Paul Hansen: Mehr als Photoshop

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Foto Carsten Keßler, Münster - World Press Photo 07, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10100469
Foto Carsten Keßler, Münster - World Press Photo 07, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10100469
Lesezeit: 4 Minuten

Das prämierte World Press Photo 2013 von Paul Hansen „Trauerzug in Gaza“ hat für Schlagzeilen gesorgt, weil der Schwede es offensichtlich mit Photoshop bearbeitet hat. Das bestätigte einerseits eine Untersuchung und andererseits stritt Hansen dies nie ab: „Ich arbeite immer mit Photoshop“, sagte er anlässlich der Eröffnung der World Press Photo Ausstellung in Zürich. Kaum für Diskussionen sorgte dagegen die Frage nach den Umständen der Aufnahme. Dabei wäre gerade deren Beantwortung aufschlussreich. Über die Entstehung des Bildes sagte Hansen, dass „das sehr selten im Leben eines Fotografen passiert.“ Hansen ist mit Glück gesegnet. Denn nur kurze Zeit nach dieser Aufnahme gelingt es ihm erneut, ein preisverdächtiges Foto zu schiessen: am Ende des Trauerzugs in der Moschee. Das Donald W. Reynolds Journalism Institute der Missouri School of Journalism verlieh Hansen dafür den Ersten Platz in der Rubrik Fotograf des Jahres – Zeitung 2013.

Hansens Gewinnerbilder zeigen im Vergleich zu Bildersequenzen anderer Fotografen aus unserer Sicht ein durchdachtes Setting und wirken inszeniert. Auch die Lichtverhältnisse sind in beiden Fällen ideal. Schauen wir uns die Umstände genauer an. Ausser von Hansen wurde der Trauerzug von mindestens fünf anderen Fotografen bildlich festgehalten – von Sameh Rahmi (APA Images/Demotix), Mohammed Salem (Reuters), Naaman Omar (Sipa Press), Ali Jadallah (Corbis Images/Demotix), Mohammed Al-Zanoun. Ihre Fotosequenzen kann man über verschiedene Agenturen zum Vergleich heranziehen und so, abgestimmt mit Hansens Beschreibung des Trauerzugs, die Ereignisse rekonstruieren: Zu Beginn werden zwei Kinderleichen von unterschiedlichen Personen durch eine breite Masse getragen, mal nur in weisse Tücher gewickelt, mal zusätzlich mit Hamas-Flaggen bedeckt. Mit der Zeit verringert sich die Zahl der Teilnehmenden am Trauerzug und die Route führt in kleinere Gassen. An vorderster Front des Trauerzugs hat sich eine Riege von  Männern gebildet, die die Kinderleichen tragen. Einer Gruppe von Fotografen ist es offensichtlich gelungen, durch die Menschenmenge an die Spitze des Trauerzugs zu gelangen. Auf diesen Bildern, die den Trauerzug von vorne zeigen, sind keine Hamas-Flaggen zu sehen. In einer dieser Gassen wurde das Gewinnerfoto des WPP aufgenommen, bevor der Trauerzug am Ende bei einer Moschee ankommt.

Das zweite prämierte Bild von Hansen zeigt aus der Vogelperspektive fotografiert den Leichnam des Vaters mit den beiden getöteten Kindern zu seiner Rechten und Linken, dort, wo sie in der Moschee niedergelegt wurden. Die Leichname sind gemäss islamischem Beerdigungsritual in weisse Tücher gehüllt, die wiederum von einer Hamas-Flagge umwickelt sind. Die Toten werden umkreist von trauernden, auf dem Boden sitzenden Männern. Auch auf diesem Bild sehen die Gesichter der Leichname ähnlich dem WPP Siegerbild kosmetisch bearbeitet aus, wie Reto Camenisch von der Schweizer Journalistenschule monierte. Zudem wurden die Leichname offenbar irgendwann zusätzlich (wieder) in Hamas-Flaggen eingewickelt. Und der Vergleich mit Bildern anderer Fotografen macht deutlich, dass die Leichname mehrfach umpositioniert worden sind.

Der Vergleich zeigt auch, dass die Aufnahme von Paul Hansen aus der Vogelperspektive die einzige von dieser Qualität ist, abgesehen davon, dass wir in den Foto-Dossiers anderer Fotografen ohnehin meist nur Seitenaufnahmen entdeckten. Das Bild von Sahme Rahmi ist dabei eine Ausnahme, aber qualitativ hat es keineswegs dieselbe Intensität wie das von Hansen. Ferner zeigte die Pillar of Cloud Photo Exhibition vom Januar 2013 in Gaza ein Bild, das an die Aufnahme von Hansen zwar erinnert. Zu sehen ist die Leiche eines Erwachsenen und zwei Kinderleichen zur Rechten und zur Linken. Wer der Fotograf ist, und ob es sich um die gleiche Beerdigung handelt, ist indes nicht bekannt.

Wie ist es möglich, dass nur Hansen genau dieses Setting in einer Totalaufnahme aus der Vogelperspektive gemacht hat oder machen konnte? Warum wurden die Leichname immer wieder umpositioniert? Wie kam es, dass auch hier die Lichtverhältnisse so adäquat passten? Warum gelang es nur ihm, diesen Moment in einer einzigartigen Qualität festzuhalten, sprich, eine derart starke Intensität an Emotionen zu transportieren?

Mit Bildern lassen sich Herzen gewinnen; Bilder von getöteten Kindern sind die stärkste Waffe, denn sie sind immer Opfer. Paul Hansen will die Trauer in Gaza zeigen, doch alles auf seinem Bild scheint arrangiert. Dabei spricht die Situation für sich. Warum sollte man diese Momente und das Entsetzen weiter emotionalisieren? Für die einen ist es gute PR, für den anderen ein gutes Bild. Doch wer lässt sich hier von wem instrumentalisieren?

Sandra Hoffmann © Audiatur-Online

3 Kommentare

  1. Jeder weiß doch, wie das funktioniert … oder?

    Das Arrangieren ist eine Win-Win Situation. Der eine bekommt sein Preisgeld – die anderen arbeiten seit Jahren in dieser "Todesindustrie". Um mit Butler zu sprechen (welche Hamas als linksprogressiv verortet), es geht darum, „die Trauer selbst zu einer Ressource für die Politik zu machen“. Für was für eine Politik derartige ikonisch-trauergeschwängerte Medialstrangulate als Ressourcen erschlossen werden, dies lässt sich anhand diverser Memri-Übersetzungen von einschlägigen Polit/Hamasreden aus dem jeweiligen Gefilde klar feststellen.

  2. Ein Beitrag, der die richtigen Fragen stellt. Geschmacklosigkeit eines Photojournalismus, der Emotionen manipuliert und zugleich gegenüber Leiden respektlos auftritt.

  3. Ich gehe einen Schritt weiter und bezeichne die Bilder von Paul Hansen als journalistisch unethisch!
    Bilder von toten Kindern, die umringt von ihrer Familie und Freunden beigesetzt werden, sind immer furchtbar. Die Reihenfolge des Sterbens innerhalb der Generationen stimmt einfach nicht! Ist das Kind einem gewaltsamen Tod zum Opfer gefallen, steht man auch als nicht betroffener Außenstehender sprach- und hilflos da. Man wird unfreiwillig Zeuge eines für die Familie sehr intimen Augenblicks.
    Bilder, die so gnadenlos inszeniert und anschließend bearbeitet werden, bis sie den künstlerischen Vorstellungen des Fotografen entsprechen, lenken den Blick auf noch so kleine Details. Aus dem unfreiwilligen Zeugen und Zuschauer wird ein Voyeur, der auf dem fotografisch perfekten Bild den Fehler sucht. Dieser Voyeurismus liegt in der Natur des Menschen, man kann nicht anders, als hinschauen.
    Das Opfer wird seiner Totenruhe beraubt.
    Im Judentum ist das Veröffentlichen von Verletzten und Toten grundsätzlich nicht akzeptiert. Jeder Ort, an dem ein Terrorakt oder Unfall Opfer forderte, wird sofort großräumig abgesperrt. Manchmal sieht man strengreligiöse Mitglieder der „Chewra Kadisha“. Ihre Aufgabe ist es, dafür Sorge zu tragen, dass jedes noch so kleine Leichenteil gefunden und entsprechend den rituellen Vorschriften beigesetzt wird.
    Eine Ausnahme wurde bei den Bildern der Familie Fogel gemacht, die von palästinensischen Terroristen grausam ermordet wurden. Sie wurden unbearbeitet in all ihrer Brutalität veröffentlicht. Die Gesichert wurden zum Schutz der Intimsphäre unkenntlich gemacht.

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