Die Hamas und der Arabische Frühling

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Es wäre logisch anzunehmen, dass die Hamas – als Teil der Muslimbruderschaft – eine Gewinnerin des „Arabischen Frühlings“ sein muss. Die verschiedenen Revolten haben in einigen arabischen Ländern Islamisten an die Macht gebracht, und vor allem hat die Muslimbruderschaft im ägyptischen Parlament eine vorherrschende Stellung erlangt und könnte die anstehenden Präsidentschaftswahlen gewinnen.

Doch diese Einschätzung wäre voreilig. Erstens hat die Hamas ihr Langzeit-Hauptquartier in Damaskus wegen der Revolte in Syrien verloren, und die dortigen Mitarbeiter haben sich zerstreut: Khaled Mashal (der Chef des Hamas-Politbüros) ist nach Doha, Katar, gegangen, andere nach Kairo, Istanbul und an andere Orte. Das hat zur Folge, dass sich mehr Macht in Gaza konzentriert. So trägt ein Artikel der israelischen Tageszeitung die Überschrift „Mashal verliert die Kontrolle über den militärischen Flügel der Hamas und die Macht verlagert sich nach Gaza“. Offenbar gibt es in der Hamas momentan interne Spannungen. Zudem sind sie in dem Masse israelischen Vergeltungsschlägen gegen jeden Terrorakt ausgesetzt, der von der Hamas ausgeht, in dem ihre wichtigsten Führer in Gaza sind.

Dies bedeutet aber auch, dass die wichtigen Führer mit eingebunden werden, Gaza zu regieren, statt bequem im Exil zu sitzen und Pläne zu schmieden. Umfragen von Anfang des Jahres stellen „einen signifikanten Rückgang der Beliebtheit der Hamas im Gazastreifen“ fest und eine „Abnahme der positiven Beurteilung der Hamas-Regierung im Gazastreifen“ – und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sich das ändern sollte. Warum? Laut Umfrage „sagen 73 Prozent der Befragten, dass in den Einrichtungen der PA im Westjordanland Korruption herrscht, während nur 62 Prozent von Korruption in den Einrichtungen der entlassenen Regierung im Gazastreifen ausgehen“. Die Hamas hatte die palästinensischen Parlamentswahlen unter anderem deswegen gewonnen, weil die Fatah im Ruf stand, korrupt zu sein. Inzwischen wird die Hamas als fast ebenso korrupt eingeschätzt.

Eine weitere Nachricht ruft uns in Erinnerung, dass Regieren ganz schön schwierig ist. „Das Spielchen, immer andern die Verantwortung zuzuschieben, verzögert eine Lösung für Gazas Energiekrise“, schreibt Ma’an. Schuld ist die schwierige Beziehung zwischen der Hamas und Ägypten, und die ägyptischen Behörden sind mehr mit der Durchsetzung von Recht und Ordnung im Sinai beschäftigt, mit ihrer eigenen Beziehung zu den beduinischen Schmugglern im Sinai und der Gesetzlosigkeit der Schmuggel-Tunnel der Hamas, als mit der Energieversorgung in den Gazastreifen.

Vielleicht ändert sich das, sobald ein neuer Präsident gewählt worden ist; doch ich bezweifle, dass sich der ägyptische Nationalismus und die ägyptische Sorge über den Sinai auflösen werden. Laut New York Times (NYT) übt die Muslimbruderschaft Druck auf die Hamas aus, ihre extremistischen Ansichten zu mässigen und mit der Fatah zusammenzuarbeiten, die im Westjordanland regiert.

Als die Muslimbruderschaft in Ägypten Macht erlangte, mag die Hamas vielleicht herzliche Unterstützung erwartet haben, doch die NYT suggeriert, dass dies eher nicht ansteht: „Wir müssen nun als Dach für beide palästinensischen Parteien agieren, und wir müssen auf gleicher Distanz zu beiden stehen“, sagte Reda Fahmy, ein Führer der Bruderschaft, der die palästinensische Beziehungen überwacht und jetzt Vorsitzender des Komitees für arabische Angelegenheiten im ägyptischen Oberhaus des Parlaments ist. „Wie in jeder Bewegung von der Grösse der Muslimbruderschaft ist es eine Sache, wenn sie in der Opposition ist – und etwas ganz anderes, wenn sie an die Macht kommt“.

Was sich hier geändert hat, ist klar: einst befanden sich alle Ableger der Muslimbruderschaft in der Opposition zu den herrschenden Regimes und haben materiell, politisch und rhetorisch den Kampf des anderen unterstützt. Nun sind einige von ihnen an der Regierung, wie in Tunesien und Ägypten, und zwischen ihnen und denen, deren Hauptanliegen der Kampf gegen Israel ist, könnte sich die Kluft vergrössern. Im schlimmsten Fall für die Hamas würde sie folgende Konstellation erleben: weder ist sie eine Regierung noch regiert sie einen Staat, sie sieht sich einer Muslimbruderschaft gegenüber, die vor der grossen Herausforderung steht, den Bedürfnissen des ägyptischen Volkes nachzukommen, und gleichzeitig muss sie mit dem fast unmöglichen Problem fertig werden, Gaza zu regieren. Die genannte Umfrage gibt an, dass nur 31 Prozent der Palästinenser im Gazastreifen ihre Hamas-Herrscher positiv bewerten. Und vermutlich wird diese Zahl weiter abnehmen. Die Hamas ist eine Verliererin des arabischen Frühlings.

Originalversion: Hamas and the Arab Spring by Elliott Abrams © Council on Foreign Relations. May 2, 2012. Deutsche Übersetzung © Audiatur-Online.