Yad Vashem: Für ein Überleben der jüdischen Geschichtsschreibung über die Shoa

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Yad Vashem, Halle der Namen. Foto David Shankbone. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Lesezeit: 7 Minuten

1953 als Weltzentrum für die Dokumentation des Holocaust sowie für Erforschung, Lehre und Gedenken des Völkermordes der Nationalsozialisten an dem jüdischen Volk gegründet, ist Yad Vashem eines der bedrückendsten aber auch beeindruckendsten Museen der Welt. So wie sich in den letzten Jahrzehnten das Museum verändert hat, das vor wenigen Jahren komplett renoviert wurde, so hat sich auch die Perspektive auf die Shoa in Israel verändert. Das Museum selbst bleibt seinen vier Säulen Gedenken, Dokumentation, Forschung und Erziehung weiterhin treu – nur das Gewicht auf diesen Säulen verlagert sich langsam in einer Zeit, in der es immer weniger Zeitzeugen gibt…

Vor einigen Wochen, an einem Sonntag im April, kurz vor Beginn des israelischen Unabhängigkeitstages, drängen sich die verschiedensten Besucher Yad Vashems durch den Eingang in das Museum. Ausländische Touristen aus den USA, Deutschland und Japan, die in grossen Reisebussen auf den Herzlberg gebracht wurden, aufgeregte Mädchen einer religiösen Schule in Jerusalem, die sich ihre langen, zugeknöpften Blusen zurechtrücken und dazwischen viele junge Soldatinnen und Soldaten, die vor der Internationalen Schule für Holocaust-Studien im Schatten sitzen und leise diskutieren. Vor dem breiten gläsernen Eingang zur Schule empfängt mich Dr. Noa Mkayton, die Direktorin der deutschsprachigen Abteilung. Die meisten Besucher, die in der Schule ankommen, nehmen entweder an einem Tages- oder sogar einem mehrtägigen Programm teil. Dr. Mkayton ist dafür verantwortlich, professionelle Kontakte mit Pädagogen deutschsprachiger Länder aufrecht zu erhalten. Ein Austausch, den Mkayton als erfreulich vielfältig beschreibt. Mit der deutschsprachigen Schweiz habe man gerade einen neuen Vertrag für vier Jahre unterschrieben, mit Österreich bestehe seit über zehn Jahren Projekt – und mit deutschen Institutionen, Erziehungsministerien, der Landeszentrale für Politische Bildung sowie Lehrergewerkschaften, gäbe es sowieso seit jeher intensive und sehr verlässliche Partnerschaften.

„Die Betrachtung des Holocaust in Israel hat sich stark verändert.“

Doch Yad Vashem ist viel mehr, als nur ein Museum. Die Arbeit der Institution beruht auf vier grossen Bereichen: Archiv und Dokumentation, dem Forschungsinstitut, der Museumsarbeit und dem so genannten „Komplex zum Gedenken“. Denn die ursprüngliche und erste Funktion der Einrichtung sollte es sein, Gedenkarbeit zu leisten, was heute mit verschiedenen Denkmälern und Teilen des Museums wie der „ Halle der Namen“ realisiert wird. Doch 75 Jahre nachdem die ersten Juden von deutschen Nationalsozialisten in Konzentrationslager verschleppt wurden, hat sich der Schwerpunkt der Einrichtung etwas verschoben: „Wenn wir relevant für zukünftige Generationen bleiben wollen, müssen wir uns auch ganz intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie Holocaust vermittelt werden kann und was wir daraus lernen sollen“, erklärt Dr. Mkayton die Tatsache, dass mittlerweile mehr als 300 Mitarbeiter allein in der Schule für Holocaust-Studien, die erst in den Neunziger Jahren in einem Büro gegründet wurde, beschäftigt sind. Der Fokus hat sich in einer Zeit, in der es immer weniger Zeitzeugen gibt, verschoben.

Das wichtigste Holocaust-Museum der Welt steht so auch symbolisch für die veränderte Betrachtung der Shoa in Israel im Allgemeinen. „Die Betrachtung des Holocaust in Israel hat sich in den letzten Jahren sehr stark differenziert. Zwar wird bis heute die Verbindung der Vernichtung des jüdischen Lebens und dann der Wiedergeburt durch den jüdischen Staat betont, aber was sich sehr differenziert hat, ist der Begriff des Heldentums. Der Aufstand im Ghetto Warschau hat bis in die Sechziger Jahre das Narrativ sehr dominiert – man konnte sich in diesem jungen Staat, der zwei Tage nach seiner Gründung von allen Seiten angegriffen wurde, nur über den ‚Widerstand mit der Waffe’ an die Shoa erinnern. Während des Eichmann-Prozesses 1961, wurden die Forderungen lauter, dass das Volk Israel die Überlebenden hören sollte. Viele Zeugen wurden zur Aussage geladen, die juristisch für die Verfolgung von Eichmann kaum Bedeutung hatten, aber die einen bestimmten Sektor von Überleben während der Shoa repräsentiert haben. Ein Teil der Geschichte, der vielen Teilen der israelischen Gesellschaft nicht bekannt war. Und langsam sickerte durch, dass Heldentum wirklich nicht immer die Alternative war, die man hätte ergreifen können. Sondern, dass die totale Wehrlosigkeit und Hilflosigkeit der Opfer eine wichtige Quintessenz der Shoa ist und eben nicht die Waffe. Auch wurde die jüdische Diaspora in Israel lange als etwas angesehen, das im Desaster endet und langsam wird auch hier differenzierter berichtet und gedacht.“, erläutert Dr. Mkayton, die in München geboren wurde und 1999 nach Israel einwanderte, die Veränderung. Ein Wandel, zu dem auch Yad Vashem sehr viel beigetragen hat.

Überlebende erzählen ihre eigene, persönliche Geschichte

Denn in dem Museum gibt es zwar eine starke Betonung der Zeitachse, aber ansonsten werden kaum Zusammenhänge, wie Hitler an die Macht kam oder ähnliches, erklärt. Stattdessen stehen einzelne Objekte, Briefe, Fotos, Zettel, Bücher oder die Bildschirme mit den „talking heads“ den Überlebenden, die ihre eigene, persönliche Geschichte erzählen, im Vordergrund. Ziel ist es, zu zeigen, dass die Shoa ein Geflecht von einzelnen Handlungen, Erlebnissen und individuellen Geschichten ist. Um all die vielen Dokumente, Papiere und Unterlagen zu sortieren, katalogisieren und schliesslich in ein Gesamtgefüge einzubetten, sind insgesamt mehrere Hundert Mitarbeiter in dem Museumskomplex tätig. Der 31-Jährige Schweizer David Cahn arbeitet seit zwei Jahren in dem Bereich Archiv und Dokumentation und hat schon unzählige Dokumente auf jüdische Namen geprüft und dann mit Stichwörtern versehen katalogisiert: „Der Vorteil der Beamtensprache der meisten Dokumente ist, dass es dann weniger heikel ist. Ich lese auch Dokumente über Transporte, aber da steht dann lediglich so etwas wie ‚Es haben sich so und so viel Juden an diesem Ort eingefunden und wurden dann dorthin transportiert.’ Schwer ist es, wenn man Zeugenaussagen lesen muss. Wenn zum Beispiel Leute aus dem KZ schreiben, was sie dort erlebt haben. Oder Berichte aus der Ukraine oder Weissrussland, wie die Nazis dort die Städte nieder gemäht haben, das ist das Schlimmste.“

Abgesehen von der Recherche über die „Gerechten unter den Völkern“, Nichtjuden, die Juden während des zweiten Weltkrieges geholfen haben, bezieht sich sämtliche Forschung Yad Vashems auf Fragen, die mit der Wahrnehmung bzw. der Perspektive der Opfer vor, während und nach der Shoa zu tun haben. Jüdisches Leben vor der Shoa, jüdisches Alltagsleben und Strategien des Überlebens während der Shoa und israelische/jüdische Perspektive auf die Shoa sollen mit der Arbeit der Institution beschrieben werden. Fragen, wie die Ableitung von Täterschaft, spielten in Yad Vashem bisher kaum eine Rolle. Allerdings beginnt langsam auch an der Internationalen Schule für Holocaust Studien die Beschäftigung mit diesem Thema.

„Es muss eine jüdische Geschichtsschreibung über die Shoa geben.“

In ihren Weiterbildungen will Mkayton den deutschsprachigen Besuchern vor allem klar machen, warum die Existenz von Yad Vashem als Museumskomplex zum Holocaust in Israel so wichtig ist: „Schon während ihrer Verfolgung haben die Opfer versucht, zu gewährleisten, dass eine jüdische Geschichtsschreibung aus der Zeit der Shoa überlebt. Dass es neben dem Genozid nicht auch einen „Memozid“ bzw. die „Arisierung des Gedächtnisses“ gibt. Denn das war ja der Plan der Nazis, jüdisches Leben auszulöschen und nach dem vollendeten Genozid, sollte ein Museum errichtet werden, dass in Naziperspektive an das jüdische Volk erinnert. Dafür wurden Quellen gesammelt. Deswegen wurden nicht nur Opfer, sondern auch ihre Bücher, ihre Thorarollen und all diese Dinge verbrannt. Weil man das ganze jüdische Gedächtnis auslöschen wollte. Und das haben vor allem die Menschen, die zum Beispiel am Ringelblum-Archiv gearbeitet haben, deutlich gespürt, auch wenn ihnen die ganze Dimension des Genozids nicht klar war. Denn das Problem ist ja, man kann noch so gut alles dokumentieren, die meisten Bilder und Fotos wurden trotzdem von Tätern gemacht. Wenn man sich aber hingegen beispielsweise die Fotos des jüdischen Fotografen Mendel Grossman ansieht, spürt man den Unterschied. Grossman hat seinen sterbenden Vater nicht mit Haut und Knochen auf dem Leichenhaufen, sondern als Mann mit Hut, Bart, Lesebrille und als das was er ist, portraitiert.“

Mit dem Festhalten der Juden an der Dokumentation dessen, was während des Holocausts passierte, war auch der feste Glauben an ein Leben nach der Shoa verbunden. „Ich vermache meine Kunstwerke dem jüdischen Museum, das nach dem Krieg aufgebaut werden wird.“, schrieb die jüdische Malerin Gela Sakstein in Zeiten der grössten Angst und Not. Dieses Zitat hängt nun im Eingangsbereich des Kunstmuseums, das ebenfalls zu Yad Vashem gehört. Es hat bis 2005 gedauert, aber jetzt werden ihre Werke und die anderer jüdischer Künstler aus der Zeit ausgestellt. Dort auf dem Herzlberg, wo an einem Sonntag im April nur wenige Stunden später die grossen Feierlichkeiten zur Gründung des jüdischen Staates Israel begannen.

© Katharina Höftmann

Quelle: Israel Zwischenzeilen, Nr. 18/2013 – Woche 06.05. bis 12.05.13

Dr. Noa Mkayton über „Gedenken und Lehre in Israel”

2 Kommentare

  1. Shalom meine Freunde ,

    ich werde in einigeb Monaten 84 Jahre alt und habe die Nazizeit mitgemacht<<die Shoah auch.<<Einige aus meiner Familie wurden ermordet oder vergast.Ich habe schon mit 12-13 Jahren perfekt Akkordeon gespielt und hatte eine gute
    hohe Singstimme. Sopran Die SS-Leute holten mich abens in hren Club und ich musste spielen und singen.Wenn sie besoffen waren gab es nur 2 Lieder die Sie immer höhren wollten und sie gröhlte immer mit. <<Vor der Laterne und
    Heimat deine Sterne.<<Bis heute ist Musik und singen
    meine Leidenschaft. david

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