Spekulationen und keine Quellen

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Iran's Natanz Nuclear Facility is located in this region among the famous Karkas mountain chain (Kuh-e Karkas) (meaning mountain of vultures). Foto: © istock/Ravi Tahilramani

Ein israelischer Militärschlag gegen Iran steht unmittelbar bevor. Das berichten unisono grosse Zeitschriften der Welt: der Spiegel, Focus, der Tagesanzeiger und sogar die New York Times. Da wird bis zum Flugzeugtyp und dem Gewicht der Bomben beschrieben, wie es die Israelis treiben werden. Zu den Experten zählen neben ungenannten „Geheimdienstexperten“ bei „Die Welt“ sogar Hans Rühle,  Experte für Atomtechnologie und –waffen, von 1982 bis 1988 Leiter des Planungsstabes im Bundesverteidigungsministerium. Das klingt sehr glaubwürdig. Bei Focus erschienen mehrere Artikel, mit viel Fachwissen zu bunkerbrechenden Bomben, mit denen ganze Berge über unterirdischen Anlagen zerschlagen werden können. In einem dieser Beiträge wird behauptet, dass die derzeitigen Äusserungen israelischer Politiker ein solches Szenario tatsächlich „in den nächsten Monaten“ nahe legen. Weder in jenem noch in verlinkten anderen Artikeln entdeckten wir jedoch den Namen auch nur eines israelischen Politikers.

Deshalb haben wir dem Autor eine Anfrage geschickt: „Bitte helfen Sie mir, denn ich kenne nur Sprüche von Oppositionspolitikern und Zeitungsanalysen, nicht aber den Spruch eines verantwortlichen Politikers.“ Der Journalist antwortete prompt: „Vielen Dank für Ihre Nachfrage. Die Aussage in meinem Text bezieht sich u.a. auf die in “Haaretz” zitierte Aussage von Ehud Barak: „Wer ´später´ sagt, könnte herausfinden, dass es (für einen Angriff) schon zu spät ist“. Der Journalist gestand dann: „Weitere konkrete Sprüche habe ich nicht vorliegen.“
Barak erwähnte Nord-Korea, um zu erklären, wie ein Land mit Atombombe die „Grenze der Immunität“ erreicht. Die Feststellung des israelischen Verteidigungsministers kann also als Analyse verstanden werden, nicht aber als Absichtserklärung Israels, den Iran anzugreifen. Und wenn Barak das öffentlich an die Adresse der Amerikaner und der westlichen Welt erklärt hat, kann es auch als Aufforderung interpretiert werden, den Iran mit schärferen Sanktionen und diplomatischem Druck am Bau einer Atombombe zu hindern..

Der Journalist fuhr fort und schickte Links zu „Hinweisen auf ähnliche Äusserungen von Kabinettskollegen Baraks und sogar von Regierungschef Netanjahu selbst.“

Einer der Links führte zu „derwesten.de“. Da wird beschrieben, wie Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinen Ministern einen „Maulkorb“ verhängt hat, kein Wort mehr zu Iran zu äussern. Netanjahu kennt seine Landsleute. Die reden viel und verantwortungslos, teilweise um sich selber (innenpolitisch) zu profilieren, ohne zu bedenken, dass jedes Wort auch im Ausland mitgelesen und gehört wird. Netanjahu hat kein Interesse, den Staat Israel durch unverantwortliches Gerede in einen Krieg zu ziehen. Unbedachte Sprüche könnten die Hisbollah im Libanon, die Hamas im Gazastreifen und andere provozieren, Israel anzugreifen und würden dem Iran nur Öl ins Feuer giessen.

Ein zweiter Link führte zu einem Zeitungsartikel des israelischen Journalisten und „Militärexperten“ Ronen Bergman. Auch da wird Barak zitiert: „Verteidigungsminister Ehud Barak sieht im Iran „eine wirkliche, existenzielle Bedrohung“. In einem Interview mit Bergman sagte er jüngst: „Die Iraner sind immerhin eine Nation, deren Führung sich das strategische Ziel gesetzt hat, Israel zu vernichten.“ Und nach der Rückkehr vom Weltwirtschaftsforum in Davos fügte er hinzu: „Die Zeit läuft uns davon. Jetzt kommt es auf die Entschlossenheit der Staatenlenker an, um das Atombombenprogramm Teherans zu stoppen.“

Bei genauem Hinschauen redet Barak von der Bedrohung Irans und von der Notwendigkeit einer „Entschlossenheit der Staatenlenker“, womit er wohl nicht seinen eigenen Chef, Ministerpräsident Netanjahu, meint, sondern ausländische „Staatenlenker“. Auch aus dieser Äusserung lässt sich beim besten Willen keine israelische Absicht herauslesen, Iran demnächst angreifen zu wollen.

Bergman liefert in seinem Artikel noch weitere vermeintlich untrügliche Zeichen konkreter Kriegsvorbereitung Israels. Etwa, dass es in Israel seit 2006 regelmässige Übungen der Heimfront gibt, um die Bevölkerung auf einen Raketenkrieg und andere Bedrohungen vorzubereiten. Bergman setzt dabei auf das kurze Gedächtnis seiner Leser im Ausland und verschweigt, dass der Norden Israels 2006 während des Libanonkrieges von der Hisbollah-Miliz mit Raketen beschossen worden ist. Dabei offenbarte sich, dass viele Luftschutzkeller verriegelt oder unbenutzbar waren.

Es ist wohl selbstverständlich, das ein Staat, sein Militär und die Polizei Lehren aus Pannen und Versäumnissen ziehen. Ob die Sirenen funktionieren und die Bunker zugänglich sind oder ob Schüler wissen, wo sich die Schutzräume in ihrer Schule befinden, kann man nur durch solche Übungen prüfen.

Am vergangenen Wochenende wurden vom Gazastreifen aus Grad-Raketen auf den Süden Israels abgeschossen. Eine Million Menschen wurden mit Sirenengeheul in die Schutzräume geschickt. Das ist in Israel Alltag.

1990, nach Iraks Eroberung von Kuwait und Saddam Husseins Drohungen, Israel mit Giftgas bestückten Raketen „verbrennen“ zu wollen, wurden an Israels gesamte Bevölkerung Gasmasken verteilt. Tatsächlich trafen irakische Raketen Tel Aviv, Ramallah und Haifa, zum Glück ohne Giftgas. Fast jeden Abend sassen damals alle Israelis in „abgedichteten Räumen“. Bekanntlich hat sich Israel an jenem ersten Irakkrieg 1991 nicht beteiligt und wurde trotzdem angegriffen. Auch der Libanonkrieg 2006 begann nicht mit einem israelischen Militärschlag, sondern mit einem Anschlag der Hisbollah auf ein israelisches Patrouillenfahrzeug und der Entführung von zwei Soldaten.

Die landesweiten Übungen der Heimfront gelten auch anderen nationalen Katastrophen. Ähnlich wie Japan liegt Israel in einem der gefährlichsten Erdbebengebiete der Welt. Im afro-syrischen Graben, also beim See Genezareth und dem Toten Meer, reiben sich zwei Erdplatten. Alle hundert Jahre entladen sie gewaltige Energien mit grosser Zerstörungswut. Das letzte grosse Erdbeben hat 1927 Saffed und andere Städte zerstört. Seit biblischer Zeit kam es regelmässig zu solchen Erdbeben. Es wäre reiner Leichtsinn, wenn die Israelis sich nicht mit Bauvorschriften und konkreten Übungen der Rettungskräfte auf derartige Vorfälle vorbereiten. Erst vor zwei Wochen wackelte die Erde. Das Epizentrum wurde im See Genezareth bei Kibbutz Ginosar ermittelt.

Wenn also eine grosse deutsche Zeitschrift eingesteht, keine israelische Absichtserklärungen zu einem Militärschlag gegen Iran zu kennen, und dennoch darüber spekuliert, ist das nicht nur peinlich sondern sogar gefährlich. Denn so wird von wichtigen Medien ein Krieg herbeigeredet, der möglicherweise gar nicht geplant ist.

Diplomatische Sprüche wie „alle Optionen liegen auf dem Tisch“ haben gleichwohl israelische Politiker geäussert, sogar der Ministerpräsident. Aber auch Andere verwenden diese populäre Formel, um Druck auszuüben, auf wen auch immer. Unter den ersten 8000 Treffern bei Google könnten Barack Obama, Hillary Clinton, George W. Bush, die EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton (zu Syrien) und viele andere das Urheberrecht für die „Optionen auf dem Tisch“ beanspruchen.

Ob Israel tatsächlich einen Angriff auf Iran plant, weiss niemand oder nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten. „Weitere konkrete Sprüche habe ich nicht vorliegen“, schrieb der Journalist einer grossen deutschen Zeitschrift. Und die, die er vorliegen hatte, waren nicht konkret…

© Ulrich W. Sahm

Weiterführende Links zu diesem Artikel:

Interview mit Shalom Cohen in der BaslerZeitung

Da wird ein Fantasiegebilde aufgebaut” (Tagesanzeiger)

http://www.derwesten.de/nachrichten/netanjahu-verpasst-kabinett-maulkorb-zu-militaerschlag-gegen-iran-id6323975.html

http://www.n-tv.de/politik/dossier/Eine-Raeuberpistole-article207060.html

http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/technik/atomstreit-zwischen-israel-und-iran-koennen-bomben-die-iranischen-atombunker-knacken_aid_711399.html

http://www.focus.de/politik/ausland/iran/iran-israel-konflikt/israels-angst-vor-der-atombombe-moeglicher-angriff-auf-den-iran-im-fruehjahr_aid_710072.html

2 Kommentare

  1. Weitere Facette auf dem Schachbrett: Die EU und die Nato sind derart auf die eigene Sicherheit bedacht, dass sie einen Raketenschild in ehemalige Warschauerpaktstaaten planen und realisieren. Putin hat aber vor kurzem klar gemacht, dass er diesen Schutzschild gar nicht gegen Iran sondern gegen Russland gerichtet interpretiert. Was soll er als Währung für einen Deal offerieren, wenn er diesen Schild besser kontrollieren oder verschieben will? Er hilft Iran, aufzurüsten, welches die Erdölnachschubwege bedroht.
    Ferner wird am Nordpol wegen Öl auch schon mit den Säbeln gerasselt: Canada schickt Zerstörer, russische u_boote plazieren Unterwasserfahnen und keine Einigung in Sicht. Auch für diese Interessen muss Russland ein gutes Faustpfand aufbauen.
    Last-not Least ist da noch das Erdöl/Gas um das Gebiet von Zypern, wobei hier vor allem die Türkei ein Interesse hat, Verträge zwischen Zypern und Israel zu verhindern.
    Die Schwächung Israels ermöglicht wie das Erpressen der USA in diesen internationalen Gewässern. Und da ist die potentielle Bedrohung durch eine iranische Bombe auch gut genug.

  2. Danke, dass Sie die unsäglichen Kassandrarufe, die in den letzten Tagen durch zahlreichen Medien geisterten, mit Ihrem Beitrag wieder dahin zurückweisen, wohin sie gehören: ins Reich der Spekulationen und der Märchen. Unseriöse Berichterstattung, die sich nicht auf aureichenden Quellen abstützt, verzerrt durch verbales Säbelrasseln die objektive Sichtweise. Und wer eignet sich besser für ein derartiges Tun, als Israel. Das ist so. Aber müssen wir uns damit abfinden? Müssen wir stillhalten, bis durch diese Art von Journalismus etwas erfolgreich herbeigeredet wurde? "Self fullfilling prophecy" nennt man das Phänomen. Und wenn es dann eingetreten ist, können wieder alle auf ihr Lieblingsziel zeigen: auf Israel!
    Gruss aus Zichron und shabbat shalom

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