Jüdischer Geschäftsmann aus Kanada rettet Jesiden aus IS-Gefangenschaft

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Steve Maman mit dem kanadischen Premierminister Stephen Harper. Foto zVg/ezidipress.com
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Schwarz gekleidete, bärtige und bewaffnete Männer umstellen Dörfer und lassen Lastwagen und Kleintransporter vorfahren. Es sind Terroristen des “Islamischen Staates” (IS), die vor einem Jahr am 3. August 2014 das Hauptsiedlungsgebiet der Êzîden (Jesiden) im Nordirak überfallen und Tausende êzîdîsche Frauen und Kinder verschleppen.

Von ÊzîdîPress

Als “Kriegsbeute” bezeichnet die Terrormiliz die entführten êzîdîschen Frauen und Mädchen, die täglich sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Die Gräueltaten und die unmenschlichen Verbrechen an den êzîdîschen Frauen machen international Schlagzeilen. Die “Wiedereinführung der Sklaverei” im 21. Jahrhundert; so brüstet sich die Terrormiliz in seinem Propagandamagazin “Dabiq”.

Aus der Gefangenschaft befreite Êzîdînnen schildern der UN-Menschenrechtskommission und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, was ihnen in der IS-Gefangenschaft widerfahren ist. Vergewaltigung, Folter, Demütigung, Sexsklaverei. Selbst vor minderjährigen Mädchen im Alter von neun Jahren machen die IS-Extremisten nicht halt, vergewaltigen sie an den Händen gefesselt mehrmals am Tag.

Vom Schicksal der gefangenen êzîdîschen und christlichen Kinder im Irak und Syrien erfährt auch der Kanadier Steve Maman und entscheidet sich nicht tatenlos zuzusehen. Der Geschäftsmann ist selbst Kind einer jüdischen Familie und engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich innerhalb seiner Gemeinde. Der 42-jährige in Marokko geborene und früh nach Kanada emigrierte Maman gründet die Organisation “Liberation of Christian and Yazidi Children in Iraq” (CYCI) zur Befreiung von Christen und Êzîden. “Als Juden wissen wir wie es ist, wenn die gesamte Welt zuschaut und nichts unternimmt”, betont der sechsfache Familienvater im Gespräch mit ÊzîdîPress.

“Ich bin das Kind einer Nation, das Teil des verheerendsten Völkermordes wurde. Und ja, die Welt kam nicht rechtzeitig, um uns zu helfen. Zu viele Juden starben, weil man zu spät reagierte. Das ist es, was mich veranlasste, unverzüglich zu handeln”, erläutert Meman weiter.

Innerhalb mehrerer Monate kann Maman Hunderttausende US-Dollar an Spenden sammeln und investiert selbst eine hohe Summe. Maman wendet sich an Aktivisten, die bereits im Irak Befreiungsaktionen koordiniert haben und über ein entsprechendes Netzwerk verfügen. In seinem CYCI-Team wirken Juden, Christen, Êzîden, Muslime und Agnostiker mit. Maman pflegt Kontakte zu kanadischen Politikern, früheren Botschaftern der US-Regierung, kanadischen Sicherheitsberatern im Irak. Sein Mann “für alles” ist der Pfarrer Dr. Canon Andrew White, der eine Hilfsorganisation von Bagdad aus leitet. “Ein großartiger Mann. Der beste Mensch unter den Menschen”, beschreibt Meman Pfarrer Dr. White. Auch der kanadische Verteidigungsminister Jason Kenny gehört zu den Unterstützern Memans.

Steve Meman. Foto Privat
Steve Meman. Foto Privat

“Als ich sah, was den Êzîden und Christen widerfuhr, entschloss ich mich, nicht einfach tatenlos zuzusehen. Ich entschied, Christen und Êzîden aus der IS-Gefangenschaft zu befreien, so wie einst Oskar Schindler Juden vor den Nazis rettete”.

Das CYCI-Team knüpft Verbindungen zu Schmugglern innerhalb der vom IS kontrollierten Gebiete, vor allem aber nach Mosul. Alle geretteten Êzîden werden sorgfältig in einem Register dokumentiert und interviewt, um Standorte weiterer Gefangenen zu erfahren. Aktivisten bestätigen die Aktionen der CYCI, so etwa Dr. Amy L. Beam, die sich seit Beginn des Genozids für die Êzîden einsetzt und für das CYCI-Team Kontakte zu Familien herstellt, deren Angehörige sich in IS-Gefangenschaft befinden.

Fingerabdrücke der befreiten Êzîden und Christen sorgen dafür, dass es zu keinen Verwechslungen der Identitäten oder Ausweisdokumente kommt. Mamans Team gelingt so über Monate hinweg, 128 Êzîden, vor allem Frauen und ihre Kinder, zu befreien. Über weitere Kanäle versucht der CYCI-Vorsitzende weitere Spendengelder zu sammeln. Innerhalb von 28 Tagen gehen über 110.000 US-Dollar an Spenden auf der gofundme.com Seite der CYCI ein.

“Die Kosten für Schmuggler und Lösegelder für die Gefangenen sind enorm gestiegen, seitdem der IS weiter zurückgeschlagen wurde”, klagt Meman. Dennoch gelingt es ihm mit einer großzügigen Spende zwei êzîdîsche Frauen im Juli zu befreien und sie mit ihrer Familie zu vereinen. In einem herzzerreißenden Video treffen die beiden Mädchen erstmals wieder auf ihren totgeglaubten Vater.

“Die derzeitige Schwierigkeit ist nicht zwingend die Befreiung der Frauen an sich, sondern das Aufbringen der notwendigen Gelder und neue Unterstützer zu gewinnen,” sagt Meman. So trifft am 29. Juli in Québec mit der UN-Sondergesandten Zainab Hawa Bangura zusammen, die ihm volle Unterstützung zusagt.

“Alle Mitwirkenden sind Helden, wahre Helden. Wir können und werden weiterhin unschuldige Kinder befreien”, sagt Meman. Das CYCI-Team sucht êzîdîsche Familien auf, um Möglichkeiten auszuloten, wie die gefangen Angehörigen befreit werden können. Im vergangenen Monate befreien so Aktivisten zusammen mit CYCI rund 35 Êzîden aus der Gefangenschaft. Oft müssen die Gefangenen stundenlang durch IS-Gebiet und brütende Hitze marschieren, um sich in Sicherheit zu bringen. Den Fluchtweg koordinieren die Aktivisten und CYCI zwar, dennoch bleibt immer ein Restrisiko bestehen. Bevor die befreiten Gefangenen dann zum “Büro zur Dokumentation des Genozids” in Duhok begleitet werden, werden sie zunächst medizinisch versorgt und registriert, um spätere Angaben mit denen des Büros in Duhok abgleichen zu können.

Immer wieder betont Meman im Gespräch mit ÊzîdîPress, wie wichtig es sei, die Identitäten der Helfer im Irak aus Sicherheitsgründen geheim zu halten. Ebenso werden die Daten der befreiten Êzîden streng vertraulich behandelt. Êzîdîsche Aktivisten bestätigten die ordnungsgemäße und seriöse Arbeit der CYCI.

“Als wir die ersten Familien befreiten, fühlte ich, als hätte ich mich selbst befreit. Als ich die Bilder und Videos ihrer Befreiung sah, wie die Familien ihre Liebsten wieder in die Arme schlossen, Väter und Töchter wieder vereint wurden. Es war schwer, die Tränen zurückzuhalten. Auch Mrs. Bangura kamen die Tränen”, antwortet Meman auf die Frage, was er nach der ersten Aktion fühlte. Aber auch eine Verpflichtung, die Arbeit fortzuführen, erzählt er weiter. Den Êzîden möchte er eines mit auf den Weg geben:

“Die Juden werden eurem Volk helfen. Wir lassen euch nicht im Stich”.