Offener Brief an SEK und EKD

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Sehr geehrter Herr Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, lieber Bruder Locher

Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands, lieber Bruder Schneider

Wir schreiben Ihnen wegen der Erklärung der Konferenz in Beirut, die der Weltkirchenrat und der Rat der Kirchen des Mittleren Ostens im Mai abgehalten haben. Das Thema der Konferenz war die Lage der Christen und Christinnen im Mittleren Osten. Wie dem abschließenden Statement u.a. zu entnehmen ist, werden Juden beschuldigt, seit 65 Jahren (also seit Gründung des jüdischen Staates) das palästinensische Volk, Christen und Muslime, kontinuierlich enteignet zu haben. Ferner wäre Jerusalem eine besetzte Stadt. Die israelische Regierung soll danach auch Christen und Muslime diskriminieren. Schließlich würden Christen, die einen „christlichen Zionismus“ vertreten, „zionistische Lobbys“ anstiften, die öffentliche Meinung zu manipulieren und innerchristliche Beziehungen zu beschädigen.

Wir sind bestürzt über diese jegliches Augenmaß vermissen lassende antiisraelische Stellungnahme. Wir sind bestürzt, dass andersdenkende Christen und Christinnen verleumderisch herabgesetzt und geradezu stigmatisiert werden in der Erklärung. Wir sind bestürzt, dass jegliches offene Wort darüber fehlt, wer für die die tag-täglichen Diskriminierungen und die Verfolgung von Christen und Christinnen im Mittleren Osten in Wahrheit verantwortlich ist.

Der Weltkirchenrat hat zwar seit Jahrzehnten antiisraelische Stellungnahmen abgegeben und Institutionen gefördert, die die Grenze zwischen der politischen Kritik zur traditionellen christlichen Judenfeindlichkeit meistens überschreiten. Insbesondere hat er eine Schmähschrift gefördert, das sogenannte Kairos-Palästina-Dokument, die u.a. terroristischen Mördern von unschuldigen jüdischen Zivilisten huldigt. Der Weltkirchenrat hat sich auch nie von Pfarrer Dr. Mitri Raheb (Bethlehem), einem der Hauptinitiatoren des antiisraelischen Pamphlets Kairos-Palästina, distanziert, der in rassistischer Manier die „Entjudung“ Jesu von Nazareth propagierte und so an Nazitheologen nahezu nahtlos sich angeschlossen hat. Vielmehr wurde Raheb von vielen Funktionären belobigt, auch vom Generalsekretär des Weltkirchenrats.

Die erwähnte Erklärung von Beirut überschreitet jedoch jegliche bisher bekannte antiisraelische und antisemitische Propaganda des Weltkirchenrats. Sie delegitimiert und dämonisiert den Staat Israel. Sie schließt sich an radikale, hasserfüllte Verzerrungen Israels an und verleumdet demokratische Staaten, die internationales Recht anerkennen und friedensfördernd wirken. Nicht zuletzt greift sie in unchristlicher Weise Christen und Christinnen an, die als treue Mitglieder ihrer Kirchen Anhängerinnen und Anhänger von kirchlichen Erklärungen geblieben sind, die sich bewusst der Schuld der christlichen Lehre der Verachtung der Juden und der christlichen Mitschuld an mörderischer Gewalt am jüdischen Volk stellen. Viele dieser Erklärungen verteidigen nach dem Holocaust die bleibende Erwählung des jüdischen Volks und zählen zu ihrem Glauben das Eintreten dafür, dass das Fortbestehen des jüdischen Volks am besten in einem jüdischen Staat gewährleistet werden kann. Die Rheinische Synodalerklärung von 1980 hat Israel als „Zeichen der Treue Gottes“ zu seinem Volk erklärt. Die Erklärung „Kirche und Israel“ der Leuenberger Kirchengemeinschaft von 2001 hat ausführlich dem neuen Geist der biblischen Freundschaft der Kirche mit Israel Ausdruck verliehen. Nichts von diesen Aussagen des Glaubens kommt in der Beirut-Erklärung vor. Die Erwählung des jüdischen Volks und dessen Recht auf einen Staat im biblischen Land Israel werden verschwiegen, ja implizit geleugnet. Das ist auch ein Anschlag auf das Völkerrecht.

Dass Israel der Diskriminierung von Muslimen und Musliminnen sowie von Christen und Christinnen beschuldigt wird, ist eine grobe Verletzung des göttlichen Gebotes, kein falsches Zeugnis abzulegen. Nirgendwo sonst im Nahen Osten gibt es eine so ausgeprägte religiöse Toleranz wie in Israel. Die Erklärung lenkt ab von den entsetzlichen innermuslimischen Massakern und der horriblen Verfolgung, die Christen und Christinnen in muslimischen Ländern erleiden. Geschieht dies aufgrund von „Islamophobie“? Sie stellt stattdessen Christen und Christinnen an den Pranger, die die antiisraelische und extreme politische Meinung des Weltkirchenrats und des Rats der Kirchen des Mittleren Ostens nicht teilen.

Wir erachten, verehrte Herren Präsidenten und liebe christliche Mitbrüder, als Professoren der Theologie und Mitglieder unserer Kirchen, die an der Erneuerung eines Verhältnisses zu den Juden und Jüdinnen seit Jahrzehnten mitgewirkt haben, diese Erklärung von Beirut als einen dramatischen Tiefpunkt im Revisionismus und als eine Erneuerung der alten, jetzt auf Israel projizierten christlichen Judenfeindschaft. Wir bedauern die politische Feigheit des Weltkirchenrats, der vermeidet, die antichristlichen Tendenzen gegen und Verfolgungen von Christen und Christinnen beim Namen zu nennen, die in muslimischen Ländern des Nahen Ostens von Extremisten betrieben werden. Schamlos wird davon abgelenkt, indem mal wieder Juden, d.h. Israel, zum Ursprung aller Übel erklärt wird.

Wir hoffen und bitten Sie dringend darum, dass Sie als höchste Repräsentanten der Kirchen in reformatorischer Tradition und Sprecher wichtiger Gliedkirchen des ökumenischen Rats Ihre Stimme gegen diese neu-alte Judenfeindschaft des Weltkirchenrats deutlich und öffentlich erheben. Antisemitismus ist Sünde wider Gott und die Menschen.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Ekkehard W. Stegemann    Prof. emer. Dr. Wolfgang Stegemann

Nachrichtlich an den Generalsekretär des WCC Pfarrer Dr. Olav Fykse Tweit

Über Ekkehard W. Stegemann

Ekkehard W. Stegemann war von 1985 bis 2014 Ordinarius für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Basel.

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4 Kommentare

  1. Kann man die Erklärung der Konferenz in Beirut im Wortlaut irgendwo nachlesen? Bislang konnte ich sie nirgends im Netz finden.

  2. Wie kommen Sie zu dem Urteil, dass Israel kein Rechtsstaat sei? "Unrechtsstaat" ist ein politischer Kampfbegriff.

  3. Im Libanon wird im Gottesdienst in einigen evangelischen Gemeinden das Wort "Israel" nicht gelesen, da die Gemeindeglieder es nicht hören wollen. Ehrlich gesagt: ich verstehe die Christen im Nahen Osten in ihrer Wut. Dennoch ist Israel nicht per se zu verurteilen, das wäre zu einfach. Unrechtsstaaten gibt es sonst auch genug, da ist der Hass auf Israel nur eine Ausrede!

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