Kein nuklearer Kompromiss

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Ayatollah Ali Khamenei

Ein Gespenst geht um im Nahen Osten: das Gespenst der Atombombe. Die nuklearen Kapazitäten des Iran erregen nicht nur in Israel Besorgnis, sondern auch in den arabischen Ländern des Nahen Ostens, besonders bei den Mitgliedern des Golf-Kooperationsrats; sie schätzen eine iranische Atombombe als ultimativen Faktor für die Veränderung des Kräftegleichgewichts in der Region zu ihrem Nachteil ein. Die Sorge der Golfstaaten wird deutlich in ihren intensiven Bemühungen, Sanktionen gegen den Iran durchzusetzen, und im Wahrnehmen ihres grossen Einflusses auf die wirtschaftliche und soziale Isolation der Islamischen Republik beim Ausfall iranischen Öls für den europäischen Markt.

Der Iran hat viele Gründe, nach Atomwaffen zu streben. Für den obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei steht die regionale Vorherrschaft auf dem Spiel. Seit die USA und ihre Verbündeten die Vorherrschaft im Nahen Osten erlangt haben, können sie den Iran unter Druck zu setzen, wann immer sie wollen und zu in jeder beliebigen Sache. Wäre der Iran im Besitz von Nuklearwaffen, würde das diesen Kurs verändern und es dem Westen erschweren, dem Iran seinen Willen aufzuzwingen.

Khamenei ist fest davon überzeugt, dass der Westen es mit seinem Druck hinsichtlich des Atomprogramms letztlich darauf abgesehen hat, das iranische Regime zu zerstören. Seinem manichäischen[1] Weltbild zufolge befinden sich die Islamische Republik und der Westen von Natur aus in einem Widerspruch von Gut und Böse  – und diese Auseinandersetzung wird weitergehen, bis das Gute gewinnt. Ein wie auch immer gearteter Kompromiss mit dem Westen wäre gegen die Natur der Islamischen Republik gerichtet, von normalen Beziehungen ganz zu schweigen. Einen solchen Umgang verabscheut er sowohl hinsichtlich seiner innenpolitischen Gegner wie auch in den aussenpolitischen Beziehungen. Bei einem Treffen mit HamasFührer Ismail Haniya warnte Khamenei, jeder Schritt, der den „Widerstand“ schwäche, wirke der Zukunft der muslimischen Nationen entgegen. Im Verlauf der vergangenen 23 Jahre sabotierte Khamenei erfolgreich alle Anstrengungen, sich ernsthaft auf die USA einzulassen. Frühere Präsidenten, die ihre Bereitschaft geäussert hatten, die atomare Pattsituation mit diplomatischen Mitteln zu lösen, sind an den Rand gedrängt und als Bedrohung für die Autorität des obersten Führers angesehen worden. Khamenei hat „Widerstand“ zu einem heiligen Wort erhoben; und er strebt danach, in der muslimischen Welt als der ultimative Vertreter der Widerstands-Idee angesehen zu werden.

Der Iran sieht sich von Feinden umzingelt und hat es versäumt, gute Beziehungen zu den meisten arabischen Ländern aufzubauen; eine Ausnahme ist Syrien. Sunnitische arabische Mächte, darunter Saudi-Arabien, beschuldigen den Iran, die gesamte arabische Welt schiitisch zu missionieren und seine revolutionäre Ideologie verbreiten zu wollen. Der Iran weist diese Vorwürfe zurück und betont, seine Ideologie sei nicht sektiererisch, sondern pan-islamisch. Ein kalter Krieg spielt sich zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ab wie auch innerhalb dieser beiden Länder. Der Iran beschuldigt Saudi-Arabien, bewaffnete Gruppen in den belutschischen und kurdischen Provinzen in Iran zu unterstützen, während Saudi-Arabien dem Iran vorwirft, Schiiten in der östlichen Provinz Saudi-Arabiens, in Sa‘da im Norden Jemens und auch in Bahrain zu finanzieren. So profitieren rivalisierende Gruppen in ganz Zentralasien und im Nahen Osten von graduell unterschiedlich gewährter Unterstützung aus Saudi-Arabien und dem Iran.

Irans langsamer Weg zu einem Atomprogramm macht ein Wettrüsten in der Region wahrscheinlicher. So Prinz Turki Al-Faisal von Saudi-Arabien kürzlich angekündigt, dass die Golfstaaten im Falle eines Wettrüstens nicht im Rückstand bleiben würden, ungeachtet ihrer Verpflichtung, keine Massenvernichtungswaffen zu erwerben. Was die Möglichkeit angeht, Massenvernichtungswaffen zu erwerben, meinte er: „Wir können es nicht einfach anderen überlassen, für uns zu entscheiden.“ Ähnlich haben sich die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate geäussert.

Unter solchen Umständen besteht die einzige Hoffnung auf eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten darin, den Iran davon abzuhalten, Atomwaffen zu erlangen. Gegenüber dem Iran mag es mit Sanktionen gelingen, seine weitere Absicht einzudämmen, aber das würde die  anderen Länder in der Region nicht vom Erwerb von Atomwaffen abzuhalten. Denn dies würde nicht verhindern, dass der Iran Nukleartechnologie und Know-how an andere Länder liefert, wie es iranische Vertreter, darunter Präsident Mahmud Ahmadinedschad, bereits angeboten habe. Eine Eindämmung mag bisher mit Ländern wie Nord-Korea und Pakistan funktioniert haben; aber ein Hindernis, Nukleartechnologie und -wissen in Länder wie den Iran zu schmuggeln, stellt sie nicht dar.

Das derzeitige Massnahmenbündel des Westens aus Sanktionen und verdeckten Operationen (wie der Ermordung von Atomwissenschaftlern) zielt darauf ab, das iranische Atomprogramm zu verzögern und den Iran zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen. Doch hier gibt es einige Schwierigkeiten. Sanktionen und Strafmassnahmen werden von der iranischen Führung als Strategie wahrgenommen, die den Sturz des Regimes durch Lähmung der Wirtschaft und Isolation des Landes herbeiführen will. Wenn diese Strategie mit westlichen Erklärungen zu Menschenrechten und der demokratischen Bewegung in Iran in Zusammenhang kommt, wird daraus in den Köpfen hochrangiger Regierungsvertreter die Überzeugung, dass der Regimewechsel im Iran die geheime Agenda sei. Solange Khamenei das Sagen hat, wird es für den Westen nahezu unmöglich sein, den Iran davon zu überzeugen, dass seine politische Absicht nicht der Sturz des Regimes ist, sondern die Beendigung der nuklearen Ambitionen des Iran.

Der Iran wird die bestehenden Sanktionen, die in noch nie dagewesener Weise auf das Bankensystem und die Ölindustrie abzielen, nicht überleben können. Auf ihre Durchführung sollten sich die grösstmöglichen Anstrengungen richten. Die dann im Iran eintretende unerträgliche Wirtschaftskrise wird den Kreis der politischen Entscheidungsträger und vor allem die einflussreichen iranischen Revolutionsgarden spalten. Dies würde höchstwahrscheinlich eine wesentliche Änderung der iranischen Atompolitik nach sich ziehen.

Mehdi Khalaji ist Senior Fellow am Washington Institute, sein Schwerpunkt ist die Politik des Iran und schiitische Gruppen im Nahen Osten.

Originalversion: No Nuclear Compromise by Mehdi Khalaji © The Washington Institute for Near East Policy, February 7, 2012. All rights reserved.



[1] Eine dualistische religiöse Philosophie, die vom persischen Propheten Manes gelehrt wurde und Elemente des zoroastrischen, christlichen und gnostischen Gedankenguts vereint.