Die derzeitige Debatte über Antisemitismus genügt nicht

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Foto Olevy - Licensed under Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 via Wikimedia Commons.
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In der Schweizer Presse wurde in den vergangenen Wochen eine Debatte über Antisemitismus in bislang unbekannter Intensität geführt. Journalisten, Politiker und weitere Meinungsmacher zeigten sich entsetzt ob der zahlreichen Aufrufe zu Judenhass im Internet, antisemitischen Äusserungen an „pro-palästinensischen“ (de facto sind es anti-israelische) Kundgebungen und den physischen Angriffen auf Juden und jüdische Einrichtungen in ganz Europa. Zum ersten Mal überhaupt wurde ernsthaft über ein Phänomen diskutiert, das die ganze Debatte überhaupt erst ins Rollen brachte: Antisemitismus unter Muslimen.

Diese Diskussion ist wichtig. Doch sie allein genügt nicht.

Zum einen erfolgt diese Debatte reichlich spät. Zulange hat man sich vor diesem unangenehmen Thema und seinen verschiedenen Facetten – wie etwa Integration – gedrückt, wohl in der Hoffnung,  dass es sich von alleine löst, wenn man nur lange genug wegschaut. Dabei sind islamische Manifestationen des Antisemitismus gerade im Zusammenhang mit anti-israelischen Protesten keineswegs eine Neuerscheinung. Rufe wie „Itbach al Yahud“ (dt. „Schlachtet die Juden“) oder „Khaybar, Khaybar, ya yahud, jaish Mohammad saya’du“ („Khaybar, Khaybar, oh Juden, die Armee Mohammeds kehrt zurück“) und Fahnen von Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah sind bereits seit Jahren an Kundgebungen gegen Israel zu hören und sehen, wie beispielsweise am 21.07.2006 auf dem Bundesplatz in Bern. Gleiches gilt für antisemitische Äusserungen in den sozialen Medien. Neu sind lediglich die nicht mehr länger zu ignorierende Intensität und das Ausmass. An der Pro-Gaza-Kundgebung am 18. Juli in Zürich waren mehr Hamas- und al Liwa-Flaggen (die Flagge des islamischen Kalifats) zu sehen als ordinäre Palästina-Fahnen. Und auf Facebook werden einzelne Seiten regelrecht überflutet mit Aufrufen zu Gewalt gegen Juden und Hitlerzitaten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf auf politischer und juristischer Ebene.

Andererseits wäre es genauso fatal, sich nun lediglich auf die schlimmsten Ausfälle zu konzentrieren und dabei den breiteren Kontext ignorieren zu wollen. Denn diese antisemitischen Manifestationen entstehen nicht einfach im luftleeren Raum. Es sind nicht zuletzt die Medien, die durch eine oftmals katastrophale Berichterstattung über den Konflikt zwischen Israel und Hamas den Boden dafür bereitet haben. Wenn etwa Israel in Meinungsartikeln „Rachegelüste“ unterstellt werden, während es wie jeder andere Staat seine Zivilbevölkerung verteidigt, braucht es wenig, um den Bogen zu einer vermeintlichen „jüdischen Rachsucht“ zu schlagen.

Und auch die Schweizer Politik steht in der Verantwortung. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ist in seiner aktuellen Medienmitteilung zum Gaza-Konflikt nicht in der Lage, die Hamas als Verursacher dieser neusten Eskalation zu benennen. Stattdessen schreibt es von „Konfliktparteien“ und lässt damit jeglichen Unterschied unter den Tisch fallen zwischen einer islamistischen Terrororganisation, die sich die Vernichtung Israels auf die Fahnen geschrieben hat, und einem demokratischen Rechtsstaat, der seine Bevölkerung zu schützen versucht. Es ist nur folgerichtig, dass das Versagen von Medien und Politik, sich gegen islamistischen Terror und Vernichtungsdrohungen auszusprechen, jene ermutigt, welche die Ziele von Hamas teilen.

Schliesslich wäre es aber auch falsch, nun mit dem Finger einzig und allein auf Muslime zeigen zu wollen. Die Tatsache, dass man antisemitische Äusserungen von einem Teil der Muslime in der Schweiz dieser Tage nicht übersehen und -hören kann, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch zu viele Schweizer nicht davor gefeit sind. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass letztere gelernt haben, ihren antisemitische Neigungen in der Öffentlichkeit als „Israelkritik“ zu kaschieren. Erstere hingegen sprechen offen aus, was zwar viele Schweizer ebenfalls denken, aber nur im stillen Kämmerlein zu sagen trauen.

Was also tun? Zum einen muss Antisemitismus mit allen Mitteln geahndet, müssen Antisemiten hart bestraft werden. Die „zur Verfügung stehenden Machtmittel [müssen] ohne Sentimentalität angewandt werden […] um ihnen zu zeigen, dass das einzige, was ihnen imponiert, nämlich wirkliche gesellschaftliche Autorität einstweilen doch noch gegen sie steht” (Theodor W. Adorno). Zum anderen muss endlich eine offene und ehrliche Debatte über Antisemitismus unter Muslimen in der Schweiz geführt werden; in aufklärerischer Absicht und ohne falsche Essentialisierungen. Schliesslich liegt es in der Verantwortung von Medien und Politik, eine Banalität klarzustellen: Israel verteidigt sich gegen eine Terrororganisation, deren raison d’être die Vernichtung des jüdischen Staates ist und dafür den Tod palästinensischer Zivilisten nicht bloss in Kauf nimmt, sondern als Propagandamittel bewusst einkalkuliert. Wer sich auf die Seite der Hamas stellt, befürwortet die Zerstörung Israels. Wer sich auf Seite der Hamas stellt, ist schlicht und einfach ein Antisemit.

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