen ein Beweis für die Anerkennung des Realitätsprinzips! Denn „Versöhnung“ und „Frieden“ im Land gibt es nur, wenn die Existenz des jüdischen Staates anerkannt wird. Dass ein palästinensischer Staat an der Seite Israels in Frieden existieren sollte, kann kein einigermassen realistischer Beobachter verneinen. Doch wenn dieses Ziel erreicht werden soll, muss man politische Diskurse führen, die Selbstkritik zulassen. Davon gibt es nichts in dem Dokument „Kairos Palästina“. Nicht einmal wird Hamas kritisiert – mit dem Vernichtungsdogma gegenüber Israel. Nicht wird die schändliche Apartheid in arabischen Staaten gegenüber den palästinensischen Flüchtlingen und deren Nachkommen angesprochen. Nicht die Verfolgung von Christen in muslimischen Ländern. Nur absolute Ansprüche in der Form von manichäischen Zuweisungen von Schuld und Unschuld, Bösem und Gutem vernimmt man. Der religiös-christlich geführte Diskurs von „Kairos Palästina“ nimmt alle Elemente der antiisraelischen „Zivilreligion“ samt der Mythen und Verdrehungen auf, die unter palästinensischen Gruppen und Institutionen üblich sind. Der emeritierte Bochumer Universitätsprofessor Klaus Wengst, der das Dokument eingehend besprochen hat (http://www.compass-infodienst.de/Klaus-Wengst-Das-Kairos-Palaestina-Dokument-Eine-theologische-Auseinanderse.9899.0.html) schreibt:

„Der grösste Skandal dieses Wortes besteht in meinen Augen darin, dass und wie es durch den Ökumenischen Rat der Kirchen verbreitet worden ist. Statt den Autoren und Autorinnen deutlich zu machen, dass ihre theologischen Aussagen an schlimmer traditioneller Judenfeindschaft partizipieren,  statt ihnen die Sicht zu erweitern und ihnen so zur Selbstkritik zu verhelfen, hat er es als „Kairos Palästina-Dokument“ benannt in ausdrücklicher Anlehnung an das „Kairos-Dokument“, einen Aufruf südafrikanischer Kirchen aus dem Jahr 1985 gegen das Apartheidsregime in ihrem Land … Israel wird damit zum Apartheidsstaat erklärt. Das ist unerträglich.“

Wir halten es auch für einen Skandal, dass ohne deutliche Distanzierung von diesem tendenziösen Werk dessen antiisraelische Propaganda wieder und wieder, eben auch in der Schweiz, durch kirchliche Institutionen verbreitet wird.

Ein Analyse der beiden Autoren zur Stellung des Weltkirchenrats zu Israel: http://www.kirche-und-israel.de/index.php?option=com_content&view=article&id=173&Itemid=67

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