Meschugge – Wahlkampf in Israel

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Schwarze Fahnen schwenkende, bewaffnete IS-Kämpfer im Toyota Pritschenwagen stoppen neben einem PKW. „Bruder, wo geht es hier nach Jerusalem?“ fragt der Kämpfer mit Rauschebart und typischer IS-Kopfbedeckung auf Hebräisch. Der Autofahrer antwortet: „Fahr nach links“. Der Toyota biegt nach links ab. An seinem Heck klebt ein Schild:  „Nur nicht Bibi“. Das ist der Schlachtruf der israelischen Opposition. Es folgen schwarze Tafeln mit Einschusslöchern. Die behaupten: „Nur wir, oder sie. Nur Likud. Nur Netanjahu“ Eine Stimme aus dem Off erklärt: „Die Linken werden sich dem Terror ergeben und ihn nach Jerusalem bringen.“

Dieser Wahlspot ist das jüngste Produkt einer Wahlkampfkampagne, deren Erfinder vor nichts zurückschrecken. Die Absicht ist, die Gegner möglichst unter der Gürtellinie attackieren.

Der ehemalige Verteidigungsminister Amir Peretz fühlt sich persönlich angegriffen, „als ob wir, die Linken, nur darauf warten, den IS-Leuten unsere Töchter zu überreichen und Schlange stehen, um zum Islam zu konvertieren.“ Eitan Kabel vom „Zionistischen Lager“ ist empört: „Das ist unterste Schublade, Hetze der übelsten Sorte.“ Als seien die „Linken“ keine Zionisten. „Netanjahu ist ein kleiner Mensch und Angsthase. Dabei hatte er während des Gaza-Kriegs die Hamas nicht einmal ordentlich geschlagen und über Tausend Terroristen (im Tausch für Gilad Schalt) freigelassen.“

Doch Kabel kritisiert auch einen Clip der Siedler, der „Juden mit Hakennase wie in der Nazi-Propaganda“ darstellt. Diesen Videoclip hat die Siedlervereinigung in Samaria (Norden des Westjordanlandes) veröffentlicht.

„Der Film hat nichts mit den Wahlen zu tun“, sagte Siedlerführer Beni Katzover. In dem Videoclip unter dem Titel „Der ewige Jude“ wird ein Jude im Stürmerstil gezeigt. Eine Stimme mit schwerem deutschen Akzent ruft immer wieder „Herr Stürmer“, während die Hand des „geldgierigen Juden“ nach Münzen greift. Gezeigt wird das Tor von Auschwitz zum Text: „Tausende Palästinenser stecken am Checkpoint fest.“ Am Ende erhängt sich der Jude, während neben ihm die Logos bekannter israelischer Organisation wie „Betzelem“, „Frieden Jetzt“ und „Schweigen brechen“ erscheinen. Dazu heisst es. „Die Europäer wirken auf Euch anders, aber in ihren Augen seht ihr noch genauso aus.“ Oder wie die Zeitung Ha´aretz es anders formuliert: Die Europäer sind und bleiben Nazis.

Katzover sagte im Rundfunk, dass man nur das Buch von Tuvia Tenenbom („Allein unter Juden“) lesen müsse, um zu erkennen, dass die Europäer mit ihrer Unterstützung und Finanzierung zahlreicher NGOs bis heute eine Delegitimierung und die Zerstörung Israels vorantrieben.

Hanan Dorani, Vorsitzender der Siedlung Kedumim, hält den Film wegen seiner antisemitischen Elemente für ein „Überschreiten aller roten Linien“. Dorani sagte, dass er bei der Polizei eine Beschwerde wegen Hetze einreichen wolle, während der Anwalt Eitan Peleg angekündigt hat, schon Klage gegen den Likud-Film erhoben zu haben. Ebenso haben Mitglieder linker Parteien ein rechtliches Vorgehen gegen beide Filme beschlossen: „Diese Hetze ist von der Meinungsfreiheit nicht mehr abgedeckt“, so der Abgeordnete Mossi Raz (Meretz).

Kabel kündigt an, seine Partei, das Zionistische Lager, werde schon in den nächsten Tagen mit einer neuen Kampagne starten und dabei die „ganze Wahrheit“ aufdecken, alle „Fehler Netanjahus“ und sein „jämmerliches Scheitern“. Dazu wurde für viel Geld Reuven Adler angeheuert. Der PR-Experte hatte schon in der Vergangenheit Kampagnen gegen den Likud-Block organisiert.

Netanjahu ruiniert selber seinen Ruf gezielt: Seine Entscheidung als amtierender Erziehungsminister, mehrere Mitglieder der Jury für den angesehenen „Israel Preis“ abzusetzen, war ein weiteres Eigentor als Propaganda-Trick, um voll im Gespräch zu bleiben. Er sagte, Professor Ariel Hirschfeld habe sich für Wehrdienstverweigerung ausgesprochen, ein Tabu in der israelischen Gesellschaft. Das sei nicht „zionistisch“ und entspräche nicht dem israelischen Konsens. Was das mit Literatur zu tun hat, wurde nicht deutlich. Auf Weisung des Rechtsberaters der Regierung, Jehuda Weinstein, hat der Ministerpräsident diese Beschlüsse denn auch wieder rückgängig gemacht.

Tagelang wurde nur noch über den Israel-Preis und Netanjahus Beschluss geredet, zumal angesehene Literaten wie David Grossman ihre Kandidatur zurückgezogen haben. Der angesehene Kommentator Nachum Barnea erklärte: „Netanjahu gehört in die Irrenanstalt eingewiesen.“

Und der nächste Skandal steht schon bevor. Sehr zum Unmut der Palästinenser will Netanjahu demonstrativ das symbolhafte und umstrittene Grab des biblischen Erzvaters Abraham in Hebron besuchen.

Aussenstehende könnten meinen, dass bei so „schlechter Presse“ und negativer Aufregung die Umfragewerte Netanjahus sinken müssten. Das Gegenteil ist der Fall. Politische Kommentatoren sehen, wie Netanjahu den Ton angibt. Er bestimme, über wen und was beim Wahlkampf geredet werde. Dank der von ihm selber ausgelösten Skandale würden alle anderen Themen wie soziale Fragen, Wohnungsnot oder ein Zusammenbruch des Gesundheitswesens in den Hintergrund gedrängt. Netanjahus Rechnung geht auf. Beim Wahlkampf liegt er in Aller Munde.

Eine Kampagne der Oppositionspartei „Zionistisches Lager“ unter Yitzhak Herzog lässt noch auf sich warten.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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