Pessach und Ostern – Zwei Befreiungsfeste

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In zahlreichen Sprachen wird der Zusammenhang von Pessach und Ostern schon im Namen sichtbar. Im Italienischen heisst Ostern Pasqua, im Französischen Pâques. Das hat eine sprachgeschichtliche Tradition. Denn das Hebräische pessach wurde – freilich in der aramäische Version pas-cha – mit griechischen Buchstaben transkribiert und als Fremdwort Teil der griechischen Bibel und der jüdischen und christlichen Literatur. Die lateinischen Bibelübersetzungen verbreiteten es dann weiter. Im Deutschen ist es in latinisierter Schreibweise im Fremdwort Passa(h) erhalten, das aber immer das jüdische Wallfahrtsfest, Pessach, meint. Das hebräische Wort pessach dürfte „Vorbeischreiten“ bedeuten, also den Schutz, den die Häuser der Israeliten bei der Plage genossen. „Es ist das Passaopfer des HERRN, der an den Israeliten vorüberging in Ägypten, als er die Ägypter schlug und unsere Häuser errettete“ (Ex 12,27). Das Wort „Ostern“ hingegen (wie „easter“ im Englischen) meint wohl die Himmelsrichtung „Osten“ und den Sonnenaufgang; womöglich steht auch die angelsächsische Morgengöttin, die althochdeutsch Ostara hiess, im Hintergrund. Entscheidend ist in jedem Fall, dass Pessach wie Ostern im weitesten Sinn Frühlingsfeste sind. Und religionsgeschichtlich wird vermutet, dass Pessach in alten agrarischen und gar wohl nomadische Feiern („Weidewechsel“) wurzelt und erst später eine Deutung auf die Befreiung aus dem Sklavenhaus in Ägypten hinzukam.

In der Zeit des Zweiten Tempels und somit auch zur Zeit Jesu und seiner ersten jüdischen Anhängerschaft war Pessach eines der drei Wallfahrtfeste (neben dem Wochenfest/Shavuot und dem Laubhüttenfest/Sukkot), also ein Tempelfest. Es war ausgezeichnet durch das Pessach-Lamm-Opfer am 14. Nissan, also am Vorabend des Festes. Das war jedoch immer auch ein Familienfest. Der jüdische Religionsphilosoph Philo von Alexandrien hebt das hervor: Am „Fest der Überschreitung“ – wie Philo Pessach übersetzt (im Englischen ist bis heute vergleichbar vom passover die Rede) – ist „dem ganzen Volk volle Befugnis eingeräumt worden, … Opferdienst und Priesteramt zu versehen“. Freilich waren am Tempel dabei die Priester beteiligt.  Für Philo ist jedenfalls Pessach das Fest der Erinnerung an die grosse Auswanderung aus Ägypten, zumal an die Durchschreitung des Roten Meers. Und nach ihm hat das Volk nach dem gelungenen Auszug im Überschwang der Befreiung gar nicht mehr auf die Priester warten können, um das Opfer darzubringen.

Wie bei allen Wallfahrtsfesten haben sich auch und nicht zuletzt zu Pessach viele Pilgergruppen aus der Diaspora nach Jerusalem begeben. Aber Pessach als der Tag der Befreiung der jüdischen Nation war natürlich besonders beliebt. Der jüdische Historiker Josephus berichtet gar von Millionen, die zum Fest jeweils kamen. Auch wenn das übertrieben sein mag, so ist doch damit angedeutet, dass es in Jerusalem zur Zeit von Pessach ein erhöhtes Sicherheitsproblem gab. Nicht zufällig weist Josephus deshalb darauf hin, dass es während des Festes nicht selten zu Unruhen kam. Manche Gruppen, etwa die Sikarier, haben das Fest der Befreiung aus dem Sklavenhaus Mizraim politisch wörtlich genommen und den Aufstand geprobt, nicht nur, aber vor allem auch in der Zeit, als Rom Jerusalem und Judäa als Provinz, also als eigenes Staatsgebiet beherrschte. Es ist in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass in den Evangelien die letzte Wallfahrt Jesu zum Pessachfest in Jerusalem als der Beginn seines Martyriums und damit seines Todes am römischen Kreuz, aber eben auch seiner Auferstehung, der Befreiung aus dem Tod, dargestellt wird. Es sind die Probleme von Sicherheit und Ordnung zu diesen Wallfahrtszeiten, die die römische Obrigkeit zu schnellen standrechtlichen und abschreckenden Hinrichtungen führte – auch im Fall des Juden Jesus von Nazareth. Denn verdächtig an ihm war, dass er eine Anhängerschaft hatte. Was er predigte, wie pazifistisch es auch gewesen sein mochte, spielte für die römische Obrigkeit keine Rolle. Er war für sie des Aufruhrs verdächtig, weil es einige gab, die ihm folgten und diese Ansammlungen Unruhe stiften konnten. Es gibt leider eine lange christliche Tradition, beginnend gar mit den Passionserzählungen in den Evangelien, die vor allem jüdische Behörden in Jerusalem für Jesu Tod am römischen Kreuz verantwortlich machen. Historisch-kritisch betrachtet hat das jedoch nicht Bestand.

Kreativer Prozess der Rezeption jüdischer Pessach-Deutungen
Der Zusammenhang des Martyriums Jesu und des Glaubens an seine Auferstehung mit dem Pessachfest in Jerusalem, wie er in den Evangelien berichtet wird, löste schon in der antiken christlichen Tradition einen kreativen Prozess der Rezeption jüdischer Pessach-Deutungen aus. Man hat geradezu von einer „Passatypologie“ gesprochen. Und nicht zuletzt verdankt sich dem natürlich die Einführung des Osterfestes selbst – Belege dafür gibt es erst aus der Mitte des 2. Jahrhunderts –  und dessen Terminierung. Allerdings wurde in Osterfeststreitigkeiten der traditionelle Termin, nämlich der 14. Nissan (dem Vorabend des Pessachfests mit dem Sedermahl), verschoben, nämlich auf eine Feier am Sonntag danach, so dass ein (wohl beabsichtigter) Bruch mit der jüdischen Festpraxis vollzogen wurde. Auch wurde später nicht mehr dem jüdischen Kalender gefolgt, sondern der Ostertermin auf den ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond gelegt. Doch auch unter den verschiedenen Konfessionen gibt es bis heute terminliche Differenzen, je nach dem ob man den Ostertermin nach dem julianischen Kalender (so die orthodoxen Ostkirchen) oder nach dem gregorianischen (so die westlichen Kirchen)  bestimmt. Der Vorschlag von Papst Paul VI., dem der Weltkirchenrat weithin folgte, nämlich Ostern immer auf den zweiten Sonntag im April zu legen, hat bei den Ostkirchen keine Zustimmung gefunden.

Die erwähnte christliche Rezeption jüdischer Pessachtheologie beginnt schon im Neuen Testament. Christus wird als unser oder Gottes (Pessach-) Lamm bezeichnet; nach dem Johannesevangelium stirbt er auch zu der Zeit, da die Passalämmer geschlachtet wurden. In der Alten Kirche wird sogar eine Beziehung zwischen dem giechischen Fremdwort für Pessach, pas-cha, mit dem griechischen Verb pas-chein, das „leiden“ heisst, hergestellt. Jesu letztes Mahl in Jerusalem wird als Passamahl gedeutet, was durchaus auch Anhalt an der neutestamentlichen Überlieferung hat.  Nicht zuletzt schliesst man aber an die bei Philo und bei anderen griechisch-jüdischen Autoren zu findende Deutung an, nach der Pessach das „Überschreiten“ (der Grenzen) oder „Durchschreiten“ (des Roten Meers), den  transitus oder gar die Transzendierung, also das „Darüberhinausgehen“ meint. Und das wird dann einerseits als das Hindurchgehen vom Tod zum Leben, wie es mit Christi Auferstehung als dem Erstling der Entschlafenen stattgefunden hat, aber auch ethisch verstanden, nämlich als eine Transzendierung der fleischlich-sündigen Konstitution des Menschen.  Das Osterfest feiert man darum selbst bis heute an der Schwelle von der Nacht zum Tag.

Der Zusammenhang des christlichen Osterfestes mit dem jüdischen Pessach ist unübersehbar. Aber auch die Unterschiede sind beachtlich. Der Rückgriff auf die biblisch-jüdischen Traditionen in den christlichen Deutungen sind mit Händen zu fassen. Was für mich jedoch nicht so greifbar ist, dass es einer rabbinischen Interpretation bedurfte, um das an den Tempel in Jerusalem gebundene Wallfahrtsfest Pessach nach dessen Zerstörung fortzuführen. Durch die Gestaltung des Sedermahls als eines lehrhaften Gesprächs über die Befreiungsgeschichte des jüdischen Volkes hat das in der Haggada Ausdruck gefunden. Es ist wohl nicht zufällig, dass die Osternacht am Abschluss der Fasten- und Passionszeit, mit der sie eine Einheit bildet, eigentlich auch auf die Grundfrage antwortet: Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten? Und die Antwort ist auch hier: Freiheit im umfassenden Sinn.

 

Über Ekkehard W. Stegemann

Ekkehard W. Stegemann war von 1985 bis 2014 Ordinarius für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Basel.

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