Der Tag nach den Wahlen

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Likud Wahlplakat 2015. Foto Dr. Avishai Teicher. Lizenziert unter CC-BY-SA 4.0 über Wikimedia Commons.
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Während der wiedergewählte israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sichtlich gerührt und dankbar mit seinem Sohn Jair die Klagemauer aufsuchte und dort dem Brauch entsprechend einen Zettel zwischen die alten Steine steckte, kratzten sich wahrscheinlich nicht wenige Israelis ratlos am Kopf.

Wie konnte das passieren?
Der Schock, der durch die Reihen ging betraf weniger das Resultat der Wahlen, als dass die Hochrechnungen der letzten Wochen, die crescendo-artig den Misserfolg des Likud voraussagten, so völlig an der Realität vorbei gezielt hatten. Als Bibi im letzten Dezember zu neuen Wahlen aufgerufen hatte, war er sich sicher gewesen, diese auch gewinnen zu können. Doch seine zusehends schlechten Resultate in den Umfragen versetzten schliesslich auch ihn in Zweifel, ob er diese Wahlen tatsächlich wird gewinnen können. Wie heute Morgen verschiedentlich konsterniert getwittert wurde, fragten sich die Medien, ob sowohl sie als auch die Wahlforscher mit ihrer weit verfehlten Prognose in der gleichen „Luftblase“ lebten – fernab und abgeschnitten von der Bevölkerung.

Obwohl die Kluft zwischen den Hochrechnungen und dem tatsächlichen Resultat dieser Wahlen besonders gravierend war, ist es nicht das erste Mal, dass eine solche Fehleinschätzung vorkommt. Bei den Wahlen im Jahre 1981 war Shimon Peres noch in den letzten Stunden vor Veröffentlichung der Wahlresultate als neuer Premier vorausgesagt worden, und die tatsächliche Wahl von Menachem Begins‘ Likud wurde danach von einer fassungslosen Menge zur Kenntnis genommen. Im Jahre 1996, kurz nach der Ermordung Jizchak Rabins, war die Situation ähnlich: Wieder stand Peres im Rennen und wieder gewann der Likud, dieses mal mit Netanjahu. Was damals den berühmten Satz hervorbrachte: „Wir gingen mit Peres schlafen, und wachten mit Netanjahu auf“.

Mit Absicht wurden die Hochrechnungen dieses Mal sicher nicht gefälscht. Aber man kann sich fragen, ob unbewusst und unterschwellig nicht trotzdem meinungsmachende Kräfte dort am Werk sind, wo sie nicht sein sollten. Jedenfalls werden sich heute viele fragen – darunter auch die schockierte Bevölkerung von Tel Aviv – inwiefern Personen, ganze Städte und Institutionen von der Mehrheit der Menschen gänzlich abgeschnitten sind. So meinte eine intelligente Psychologin gestern Abend zu einem Bekannten: „Ich kenne niemanden, der nicht Meretz wählt.“ Meretz erreichte gerade mal 4 Sitze.

Die Mehrheit Israels hat mit dieser Wahl ausgedrückt, dass sie in einer verrückten Welt und einer noch verrückteren Region eine Führung möchte, die sich in den letzten Jahren bewiesen hat. Netanyahu hat unter Beweis gestellt, dass er die Interessen und die Sicherheit Israels und des Volkes als seinen Auftrag betrachtet. Dafür ist er auch bereit unbequem zu sein, sich nicht an das „Protokoll“ zu halten und sich unbeliebt zu machen. Er kapituliert nicht vor äusserem Druck, und seine Fehler und Schwächen werden in Kauf genommen, denn seine Vorteile überwiegen. Er hat sich als einen vielleicht sogar überdurchschnittlich guten Regierungschef bewiesen.

Friedensverhandlungen – Ade?

Jene Stimmen, die jetzt in einer Grabesstimme behaupteten, dass mit der Wahl des Likud die Friedensverhandlungen endgültig zum Untergang verdammt seien, blenden aus, dass für ein weites Spektrum der Israelis – von der Linken bis zur Rechten – die Friedensverhandlungen einfach momentan nicht relevant sind. Auch „Buji“ Herzog hatte in seiner Kampagne sehr vorsichtig von „Versuchen“ gesprochen, die man unternehmen würde, um den Frieden mit den Palästinensern voranzutreiben. Aber ansonsten musste jeder Beobachter feststellen, dass das Thema „Friedensverhandlungen“ in keiner Partei – auch nicht in der Linken – als Werbebotschaft gross angepriesen wurde.

Anwar Sadat und  Menachem Begin 1978. Foto PD
Anwar Sadat und Menachem Begin 1978. Foto PD

Der Grund dafür ist ganz einfach: Die Illusion, einen ernsthaften Friedenspartner zu haben ist seit 2005 langsam aber stetig zerbröckelt. Jede israelische Regierung – links oder rechts – wäre heute sofort bereit, sich mit einem glaubwürdigen Friedenspartner an den Verhandlungstisch zu setzen, und das wissen die Israelis. Sie erinnern sich an Menachem Begin, der im Jahre 1977 in seiner Likud-Wahlkampagne versicherte, „Wir werden den Arabern nie auch nur einen Zentimeter Land geben“. Weniger als zwei Jahre später demontierte er die jüdischen Siedlungen auf der Sinai-Halbinsel , unterschrieb den Israelisch-ägyptische Friedensvertrag mit Anwar Sadat in Camp David und gab den Ägyptern den Sinai – zusammen mit den dortigen Erdölquellen und strategischen Punkten – zurück.

Der Unterschied zu heute ist, dass Israel damals einen ernsthaften und glaubwürdigen Partner in der Person des ägyptischen Präsidenten hatte, der Israel die Hand zum Frieden ausstreckte. Die Israelis wissen auch heute, dass ganz gleich welche Partei die Regierung führt, diese eine aufrichtig ausgestreckte Hand zum Frieden von einer palästinensischen Führung niemals abschlagen.

Ein Kommentar der Audiatur-Online Redaktion.