Wer will einen palästinensischen Staat?

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Die Frage, wer eigentlich einen palästinensischen Staat will, lässt sich auf drei Grundpositionen reduzieren.

Das Quartett, USA, EU, UNO und Russland, haben die „Zwei-Staaten-Lösung“ zum Glaubensbekenntnis erhoben. In Medienarchiven, etwa des Spiegels oder der NZZ, taucht diese Formel erst ab 1988 auf, nachdem Jassir Arafat in Algier einen palästinensischen Staat ausgerufen hatte, der freilich anstelle Israels errichtet werden sollte. In den Osloer Verträgen von 1993 kommt ein „Palästinensischer Staat“ nicht vor und in seiner letzten Knesset-Rede vor seiner Ermordung 1995 hatte Ministerpräsident Jitzhak Rabin verkündet, dass es „niemals“ einen palästinensischen Staat geben werde. Nach Ausbruch der Zweiten Intifada hatte US-Präsident George Bush am 24. Juni 2002 erstmals die „Vision“ von zwei Staaten verkündet. Daraus entstand 2003 die „Roadmap“ (Wegekarte zur Errichtung von zwei friedlich nebeneinander existierenden Staaten).

Diese Roadmap ist bis heute nicht umgesetzt worden. Dennoch hält das Quartett an seinem frommen Plan alternativlos fest, ohne „Plan B“ und ohne Beachtung der Realitäten vor Ort.

Für die Palästinenser gibt es den palästinensischen Staat schon, zumindest virtuell auf Briefköpfen und Landkarten. Vor allem fehlt ihnen aber  unkontrollierter Zugang zum Ausland.

Ob Arafat und sein Nachfolger Mahmud Abbas wirklich staatliche Verantwortung anstrebten, darf bezweifelt werden. Abbas erweckt mit immer neuen Bedingungen wie Siedlungsstopp und Freilassung von Gefangenen den Eindruck, als tue er Israel und den USA mit seiner Teilnahme an den Friedensverhandlungen einen Gefallen.

Zweifelsfrei haben die Palästinenser einen starken Nationalismus entwickelt, spiegelbildlich zum jüdischen Nationalismus, dem Zionismus. Sie haben sich de facto schon zwei bedingt unabhängige Staaten in Gaza und im Westjordanland erkämpft. Innerhalb ihrer Gebiete verfügen sie mit Flagge, Hymne, Regierung, Gesetzen, Pass, Briefmarken, Uniformen und bewaffneter Polizei über alle Staatssymbole und Vollmachten. Die Palästinenser sind sogar so frei, per Gesetz Verkauf von Land an Juden mit der Todesstrafe zu ahnden und haben Hinrichtungen durchgeführt.

Was hindert Abbas daran, den Staat auszurufen?

Die Spaltung, Hamas/Fatah, Gaza/Westjordanland, ist Tagespolitik. Mit der Staatausrufung, gleichgültig in welchen Grenzen, würden Milliardensummen entfallen, die Geberstaaten heute für den „Aufbau“ eines künftigen Staates stiften. Nur von „Entwicklungshilfe“, wie für Äthiopien oder Sudan, könnte Abbas nicht seinen aufgeblähten Beamtenapparat und die Korruption finanzieren. Tausende Mitarbeiter internationaler NGOs würden arbeitslos. Kritischer wäre die Verantwortung, als Staat weder Terror noch Kampf oder Raketenangriffe auf Israel verüben zu dürfen. Denn das wäre dann eine Kriegserklärung. Allen Klagen zum Trotz befinden sich die Palästinenser heute in einem Idealzustand. Sie werden international finanziert, verwalten sich selber und geniessen als besetztes Volk mehr Sympathie und Hilfe, als andere noch so gescheiterte Staaten Dritt-Welt-Staaten.

Welches Interesse hat Israel an der „Zwei-Staaten-Lösung“? Die Siedlungspolitik ist kein Argument, da die „Siedlungsblöcke“ und „jüdischen Siedlungen“ in Ostjerusalem wohl bei Israel bleiben würden. Spätestens seit Ariel Scharon wissen die Israelis, dass verstreute Siedlungen im Westjordanland geräumt würden, wie zuvor auf dem Sinai oder im Gazastreifen. Israel besteht aus militärstrategischen Gründen darauf, im Jordantal zu bleiben, was auch jordanischem Interesse entspricht.

Für Israelis entscheidend ist der Fortbestand eines jüdischen Staates und dessen physische Existenzsicherung. Heute geht von den Palästinensern keine „existenzielle“ Gefahr für Israel aus. Die Forderung nach einer Entmilitarisierung des künftigen Staates und einem Verbot militärischer Bündnisse ist deshalb eine Grundbedingung.

Mit dem Autonomieabkommen hatte Israel einen ersten Schritt in Richtung Selbstverwaltung der unter Besatzung lebenden Palästinenser getan. Eine staatliche Unabhängigkeit ohne Auflagen würde für die Israelis bedeuten, ihre physische Existenz allein dem Friedenswillen der Palästinenser zu überlassen.

Während der Weltgemeinschaft mit der „Zweistaatenlösung“ ein blauäugiges Ideal vorschwebt, gibt es bei Israelis wie Palästinensern handfeste Gründe, dieses Ziel vorerst nicht anzustreben, auch wenn US-Aussenminister John Kerry damit „droht“, dass der jetzige Zustand keinen Bestand habe.

 

 

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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