Anmerkungen zu einer Nicht-Rezension

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Das etwas eigene Israelbild von Christian Müller wurde auf Audiatur bereits einmal behandelt. Geändert hat sich seither nicht viel. Wenn Herr Müller, seines Zeichen Mitglied der Redaktionsleitung des Newsportal Infosperber, mit Verve loslegt, um über Israel und das Judentum zu schreiben, dann ist mit einigem Unsinn zu rechnen. Kürzlich standen Peter Beinart, amerikanischer Journalist und Lehrbeauftragter für Journalismus und Politik an der New York City University (und nicht etwa „Professor für Politische Wissenschaften“ wie Müller meint), und sein aktuelles Buch „The Crisis of Zionism“ im Zentrum seines Interesses.

Was vermutlich als Rezension gedacht war, offenbart allerdings mehr über Müller selbst, denn über den Inhalt des Buches. Darin kritisiert  Beinart die israelischen Siedlungen im Westjordanland und die aktuelle israelische Regierung, die sich mit den Werten eines „liberalen Zionismus“ nicht vereinbaren lasse. An sich keine spektakuläre Angelegenheit, da das Thema Siedlungspolitik in vielen Gruppen und Organisationen konträr diskutiert wird. Beinarts Buch wieder wurde ebenfalls bereits zur Genüge kritisiert.

Spannend aber ist, wie Christian Müller die Thematik angeht. Denn bereits der Titel verrät, was er sich wohl wünscht: „Schlechte Nachrichten aus den USA für Israel“. Warum? „Mittel- oder längerfristig […] sieht es mit dem Interesse der Juden in Amerika an einem jüdischen Staat nicht sehr gut aus.“ Die „neo-orthodoxen Juden“ trügen ungewollt zur internationalen Isolierung Israels bei und die jungen liberalen Juden seien entweder gläubig, „darum aber mehr und mehr am jüdischen Glauben, nicht aber unbedingt auch an einem jüdischen Staat interessiert, da sich der Holocaust von der aktiven Erinnerung der eigenen Familie zur reinen Geschichtslektion im Schulbuch zu wandeln im Begriffe ist.“ Oder aber sie „vermischten“ sich mit nichtjüdischen Partnern und „verlieren ihre jüdische Identität ganz.“ Leider fehlen dazu weiterführende Erklärungen. Offenbar teilt Müller diese Ansichten, denn sie werden von ihm nicht einmal hinterfragt.

Dabei gäbe es Berichte und Studien, wie jener der renommierten Brandeis University, die ein wesentlich differenzierteres Bild zeichnen.

Beinart schildert zu Beginn seines Buches das frühere Umfeld von Barack Obama, dessen Lehrern und Mentoren. Darunter befanden sich etliche liberale Juden, die anscheinend in der Siedlungspolitik den wahren Grund darin sehen, „warum ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern bis heute nicht zustande gekommen ist.“

Und wo von Juden die Rede ist, muss natürlich auch das Thema Antisemitismus aufgegriffen werden: Dankbar übernimmt Müller Beinarts Behauptung, wonach der Antisemitismus weltweit spürbar zurückgehe. Zu einem gänzlich anderen Schluss kommt allerdings der Jahresbericht International Religious Freedom Report des US-Aussenministeriums, der stattdessen eine Zunahme des Antisemitismus konstatiert. Dies ist auch in Europa, etwa nach den Attentaten in Toulouse, zu beobachten.

Müllers Aussagen geben Zeugnis von seiner mangelhaften Recherche. Er behauptet, dass Beinart der „israelkritischen“ Bewegung BDS [Boykott Divestment and Sanctions against Israel]seine volle Unterstützung zollt. Das ist allerdings schwer nachvollziehbar, da Beinart sich in einem New York Times Editorial für eine Art zionistisches „BDS lite“ aussprach, was ihm selbst aus den Reihen der liberalen Juden wie etwa J-Street heftige Kritik einbrachte. Beinart scheint sich immerhin bewusst zu sein, dass BDS die Vernichtung Israels anstrebt, also wesentlich mehr ist als lediglich eine „israelkritische Bewegung“. Schliesslich wolle er mit seinem Buch „einen Beitrag zum Überleben des jüdischen Staates Israel leisten“ wie Müller schreibt. Diese Absicht bleibe wohl eine Illusion, denn man habe nach der Lektüre des Buches wenig Lust, „Israel aber nur das Beste zu wünschen.“ Geht es nach Müller, sind die Tage Israels schon bald gezählt.

Aus der Rezension von Beinarts Buch ist also vielmehr ein Überblick über Müllers Ansichten zu Israel geworden.

Kritik oder zumindest kritische Anmerkungen zu Beinarts Thesen finden sich nahezu an keiner Stelle. Erst wenn Beinart für öffentliche Gelder zur Förderung von jüdischen Schulen und Universitäten in den USA optiert, meldet Müller Widerspruch an. Eine Unterstützung des amerikanischen Judentums würde ihm zufolge auch indirekt der Existenz Israels dienen. Da ja laut Beinart der Antisemitismus abnehme, sei nicht einsehbar, weshalb jüdische Institutionen staatliche Unterstützung erhalten sollten.

Dennoch war Müller offenbar von Beinart so angetan, dass er ihn zusammen mit Zbigniew Brzezinski  prompt in seinem Beitrag zum neuen israelischen Botschafter in Bern gegen eben jenen in Anschlag bringt. EIm Gegensatz zu Botschafter Yigal Caspi verorteten diese beiden „international renommierten Juden“ (was das sein soll, bleibt sein Geheimnis) laut Müller nämlich das „Problem“ Iran in Israel und nicht etwa in Teheran (Desweiteren dichtet er Botschafter Caspi auch gleich noch einen Migros-Boykott an, obwohl dieser im Interview mit der NZZ am Sonntag lediglich eingestand, er „würde zögern, in einer Migros einzukaufen“ und bezeichnet Pax Christi Deutschland als „politisch unverdächtige Organisation“).

Für Christian Müller darf Peter Beinart also jederzeit als jüdischer Kronzeuge gegen Israel herhalten, solange er nicht für eine Stärkung des Judentums wirbt. Denn da hört bei Müller der Spass auf. Das ist nur allzu verständlich, schliesslich befindet sich doch auch der weltweite Antisemitismus längst auf dem Rückzug.

Über Michel Wyss

Michel Wyss ist freischaffender Analyst bei der Audiatur-Stiftung und beschäftigt sich hauptsächlich mit Sicherheitspolitik im Nahen Osten. Er absolviert derzeit ein MA-Studium in Government mit Fokus auf Internationale Sicherheit am Interdisciplinary Center in Herzliya, Israel und ist als Research Assistant beim International Institute for Counterterrorism (ICT) tätig.

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