Die Wein-Revolution in Israel

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Wein ist das Trend-Thema der letzten Jahre in Israel. Hunderte neue Weinkellereien wurden in den letzten zwanzig Jahren gegründet. Wer als echter Tel Aviver etwas auf sich hält, ist schon für Verkostungen zum einen oder anderen neuen Weinberg gefahren. „Junge Israelis sprechen plötzlich über Wein-Qualität“, freut sich Gabriel Geller, intimer Kenner der israelischen Weinszene und Inhaber des Wein-Shop The Wine Mill in Jerusalem. Er selbst ist in Lausanne in der französischen Schweiz aufgewachsen, bis er mit 14 nach Israel auswanderte. Sein Interesse für den guten Wein brachte er mit aus Europa.

Koscherer Wein seit dem 19. Jahrhundert

Baruch Mendel ist Weinhändler in elfter Generation. Seine Familie musste vor den Nationalsozialisten in Österreich fliehen. Ihr Weingut, der Weinkeller, den Wein mussten sie zurücklassen – das Wissen um den Wein brachten sie mit nach Israel. Seither handeln sie mit koscherem Wein und Spirituosen in Tel Aviv. Mendel erinnert sich, dass er vor zwanzig Jahren noch vierzig, fünfzig Sorten Wein in den Regalen stehen hatte. Heute ist es das Zehnfache.

Seit dem 19. Jahrhundert wurde in Israel Wein produziert, der als koscher und ‚mevushal’ an die jüdischen Gemeinden in der ganzen Welt verkauft wurde. Es war der rituelle Wein für Feiertage und für die traditionellen Sabbat-Essen. Der Wein wurde nach der Lagerung abgekocht (‚mevushal’ ist hebräisch für ‚kochen’), die geschmackliche Qualität war kein Thema. Der Wein schmeckte „süss wie Eingemachtes“, wie es Gabriel Geller beschreibt.

Koscheren Wein zu produzieren bedeutet, eine ganze Reihe an Standards zu erfüllen. Beispielsweise muss der Wein durch alle Produktionsschritte von praktizierenden, den Sabbat ehrenden Juden gehandhabt werden. Sämtliche Produktionsmittel müssen koscher sein. Es muss ein Teil der Ernte an Bedürftige abgegeben werden und jedes siebte Jahr muss die Erde ruhen. Das Abkochen des Weins ist schliesslich die Methode, koscheren Wein vor ‚fremdem Segen’ zu schützen.

Franzosen und die kalifornische Revolution

Baron Edmond de Rothschild höchstpersönlich, der Baron des weltberühmten Château Lafite de Rothschild im Bordeaux, begründete 1852 die ‚Carmel Wineries’ mit Weinreben aus dem Bordeaux. Bis heute dominiert Carmel den Markt mit einem Anteil von über einem Drittel der in Israel produzierten Weinmenge. Die innerisraelische Konkurrenz ist noch jung.

In den 1980er-Jahren wurde die Wein-Revolution mit der Gründung der ‚Golan Heights Wineries’ eingeläutet. Mit frischen Reben und Wissen aus den Weinbergen Kaliforniens wurde ein neues Kapitel in der israelischen Weingeschichte aufgeschlagen. Daniel Rogov, legendärer israelischer Weinkritiker und eine Art Übervater des Wein-Booms in Israel, schrieb: „Einige spekulieren, dass die wachsende Nachfrage nach gehobenem Wein in Israel daher kommt, dass mehr und mehr Israelis die Welt bereisen, insbesondere Europa, und realisieren, dass Wein mehr als nur rituellen Wert hat. Es stimmt aber wohl ebenso, dass die Israelis nach besserem Wein verlangten, nachdem sie die Weine der Golan Heights Winery kosteten.“

Baruch Mendel bringt seine Erklärung für den Wein-Boom pragmatisch auf den Punkt: „Die Leute haben heute mehr Geld.“ Was immer Auslöser für die Revolution war, die Zahlen sind beeindruckend. Geller schätzt, dass heute drei- bis vierhundert kleine ‚Boutique-Wineries’ am Markt sind. Sie machen sich mit typisch israelischer Innovationskraft an die Winzerei und behaupten sich mit Klein- und Kleinst-Serien am lokalen Markt und haben viel zum Wein-Boom in Israel beigetragen. Rund die Hälfte dieser Kellereien betreibt auch eigene Rebberge.

Die zehn grössten alten und neuen Produzenten profitieren ihrerseits vom Boom. Sie decken rund 95 Prozent der Gesamtmenge von 50 bis 60 Millionen Flaschen jährlich ab, die im In- und Ausland verkauft werden. Bis in die 90er-Jahre wurden in Israel deutlich weniger als fünf Liter Wein getrunken pro Einwohner und Jahr. Diese Zahl ist seither stetig gestiegen. Sie liegt aber noch immer weit unter dem Konsum europäischer Länder. In Frankreich wird der Pro-Kopf-Konsum mit gegen 60 Liter pro Jahr angegeben. In Deutschland sind es gegen 30 Liter, in der Schweiz 40 Liter.

Das Weinland Israel

Gemessen an europäischen Massstäben steckt das Weinland Israel noch mitten in den Lehrjahren. Doch die Unternehmungslust der Israeli fördert spannende Resultate. Die ersten Merlots aus der Negev-Wüste sind gekeltert. Durch die hohen Temperaturen reifen die Trauben schneller als in Europa, was je nach Rebe zu ganz anderen Resultaten führt. Die Winzer experimentieren mit Reben und Cuvées – der Mischung verschiedener Traubensorten – auf der Suche nach noch besserer Qualität. Und auf der Suche nach der israelischen Identität der Weine.

Die Lust der Konsumenten an gutem Wein ist geweckt und wird mit Verkostungen und Weinmessen weiter angeschoben. Weinreisen in Israel sind schon mehr als nur ein Geheimtipp für Weinkenner aus der ganzen Welt. Über 100’000 Touristen besuchen die Carmel-Weinkeller jedes Jahr. Diese Woche findet zum neunten Mal das ‚Israeli Wine Tasting Festival’ im grossen Israel Museum in Jerusalem statt. Eine Verkostung mit dutzenden Produzenten und tausenden Besuchern. Für 80 Schekel (20 Franken) Eintritt kann nach Belieben Wein gekostet werden.

Wein ist ‚in’. „Und die Freude an gutem Wein wächst auch in der orthodoxen Gemeinde“, erzählt Geller, der sich mit seinem Angebot auf koschere Weine spezialisiert hat. Auch das Weintrinken an Sabbat und an Feiertagen wird mehr und mehr zum feierlichen Weingenuss.

Samuel Suter

Quelle: Israel Zwischenzeilen, Hg. Gesellschaft Israel-Schweiz 30.07. – 05.08.2012