Journalismus in Gaza, eine fast unmögliche Aufgabe?

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"Kämpfer" der Qassam-Brigaden. Foto Facebook
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Während Israel mittlerweile einen grossen Teil seiner Bodentruppen aus Gaza abgezogen hat, halten die Raketenangriffe durch Hamas, Islamischer Jihad etc. und Luftschläge durch die IDF weiter an. Und mit ihnen berichten Reporter der internationalen Medien unentwegt aus dem Gazastreifen. Doch wie sehr entspricht die Berichterstattung überhaupt dem, was vor Ort tatsächlich passiert und wie frei sind Medienschaffende in ihrer Arbeit in Gaza?

In den vergangenen Wochen wurde oftmals Kritik laut hinsichtlich der Berichterstattung. Auf einem Blog der Washington Post finden sich „40 Fragen für die internationalen Medien in Gaza“, die einen guten Überblick über die Problematik geben. Etwa, ob Journalisten Hamas-Aktivitäten live miterlebt hätten und falls ja, warum sie dies nicht dementsprechend berichteten, sondern sich stets auf Angaben der IDF berufen (z.B. „Gemäss israelischen Angaben wurden 2 Raketen aus Gaza abgeschossen“). Wer sich die Berichterstattung genauer anschaut, erkennt, dass dies tatsächlich ein gängiges Muster ist.

Bemerkenswert und suspekt zugleich ist, dass Bilder aus Gaza beinahe ausschliesslich verzweifelte Zivilisten, Trümmer, Tod und Elend zeigen. Bilder von Kämpfern der Hamas oder anderen Fraktionen beim Abfeuern von Raketen oder anderweitig sucht man vergeblich. Dies ist umso brisanter, als dass 1:1 den Richtlinien der Hamas für Social Media-Aktivisten entspricht: keine Bilder von Raketenabschüssen aus zivilen Gebieten, keine Nahaufnahmen von maskierten Männern mit schweren Waffen!

Es scheint, dass die Hamas dafür sorgt, dass internationale Medien in Gaza nichts publizieren, was ihr schaden könnte. Doch zumindest bei der New York Times hat man eine ganz andere Erklärung dafür, weshalb sie keine Fotos von Hamas-Kämpfern publizieren konnte. Unter den Bildern von NYT-Fotograf Tyler Hicks hätten sich nur zwei Aufnahmen von Hamas-Kämpfern aus weiter Entfernung und in schlechter Qualität befunden. Zudem sei es schwierig Hamas-Kämpfer zu identifizieren, weil diese keine Uniform trugen und ausserdem habe Hicks auch keine Kämpfer mit Waffen gesehen. Angesichts der Tatsache, dass Bilder von Kombattanten aller Seiten in jedem anderen Konflikt existieren, mutet diese Erklärung etwas gar vereinfachend und entschuldigend an, nicht zuletzt, weil es sich bei Hicks um einen Pulitzer-Preisträger handelt, der sein Handwerk offensichtlich versteht.

Wenn einem Profifotografen also ausser zweier Distanzaufnahmen keine anderen Bilder von Hamas-Kämpfern gelingen, muss man sich wohl oder übel fragen, weshalb dies der Fall ist.

tweet_barbatiDer Tweet eines italienischen Journalisten liefert einen möglichen Ansatzpunkt: „Aus #Gaza draussen, weit weg von #Hamas Vergeltung: Fehlgelenkte Rakete töte gestern Kinder in Shati. Zeug: Militante eilten und klärten die Trümmer“, schrieb Gabriele Barbati am 29. Juli auf seinem Twitter-Account. Einen Tag zuvor waren bei einer Explosion in einer Schule in Gaza mehrere Kinder getötet worden. Nachrichtenagenturen und internationale Medien übernahmen ausnahmslos den Hamas-Narrativ, dass es sich um einen israelischen Angriff gehandelt habe. Die IDF verneinte dies kategorisch, Barbati bestätigt diese Darstellung in einem weiteren Tweet auf Italienisch.

Wesentlich interessanter ist aber sein Hinweis auf Vergeltung seitens der Hamas. Offenbar müssen Journalisten in Gaza mit Repressalien rechnen, wenn sie ihre Berichterstattung nicht den Spielregeln der Hamas anpassen. Ein Journalist von RT (ehemals Russia Today) wurde von der Hamas offiziell aufgefordert, Gaza zu verlassen, nachdem er auf Twitter schrieb, dass in der Nähe seines Hotels Raketen abgefeuert worden seien (der Tweet wurde später gelöscht). Und die französische Zeitung Liberation veröffentlichte vor zwei Wochen einen Bericht über das Verhör eines französisch-palästinensischen Korrespondenten im Al Shifa Spital durch die Hamas. Der Korrespondent musste darauf Gaza verlassen. Mittlerweile hat Liberation den Artikel wieder entfernt; anscheinend auf Wunsch des Korrespondenten.
Ein spanischer Journalist schliesslich erklärte gegenüber dem israelischen Filmemacher Michael Grynszpan, dass die Hamas Journalisten erschiessen würde, falls diese Raketenabschüsse zu filmen versuchten.

Angesichts dieser Vorfälle zeichnet sich immer stärker das Bild einer unmöglichen Situation für Journalisten in Gaza ab. Angesichts der Bedrohungen und Einschüchterungen durch die Hamas scheint vollwertige journalistische Arbeit praktisch unmöglich. Vielleicht erklärt dies auch, weshalb sich die Korrespondentin einer finnischen Fernsehstation dagegen wehrt, dass ein Zitat von ihr als „pro-israelische Propaganda missbraucht“ werde. Aishi Zidan hatte in einem Bericht über das Shifa-Spital erwähnt, dass hinter dem Krankenhaus eine Rakete abgefeuert worden war. Auf Facebook beschwerte sie sich danach, dass dieses Zitat aus dem Kontext gerissen und die eigentliche Reportage über das Leiden im Spital nicht beachtet werde. Vielleicht fürchtet sie, dass selbst dieses eine Zitat Hamas-Repressalien zur Folge haben könnte, obwohl sie selbst eindeutig mit der palästinensischen Seite sympathisiert, wie ihr Facebook-Profil offenbart.

In Gaza scheint eine objektive und unabhängige Berichterstattung nur schwierig oder gar unmöglich zu sein. Den Reportern vor Ort kann dies angesichts der Einschüchterungen und Bedrohungen durch die Hamas schlechterdings zum Vorwurf gemacht werden. Vielmehr läge es aber in den Verantwortung ihrer jeweiligen Medien, auf die schwierigen Bedingungen in Gaza aufmerksam zu machen und vermeintliche Fakten und Tatsachen besonders genau zu überprüfen. Andernfalls laufen die Medienunternehmen Gefahr, sich unwillentlich und dennoch unvermeidlich zum Komplizen im Hamas-Propagandakrieg zu machen.

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