Offener Brief an den französischen Präsidenten

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Seine Exzellenz, François Hollande

Sehr geehrter Herr Präsident

Zuerst möchte ich Ihnen mein tiefstes Beileid aussprechen zu den Morden unschuldiger Bürger bei dem jüngsten Terroranschlag in Paris.

Zweitens möchte ich mich entschuldigen, dass ich Ihnen meine wahre Identität nicht offenbaren kann. Nachdem Sie, Exzellenz, meinen Brief gelesen haben, werden Sie verstehen, warum Menschen wie ich Angst habe, ihre Identität offenzulegen.

Ich entschloss mich zu diesem Brief, nachdem ich hörte, dass mein Präsident, Mahmud Abbas, vermeldet hatte, Sie hätten ihn zur Teilnahme an der Anti-Terror Kundgebung Anfang der Woche eingeladen. Wie viele andere Palästinenser erachte auch ich die Teilnahme von Präsident Abbas an dieser Kundgebung gegen Terrorismus und Angriffe auf die Meinungsfreiheit als Heuchelei – ein Zustand, der den Anführern der Palästinensischen Autonomiebehörde vertraut ist. In der Tat fielen viele Palästinenser von ihren Stühlen, als sie ihren Präsidenten in der ersten Reihe marschierend in Ihrer Hauptstadt sahen, im Protest gegen Terrorismus und gegen Angriffe auf die Medienfreiheit.

Die Teilnahme von Präsident Abbas an dieser Kundgebung ist eine Beleidigung der Opfer dieser Terrorangriffe. Zudem ist es eine Beleidigung westlicher Werte, darunter Meinungsfreiheit und Demokratie.

Ihre Exzellenz, ich und andere Journalisten, die wir unter der Herrschaft der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland leben, waren die ersten, die Ihre Einladung an Präsident Abbas zur Teilnahme an der Anti-Terror Kundgebung als Beleidigung empfunden haben.

Zweifelsohne sind Sie sich der Tatsache nicht gewahr, dass Abbas persönlich für die Bestrafung palästinensischer Journalisten verantwortlich ist, die es wagen, ihn zu kritisieren oder ihre Ansichten öffentlich kundzutun. Selbstverständlich können wir Ihnen, Exzellenz, diese Unkenntnis über die Angriffe auf die öffentlichen Freiheiten nicht anlasten, weil die Massenmedien – die französischen Zeitungen und Magazine eingeschlossen – bewusst die Augen vor diesen Handhabungen verschliessen. Jeden Tag können wir sehen, wie westliche Medien keinerlei Interesse an diesen Verstössen zeigen, es sei, sie werden von Israel begangen.

Aus diesem Grund, Ihre Exzellenz, sind Ihnen ebenso wenig die Fälle einiger palästinensischer Journalisten bekannt, die von den Sicherheitskräften Präsident Abbas’ im vergangen Jahr verhaftet und eingeschüchtert wurden. Ja, es ist der gleiche Präsident Abbas, der zur Beileidsbekundung zu den brutalen Morden an den Journalisten von Charlie Hebdo nach Paris reiste.

Das aktuellste Beispiel einer von Abbas angeordneten Razzia gegen palästinensische Journalisten ereignete sich kurz bevor Ihre Exzellenz Präsident Abbas anrief, um ihn nach Paris einzuladen. Dieser Fall betrifft meine Kollegin Majdolin Hassouneh, die wegen dem „Herausstrecken ihrer Zunge“ bzw. wegen Beleidigung von Präsident Abbas verhaftet wurde. Gestatten Sie mir, Ihre Exzellenz, Ihnen zu sagen, dass Sie völlig falsch liegen, wenn Sie glauben, dass Präsident Abbas und seine Palästinensische Autonomiebehörde tolerant im Umgang mit Satire seien oder jeglicher Form der Kritik. Und natürlich erfuhren Sie auch nichts über den Entscheid der Palästinensischen Autonomiebehörde, die einzig beliebte Satire-Sendung im palästinensischen Fernsehen, „Watan ala Watar“ (Land unter Kontrolle) abzusetzen.

2011 wurde diese Sendung zwangsbeendet, als Präsident Abbas glaubte, sie habe „eine Grenze überschritten“, weil sie seine obersten Beamten in Ramallah spottete. Es ist der gleiche Abbas, der nach Paris kam, um gegen das Massaker in der Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo zu protestieren.

Und sollten Sie, Ihre Exzellenz, weitere Beweise wünschen für Präsident Abbas‘ hartes Durchgreifen gegen Polit-Satire, können Sie die palästinensischen Kabarettisten Abdel Rahman Daher und Mahmoud Rizek befragen. Beiden befinden sich zurzeit in Jordanien, weil sie sich nicht trauen, ins Westjordanland zurückzukehren. Nein, Ihre Exzellenz, sie haben nicht etwa Angst vor der Rückkehr wegen Israel. Sie haben Angst, von den Sicherheitskräften von Präsident Abbas verhaftet zu werden, die sie der Beleidigung ihres Chefs beschuldigen.

Ihre Exzellenz, Präsident Abbas sollte die letzte Person sein, die an einem Marsch zu Ehren der Journalisten teilnimmt, die wegen ihrer Satire ermordet wurden. Seine Teilnahme an der Kundgebung in Paris ist nicht nur eine Beleidigung des Andenkens an die ermordeten Journalisten, sondern auch jener Menschen, die an die Meinungs- und Pressefreiheit glauben.

Auch möchte ich Ihnen, Ihre Exzellenz, zur Kenntnis bringen, dass während Präsident Abbas an der Kundgebung teilnahm, eine Menschenrechtsorganisation einen Bericht veröffentlichte, der die Palästinensische Autonomiebehörde der „Kriegsführung“ gegen Universitätsstudenten im Westjordanland beschuldigt. Laut Bericht wurden in der letzten Woche 24 Studenten von Abbas‘ Sicherheitskräften wegen „politischer Gründen“ verhaftet.

Auch bin ich mir sicher, dass Sie, Ihre Exzellenz, nichts von dieser Razzia an den Universitäten erfahren haben, weil westliche Medien und Auslandskorrespondenten hier vor Ort nicht über solche Geschichten berichten. Sie hören von diesen Vorfällen nur, wenn die israelische Armee oder Polizei involviert ist.

Ich möchte Ihnen nicht allzu viel Zeit rauben, Ihre Exzellenz, indem ich Ihnen über den Doppelstandard und die Heuchelei zum Thema Terrorismus von Präsident Abbas berichte. Schauen Sie einfach im Internet und sehen Sie selbst, wie unser Präsident oftmals Terrorismus und Terroristen billigt und verherrlicht. Sie würden sogar entdecken, dass unser Präsident, der bald seinen 80. Geburtstag feiern wird, bereit ist, die ganze Nacht aufzubleiben, um die Palästinenser zu begrüssen, die aus israelischen Gefängnissen entlassen werden, wo sie wegen Mord an Juden und Terroranschlägen einsassen; Terroranschläge, die nicht weniger ernst waren, als was Ihr Land in der vergangenen Woche erlebt hat.

Sie werden auch entdecken, Ihre Exzellenz, dass unser Präsident Terroristen belohnt, indem er ihnen monatliche Zahlungen und andere Privilegien zugesteht.

Wie würden Sie reagieren, Ihre Exzellenz, wenn jemand die Familien der Terroristen entschädigen wollte, die in Paris unschuldige Zivilisten ermordet haben?

Ihre Exzellenz, womöglich ist es zu spät über die Entscheidung zu sprechen, Präsident Abbas einzuladen. Was mich und viele Palästinenser angeht, ist der Schaden bereits angerichtet.

Wir sehen es folgendermassen: Präsident Abbas hat es wieder einmal geschafft, Sie und den Rest der internationalen Gemeinschaft zu täuschen, indem er sich mit den Guten in ihrem Kampf gegen Terrorismus und Extremismus in der vordersten Reihe positioniert hat. Schlimmer noch, Präsident Abbas hat den falschen Eindruck erweckt, dass ihm Meinungsfreiheit und unabhängiger Journalismus wichtig sei.

Zweifelsohne werden Palästinenser wie ich nun einen noch höheren Preis zahlen, weil Präsident Abbas durch seine Teilnahme an der Pariser Kundgebung ermutigt wurde. Präsident Abbas wird nun seine Angriffe gegen die öffentlichen Freiheiten verstärken, weil er weiss, dass die internationale Gemeinschaft nur Bilder von ihm sieht, wie er zusammen mit Ihrer Exzellenz und anderen Staatsoberhäuptern der Welt zur Verteidigung der Meinungsfreiheit marschierte.

Mit Ihrer Einladung an Präsident Abbas habe Sie Palästinensern wie mir Schaden zugefügt – Palästinenser, die gehofft hatten, dass vielleicht ein Staatsoberhaupt wie Sie endlich die Diktatur der Palästinensischen Autonomiebehörde offenlegen würde.  Die Teilnahme von Präsident Abbas an der Pariser Kundgebung ist ein heftiger Schlag gegen Personen wie ich, die tatsächlich gegen Terrorismus und Unterdrückung der Meinungsfreiheit einstehen.

Ihre Exzellenz, nun da der Schaden angerichtet ist, bleibt Menschen wie mir nur übrig Sie zu bitten, all das Gesagte in Betracht zu ziehen, wenn Sie zukünftig mit Präsident Abbas zu tun haben. Zögern Sie bitte nicht, diese Themen anzusprechen, sollte er Sie nächstes Mal um Unterstützung zur Schaffung eines unabhängigen Staates anfragen. Ansonsten wird Frankreich zum Mithelfer bei der Schaffung einer weiteren korrupten und repressiven arabischen Diktatur – ein Staat, der Terroristen verherrlicht und belohnt, Terroristen, die sich nicht von jenen in Paris unterscheiden.

Sie mögen nun verstehen, so hoffe ich, warum ich aus Angst meine wahre Identität nicht preisgebe.

Hochachtungsvoll

Ein palästinensischer Journalist ohne Namen und Stimme.

 

Originalversion: Open Letter to the French President by A Palestinian Journalist in Ramallah
© Gatestone Institute, January 14, 2015.

Anmerkung von Gatestone an seine Leser und Leserinnen

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