Au revoir, Frau Calmy-Rey!

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Foto: EDA © Philippe ChristinAm 31. Dezember klingt nicht nur das Jahr 2011 aus, sondern mit ihm endet auch die Ära Micheline Calmy-Reys (MCR) als Schweizer Aussenministerin.  Die Strahlefrau mit den grossen Taschen hat für so manch bewegende Momente gesorgt; keine Selbstverständlichkeit angesichts der blassen Aussenpolitik ihrer Vorgänger Flavio Cotti und Joseph Deiss. Mit MCR wurde es nie langweilig. Ihr Credo war die „aktive Neutralität“ und sie versäumte keine Gelegenheit, um zu demonstrieren was darunter zu verstehen war.

Unermüdlich kämpfte sie für die Wahrung der Menschenrechte, kritisierte insbesondere Israel und die USA wann immer möglich und führte im Gegenzug „Dialog“ mit jenen Regimen, zu denen andere westliche  Staaten längst den Kontakt abgebrochen hatten. Fairerweise sollte aber erwähnt werden, dass auch die Türkei und China das eine oder andere Mal Kritik einstecken mussten. Sie nahm aber auch gerne Kritik an, insbesondere jener im Rahmen des sogenannten Länderexamens (dessen Zweck die periodische Überprüfung der Menschenrechtslage in den 192 UN-Mitgliedsstaaten ist) des UNO-Menschenrechtsrats, bei dessen Etablierung die Schweiz keine unwichtige Rolle gespielt hatte. Die Eidgenossenschaft hatte zu den Hauptinitianten des UNO-Gremiums gezählt, welches 2006 die UNO-Menschenrechtskommission ersetzte. Und so freute sich MCR über die Inputs von erlesenen Menschenrechts-Garanten wie etwa Kuba, Saudi-Arabien, Russland und Iran, die etwa fehlende Schweizer Gesetze gegen Sklaverei und Folter oder die menschrechtswidrige Diskriminierung des Islam beklagten. Im Jahr 2010 übernahm übrigens niemand Geringeres als Libyen den Vorsitz des Menschenrechtsrates.

Doch beschränkte sich die von ihr ausgerufene „offene Diplomatie“ längst nicht nur auf den „Menschenrechtsdialog“. So war sie etwa eine der Ersten, die die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannten und war im März 2008 gar bei der Eröffnung der Schweizer Botschaft in Pristina anwesend. Dies wurde längst nicht von allen Seiten goutiert, da dies zur Legitimierung der kosovarischen Regierung unter Hashim Thaci beitrüge, die nur geringe Anstalten machte, Kriegsverbrechen durch die UCK (Ushtria Çlirimtare e Kosovës, dt. Befreiungsarmee des Kosovos) aufzuklären. Die kosovarische Gemeinde in der Schweiz feierte MCR wie eine Heldin.

Doch hat von all ihrer zahllosen Auftritten – sie überschritt beispielsweise 2003 bei ihrem Besuch in Nord- und Südkorea als erste ausländische Regierungsvertreterin die Demarkationslinie zwischen den beiden verfeindeten Ländern– zweifelsohne jener in Teheran am meisten Eindruck hinterlassen. Mit Kopftuch machte sie Präsident Ahmadinedjad die Aufwartung – ein Bild das um die Welt ging. Und nebenbei ein gelungener PR-Coup für das iranische Mullah-Regime.

Der harschen Kritik, die dieser „schleierhafte Auftritt“ (Blick) auslöste, widersprach sie: Dies sei keine Unterordnung gewesen, sondern lediglich Respekt vor den örtlichen Sitten.  Eine Ansicht, die von den iranischen Frauen, die ein Jahr später auf die Strasse gingen, wohl kaum geteilt wurden. Als die Proteste gegen Ahmadinedjad im Jahr 2009 brutal niedergeschlagen wurden, blieb Frau Calmy-Rey und das EDA erstaunlich zurückhaltend mit Verurteilungen. Für einmal schienen Menschenrechte doch nicht das Mass aller Dinge zu sein. Wenn es darum ging, Israel einseitig zu verurteilen, war wesentlich mehr Verlass auf die Bundesrätin. Dies tat sie mit einer solchen Vehemenz, dass ihr sogar der zweifelhafte Ruhm zukommt, die vermutlich einzige Politikerin der Schweiz zu sein, deren Namen zumindest Teile der israelischen Bevölkerung durchaus kennen.

Dies mag nicht nur ihrer Israelkritik geschuldet sein, sondern etwa auch der Tatsache, dass sie zu den führenden Apologeten eines „Dialogs“ mit der Hamas zählte und sich dafür stark machte, die Terror-Organisation in künftige Verhandlungen einzubeziehen. Und dies zu einem Zeitpunkt als die westliche Staatengemeinschaft die Hamas aufgrund ihrer Weigerung, der Gewalt abzuschwören und Israel anzuerkennen, boykottiert.

Am meisten Kritik musste MCR aber im Rahmen der Libyen-Krise einstecken, als sie es versäumte, den Gesamtbundesrat über einen Plan zur Befreiung der beiden Schweizer Geiseln durch die Spezialeinheit AAD 10 zu informieren. Bei der Wahl zu ihrer 2. Bundespräsidentschaft wurde dies dann durch das historisch bislang schlechteste Resultat (108 Stimmen) abgestraft.

An der Bewertung von Micheline Calmy-Reys Amtszeit scheiden sich die Geister. Ihre Befürworter loben ihren Mut und ihre Initiative, ihre Gegner glauben jedoch, sie hätte der Schweizer Neutralität einen Bärendienst erwiesen.

Ihr Nachfolger wird Bundesrat Didier Burkhalter sein, der vor allem dadurch auffällt, dass er nicht auffällt. Man kann also davon ausgehen, dass wieder etwas mehr Ruhe in die Schweizer Aussenpolitik einkehren und künftig wieder eine eher zurückhaltende Gangart an den Tag gelegt wird.

Ob und wie MCR auch weiterhin von sich zu reden machen wird, steht derzeit noch in den Sternen, ist aber leider alles andere als ein abwegiger Gedanke. Und so ist bereits von einer Karriere bei der UNO die Rede. Ein Heimspiel also sozusagen. Parteigenosse Jean Ziegler würden sich bestimmt freuen.

Michel Wyss

Über Michel Wyss

Michel Wyss ist freischaffender Analyst bei der Audiatur-Stiftung und beschäftigt sich hauptsächlich mit Sicherheitspolitik im Nahen Osten. Er absolviert derzeit ein MA-Studium in Government mit Fokus auf Internationale Sicherheit am Interdisciplinary Center in Herzliya, Israel und ist als Research Assistant beim International Institute for Counterterrorism (ICT) tätig.

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