Für arabische Atheisten bleibt‘s gefährlich

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Seit dem „Arabischen Frühling“ wird in Nordafrika über viele Themen offener gesprochen. Doch für Atheisten hat sich die Lage nicht verbessert.

Kacem El Ghazzali ist bekennender Atheist und einer der bekanntesten Blogger aus Nordafrika. Seit dem März 2011 lebt der 22-jährige Marokkaner in der Schweiz, sein Asylgesuch wird derzeit geprüft. Ihm sei nur die Flucht ins Ausland geblieben, erzählt er. Als er bloggte, dass er nicht an Gott glaube, sei er vom Direktor seiner Schule verprügelt und von Mitschülern mit Steinen beworfen worden.

Er erhielt Morddrohungen und musste schliesslich fliehen. Mittlerweile lebt er in der Region Zürich, den genauen Ort will er aus Sicherheitsgründen nicht angeben. Denn auch in der Schweiz wurde ihm via Internet mit dem Tod gedroht. In einem Fall ermittelt die Polizei.

„Nur wer seine Überzeugungen für sich behält, lebt in Marokko einigermassen sicher“, sagt Kacem. Ganz anders nimmt er die Lage hierzulande wahr: In der Schweiz könne man sich ohne Probleme dazu bekennen, nicht an einen Gott oder eine höhere Macht zu glauben. In gewissen Kreisen würde dies sogar als trendig angeschaut werden: „Da ist es schlicht cool, sich als Atheist zu bezeichnen.“

Atheismus nimmt zu

Laut einer Studie der Universität Lausanne aus dem Jahr 2011 sind zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung säkular, leben also ohne religiöse Praxis und Überzeugungen. Reta Caspar von der Schweizerischen Freidenker-Vereinigung kommt auf einen wesentlich höheren Prozentwert. Sie verweist auf die Univox-Studie aus dem Jahr 2010, wonach über die Hälfte der Schweizer Bevölkerung Religion für unwichtig hält.

Zahlen zu der Anzahl Atheisten in arabischen Ländern findet man kaum. Kein Wunder, „im schlimmsten Fall riskiert man sein Leben, wenn man sich öffentlich als Atheist bezeichnet“, weiss Kacem. Nicht nur in Marokko, auch in anderen islamischen Ländern schaue die Lage nicht besser aus. Dies bestätigt der aktuelle Bericht der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union: In sieben Ländern droht Atheisten und Konvertiten, die eine andere Religion als den Islam annehmen wollen, die Hinrichtung. Darunter Saudi-Arabien und der Iran, mit dem die Schweiz noch immer einen „Menschenrechtsdialog“ führt. Ein junger saudischer Autor und Kolumnist, Hamza Kashgari, wurde am 12. Februar aufgrund dreier Tweets, in der er einen fiktiven Dialog mit dem Propheten Mohammed führte, von Malaysia an sein Heimatland ausgeliefert.

In anderen Ländern werden zwar keine Todesurteile gefällt, doch drohen Atheisten dennoch drakonische Strafen. In Tunesien etwa wurden Jabeur Mejri und Ghazi Beji im März dieses Jahres wegen eines „Angriffs auf die Moral, Verunglimpfung und Störung der öffentlichen Ruhe“ zu siebeneinhalb Jahr Haft verurteilt. Der Auslöser waren Mohammed-Karikaturen, welche die beiden Atheisten auf Facebook veröffentlicht hatten. Beji konnte nach Europa fliehen, Mejri sitzt in einem tunesischen Gefängnis.

Schweizer Atheisten wären in der Pflicht

Kacem hat beide Fälle verfolgt und versucht, die Öffentlichkeit in Europa und dem Nahen Osten zu sensibilisieren, sei es in Form von Artikeln auf seinem Blog oder im Falle von Kashgari mit einer Online-Kampagne. „Atheist zu sein, bedeutet für mich mehr als eine persönliche Einstellung. Als Atheist stehe ich ein für die universellen Menschenrechte und das Recht auf Meinungsfreiheit“, sagt er. Eine Haltung, die Kacem bei vielen Atheisten in der Schweiz vermisst. Dabei seien gerade sie in der Pflicht, weil sie ein viel grösseres Mass an Meinungsfreiheit geniessen. „Davon kann man in arabischen Ländern nur träumen.“

Hat der arabische Frühling die Situation für Atheisten in der Region verbessert? Kacem ist sich nicht sicher. Kurzfristig habe es sicherlich Fortschritte gegeben, die Leute getrauten sich eher, über gesellschaftspolitische Themen zu sprechen. Doch zugleich werde von konservativer Seite versucht, Atheisten weiterhin mundtot zu machen. Seine Befürchtungen bestätigen sich aktuell durch den Verfassungsentwurf in Ägypten. Darin werden religionskritische Äusserungen als „Herabwürdigung“ und „Beleidigung“ der Religion unter Strafe gestellt.

Über Michel Wyss

Michel Wyss ist freischaffender Analyst bei der Audiatur-Stiftung und beschäftigt sich hauptsächlich mit Sicherheitspolitik im Nahen Osten. Er absolviert derzeit ein MA-Studium in Government mit Fokus auf Internationale Sicherheit am Interdisciplinary Center in Herzliya, Israel und ist als Research Assistant beim International Institute for Counterterrorism (ICT) tätig.

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3 Kommentare

  1. Ich hoffe sehr, dass Kacem in der Schweiz Asyl bekommt – gerade er kann ueber den Fascho-Kult und seine Intoleranz allen ‘Unglaeubnigen’ gegenueber authentisch berichten, weil er die Auswuechse dieser Ideologie am eigenen Leib verspuert hat.

    In Europa wird der Islam von Politik und Medien immer noch viel zu sehr verharmlost und von einem toleranten Euro-Islam fantasiert, den es noch nie gegeben hat und auch nie geben wird.

    Nur 80 Jahre nach dem NS-Faschismus duerfen wir seinem geistigen arabischen Bruder nicht Tuer und Tor oeffnen.

  2. Allerdings ist zu beweifeln, dass der Islam das Monopol über Intoleranz besitzt. Andere machen ihm da durchaus Konkurrenz. Eine strikte Trennung von Religion und Staat wäre ein erster Ansatz.

  3. Bekanntermassen, der Islam ist traditionell die toleranteste Religion. Aber nur dann, wenn die Muslime in der Minderheit sind. Als Majorität ist der Islam absolut untolerant und der Erzfeind von allem Demokratischem und Humanistischem.

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