Was wären wir ohne Nahostexperten?

6
Interview mit Arnold Hottinger in der NZZ. Screenshot NZZ, 6.04.2013
Lesezeit: 5 Minuten

Was macht einen Experten zum Experten? Ein „Sachverständiger, Kenner“ (Duden) verfügt „über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet oder mehreren bestimmten Sacherschließungen oder über spezielle Fähigkeiten, oder der diese Eigenschaften zugeschrieben werden“ (Wikipedia). Im 1988 erschienen Sammelband „The Nature of Expertise“ werden folgende sieben Schlüsseleigenschaften herausgestellt: „Sie erkennen große Bedeutungszusammenhänge. Sie arbeiten schneller und machen weniger Fehler. Sie haben ein besseres Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. Sie achten mehr auf Strukturen als auf oberflächliche Eigenschaften. Sie verwenden viel Zeit auf qualitative Analysen. Sie können ihre eigenen Fähigkeiten und Leistungen richtig beurteilen. All das gilt nur in ihrem jeweiligen Fachgebiet.“

Ein Nahostexperte sollte folglich in der Lage sein, die Region in ihrer Komplexität zu verstehen und seine Kenntnisse für die Rezipienten seiner Expertise verständlich aufzubereiten. Dass eine einseitige Sichtweise dafür nicht hilfreich ist, sollte ein Allgemeinplatz sein. Doch ausgerechnet beim Nahostkonflikt scheint das gesamte deutschsprachige Nahostexpertentum mit einer Blindheit geschlagen zu sein, die eine ausgewogene Darstellung in jeder Form schlicht verunmöglicht.

Da wäre beispielsweise der deutsche Politikwissenschaftler Michael Lüders, der mit seinem Buch „Iran: Der falsche Krieg“ ein Machwerk geschrieben hat, das von Falschbehauptungen, Auslassungen und Verharmlosungen durchzogen ist, von der Süddeutschen Zeitung über Focus bis zum Deutschlandfunk nichtsdestotrotz mit Lob überhäuft wurde. Matthias Küntzel und Stephan Grigat gehörten zu den wenigen, die all die Lügen und Unwahrheiten bemerkt und aufgedeckt haben. Lüders ist bei Fernseh- und Rundfunkstationen sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz immer wieder ein gern gesehener Gast.

Ähnlich verhält es sich mit Arnold Hottinger. Mitte April wurde der ehemalige Nahostkorrespondent der NZZ, der mittlerweile auf dem Onlineportal Journal21 zum Thema Orient publiziert, für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Im vergangenen Dezember erschien sein Dreiteiler „Die Wahrheit in ihren Brechungen“, mit dem sich Hottinger vorgenommen hatte, zuerst die israelische und dann die palästinensische Sichtweise auf den Nahostkonflikt zu analysieren und abschliessend zu beurteilen. Um es kurz zu machen: Das ist ihm deutlich misslungen (Uri Paul Russak hat die mühselige Arbeit auf sich genommen, Hottingers „Argumente“ en détail zu entkräften). Geht es nach Hottinger, so ist Israel Täter und die Palästinenser sind Opfer. Beide Seiten würden zwar manchmal schlimme Sachen sagen, im Falle Israels ist das aber natürlich viel schlimmer: „Die israelische Regierungspropaganda entstellt die Tatsachen, um ihre wirklichen Ziele zu verbergen und sie auch vor den liberaleren Teilen der eigenen Bevölkerung verborgen zu halten. Die Palästinenser und mit ihnen viele andere Araber neigen dazu, ihrer Verzweiflung durch heftige Worte unter Übertreibung oder Entstellung von Sachverhalten vorübergehende Erleichterung zu verschaffen.“ So können dann auch Vernichtungsdrohungen seitens Hamas und Co. als purer Ausdruck der Verzweiflung weggeredet werden. Die israelische Regierung andererseits wiederum verfolgt sinistere Pläne, in die sie nicht mal ihre Bevölkerung einzuweihen gedenkt. Ob solche verschwörungstheoretische Überlegungen zu einer qualitativen Analyse eines Nahostexperten gehören, ist mehr als fraglich.

Dass Hottinger Behauptungen aufstellt, die er nicht belegen kann, ist nichts Neues. In einem Interview mit dem Tagesanzeiger behauptete er im April 2009, der iranische Präsident Ahmadinejad habe sich in Sachen Holocaustleugnung gemässigt, habe seine Position gar „ein wenig“ geändert. Hottinger zeigt sich sogar verständnisvoll, denn „das ist nicht leicht für ihn (die Mässigung, Anmk. d. V.). Im Osten fehlt die Literatur und das breite Wissen zum Holocaust. Im Westen ist das vorhanden. Hier hat der Holocaust auch stattgefunden.“ Ahmadinejad scheint selber nichts von einer angebliche Mässigung und schon gar nichts von einer Geschichtslektüre zu halten, denn nur zwei Monate später sprach bereits wieder vom „grossen Holocaust-Schwindel“.

Eines aber muss man Hottinger zugutehalten: er ist ehrlich und gibt gerne zu, im Nahostkonflikt nicht neutral zu sein. In einem kürzlich publizierten Interview in der NZZ bestätigt er, dass seine Unabhängigkeit in der Berichterstattung „mit Ausnahme der Berichterstattung über Israel“ garantiert gewesen sei. „Die NZZ hatte sich einst klar gegen Hitler gestellt. Das Milieu der jüdischen Immigranten ist mir aus Jugendzeiten in Basel gut bekannt. Dort las man die NZZ und die alte «Weltwoche». Nun ist aber Israel eben nicht das erhoffte ideale Land geworden. Das musste man früher oder später zur Kenntnis nehmen.“ Was seine journalistische Unabhängigkeit mit Hitler zu schaffen hat und inwiefern dies mit jüdischen Immigranten in Basel zusammenhängt, weiss wohl nur Hottinger selbst. Offenbar war er so enttäuscht über die Entwicklung Israels, dass es ihm fortan schlicht unmöglich war, objektiv und unabhängig darüber zu berichten.

So unterstützt dieser Nahostexperte dann auch noch die BDS-Bewegung und war Teil des Advisory-Board des Globalen Marsches nach Jerusalem(neben ausgemachten Antisemiten wie Sheikh Raed Salah oder Gretta Duisenberg), was mehr Sacherschliessung über ihn selbst führt, als dass er leisten könnte.

Für Hottinger ist jedenfalls klar, wer und was verantwortlich für den ganzen Schlamassel im Gelobten Land ist: „Solange Netanyahu da ist, wird sich nichts bewegen. Es geht in diesem Konflikt einzig und allein um Land. Das muss man immer wieder betonen.“ Eine Behauptung, die genauso alt ist wie unoriginell. Man kann sie immer wieder betonen; wahrer wird sie dadurch nicht.

Hottingers Denkweise, die sich vor allem seine Arbeiten über Israel durchzieht, wäre nicht weiter problematisch, würden diese als seine Meinung deklariert. Stattdessen aber verleiht man ihr mit dem Prädikat „objektiver Tatsachenbeschrieb eines der ganz grossen Nahostkenner“ höhere Weihen. Wer, wenn nicht ein Experte, hat den Überblick über diese durchaus komplexe Problematik und geniesst dadurch das Vertrauen, das in ihn gesetzt wird – ein Experte wie Hottinger (oder Erich Gysling oder Albert Stahel); der muss es ja schliesslich wissen! Schade, dass er es ausgerechnet beim Nahostkonflikt nichts zu wissen scheint.

Über Michel Wyss

Michel Wyss ist freischaffender Analyst bei der Audiatur-Stiftung und beschäftigt sich hauptsächlich mit Sicherheitspolitik im Nahen Osten. Er absolviert derzeit ein MA-Studium in Government mit Fokus auf Internationale Sicherheit am Interdisciplinary Center in Herzliya, Israel und ist als Research Assistant beim International Institute for Counterterrorism (ICT) tätig.

Alle Artikel

6 Kommentare

  1. Herr Arnold Hottinger kennt die arabische und die islamische Welt. Israel und Judentum interessieren ihn nur, weil seine arabischen und islamischen Freunde Israel und Judentum vernichten wollen. Er ist ausserstande über Israel und über Juden objektiv zu berichten. Macht aber nix, er ist inzwischen unwichtig geworden.

  2. Nah-Ost-Experten gibt es wie Sand am Meer. Doch kaum eine/r hat jemals nur ein Schritt auf diesem Boden gemacht. Geschweige denn mit Palästinensern und Israelis gesprochen. Nicht polemisiert, sondern gesprochen. Seit 30 Jahren befasse ich mich intensiv mit dem Nah-Ost-Problem und weiss ein bisschen davon. Doch, ich würde mir niemals anmassen, Kritik zu üben. Die Sache ist viel zu komplex und zu verwoben. Aber eben, die Medien leisten gute Arbeit im Schüren des Hasses gegen Israel. Statt objektiver Berichterstattung erfolgt verdrehtes Hass-Ankurbeln. Hottinger sollte es besser wissen, weisses wahrscheinlich auch besser, nur wissen wir nicht in wessen Sold er steht.

  3. "Doch ausgerechnet beim Nahostkonflikt scheint das gesamte deutschsprachige Nahostexpertentum mit einer Blindheit geschlagen zu sein, die eine ausgewogene Darstellung in jeder Form schlicht verunmöglicht."

    Das erinnert mich an "Vorsicht es kommt Ihnen ein Geisterfahrer entgegen" – Was heisst hier EINER – Tausende!

    Alles Lügner. EIN Gerechter – ein unwahrscheinliches Märchen.

    Werner T. Meyer

  4. Ergänzung zu:
    „Sie alle Lügen sich „antizionistische“ Geschichten zusammen welche ja zum Glück auch immer wieder kritisiert werden".
    Die verlogenen Geschichten über Israel von verschiedenen Autorinnen und Autoren (angebliche Experinnen und Experten) in der Schweiz werden zum Glück ja auch von den Autorinnen und Autoren von Audiatur online fundiert kritisiert.

  5. Besten Dank für diesen Artikel!
    Arnold Hottinger hat Nachfolgerinnen und Nachfolger bei der Neuen Zürcher Zeitung und nicht nur dort. Früher gehörte dazu Reinhard Meier oder Karin Wenger. Heute wären Jürg Bischoff, Martin Woker und Monika Bollinger zu nennen. Sie alle Lügen sich „antizionistische“ Geschichten zusammen welche ja zum Glück auch immer wieder kritisiert werden. Ich habe bereits darauf hingewiesen: http://beer7.wordpress.com/?s=NZZ
    Man kann Israel selbstverständlich kritisieren, aber man sollte dies ohne gleichzeitige Geschichtsklitterung wie sie die oben genannten Autorinnen und Autoren betreiben tun. Auch sollte man den jeweiligen Kontext im Nahen Osten beachten usw.

  6. Ja, der Herr Arnold Hottinger, der ausgewiesene Experte für arabische Länder und für den Islam. Für mich ist er sozusagen der Arnold of Arabia. Hingegen, was Israel betrifft, da entsprechen seine „Expertisen“ grösstenteils nicht der Wahrheit. Der fühlt er sich gegenüber dem Judentum nicht verpflichtet, sondern verhält sich wie ein pathologisch selbsthassender Jude. Inzwischen ist der Mummelpublizist auch in pro-palästinensischen Zirkeln in der Schweiz aktiv, fürs aktive Alter.

    Im Journal 21 ist er deshalb gut aufgehoben. Für mich ist dies ein überflüssiges On-line Medium, das sich antiisraelischen und antijüdischen Lesern zuwendet. Wen interessiert’s sonst?

Kommentarfunktion ist geschlossen.