Israel ist nicht Teheran

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Tausende Israelis demonstrierten gegen den wachsenden Einfluss ultra-religiöser Strömungen und die zunehmende Diskriminierung von Frauen.

 

Die acht Jahre alte Naama Margolis ist Israels neue Heldin. In einem Land, das knallharte Generäle, selbstsichere Politiker und sexy Supermodels anhimmelt, ist die schüchterne Schülerin aus der Kleinstadt Beit Schemesch am Himmel der Medienstars eine Überraschung. Dieser Tage starrte ihr blondes, bebrilltes Antlitz von allen Titelseiten. Sie steht im Mittelpunkt einer politischen Debatte, an der Israel seit seiner Gründung nagt: Der Kampf um den Charakter des Judenstaates. Vergangenen Freitag berichtete das Fernsehen über Naamas kurzen Schulweg, den religiösen Extremisten zum Spiessrutenlauf machen. Fanatiker mit langen Schläfenlocken beschimpften das Kind als „Hure“, und bewarfen es mit Steinen, weil ihr Rock ihnen nicht lang und ihre Strümpfe nicht hoch genug waren. Die Belästigung der züchtig gekleideten Naama hat Israel erschüttert: Gemässigte Kräfte haben religiösen Fanatismus den Krieg angesagt.

Dabei gilt Israel als emanzipiert. Tzippi Livni ist Oppositionsführerin, Richterin Dorit Beinisch ist Vorsitzende des höchsten Gerichtshofs, Orna Barbivai wurde Generälin. Frauen leiten grosse israelische Konzerne und Banken, und spielen in Medien, Kultur und Kunst bedeutende Rollen. Doch der Emanzipation droht Gefahr.

Immer öfter marginalisieren Rabbiner Frauen. An Friedhöfen verboten sie Witwen, Lobreden am Grab ihrer Männer zu halten. In der Armee weigerten sich religiöse Soldaten, bei Zeremonien Sängerinnen zuzuhören. Extreme „Haredim“ – Hebräisch für „Gottsfürchtige“ – fordern Geschlechtertrennung in öffentlichen Bussen. In orthodoxen Stadtteilen sind Frauen von Werbepostern verschwunden, aus Angst vor Vandalismus übereifriger Haredim. Andernorts mahnen Schilder Frauen, sich „nicht vor Synagogen aufzuhalten“ und getrennte Bürgersteige zu benutzen.

Oppositionsführerin Livni deutet die Frauenfeindlichkeit als eine Facette zunehmender Radikalisierung. Brandstiftung gegen Moscheen und die Drangsalierung von Friedensaktivisten durch militante Siedler seien weitere Aspekte. Nach der Fernsehreportage kochte der Volkszorn über. Selbst haredische Zeitungen bezeichneten die Extremisten als „Feinde der Religion“. Staatspräsident Schimon Peres rief dazu auf, in Beit Schemesch zu demonstrieren: „Die gesamte Nation muss die Mehrheit vor dieser Minderheit retten“, sagte Peres. Mehr als 4000 Menschen folgten am Dienstag seinem Aufruf. Auch in anderen Städten demonstrierten gemässigte Religiöse gemeinsam mit Säkularen: „Israel ist nicht Teheran!“, stand auf ihren Postern. Demonstranten äusserten die Angst, dass ihr demokratischer, liberaler Staat von Fanatikern gekidnappt werde.

Experten erkennen zwei widersprüchliche Ursachen. Der Rabbiner Uri Ayalon, der gegen die Radikalisierung von innen ankämpft, sieht „die Ultra-Orthodoxie in einer Krise. Internet, Arbeitsmarkt und Medien setzen die Jugend fremden Einflüssen aus, vor denen die Eltern sie abschirmen wollen. Ihre Schwäche macht sie militanter“, so Ayalon. Professor Mordechai Kremnitzer vom Israelischen Institut für Demokratie, ein liberaler Thinktank, spricht hingegen vom Machtzuwachs der Orthodoxen. Sie haben im Durchschnitt drei Mal mehr Kinder als andere Paare. Sie stellen nur 10% der Bevölkerung, aber rund ein Viertel der Erstklässler. Dank dieser Demographie hätten sie „in der Koalition von Premier Benjamin Netanjahu so viel Einfluss wie noch nie“, sagt Kremnitzer.

Eide Fachmänner meinen einhellig, dass die Räumung von Siedlungen im Gazastreifen 2005 die Haredim radikalisierten. Ihnen sei klar geworden, dass der wichtigste Programmpunkt ihrer Bewegung, die Besiedlung Gross-Israels, nicht mehr durchführbar sei. „Die Rückkehr zu einem vermeintlich authentischeren Judentum wurde zur Ersatzideologie. Die verschiedenen religiösen Strömungen ringen jetzt darum, wer puritanischer ist“, sagen Kremnitzer und Ayalon.

Netanjahu versprach Abhilfe: „Der öffentliche Raum muss für alle offen und sicher sein“, sagte er. Die Bestrafung für Diskriminierung von Frauen soll verschärft werden. Doch der Polizeichef mahnte, Strafvollzug allein könne der Frauenfeinde nicht Herr werden. Letztlich müssten sich Rabbiner geschlossen gegen die Radikalisierung aussprechen. Davon sei aber noch nichts zu sehen.

Über Gil Yaron

Dr. Gil Yaron ist Buchautor, Dozent und Nahostkorrespondent der Tageszeitung und des Fernsehsenders WELT, sowie der RUFA, der Radioabteilung der dpa. Er schreibt ebenso für die Straits Times in Singapur, und arbeitet als freier Analyst in zahlreichen Fernsehsendern.

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1 Kommentar

  1. "Eide Fachmänner meinen einhellig, dass die Räumung von Siedlungen im Gazastreifen 2005 die Haredim radikalisierten. Ihnen sei klar geworden, dass der wichtigste Programmpunkt ihrer Bewegung, die Besiedlung Groß-Israels, nicht mehr durchführbar sei."
    Das schreibt Herr Yalon und damit muss man ihm attestieren, dass er keine Ahnung von dem hat, was er schreibt. Denn wenn er die Verhältnisse kennen würde, hätte er diesen Stuss nicht weiter gegeben. Wer nicht in der Lage ist zwischen nationalreligiösen und hareidischen Juden zu unterscheiden, sollte sich nicht zu Israel äußern. Wer die Unterschiede kennt und sie trotzdem in einen Topf wirft (bzw. falsche Inhalte zitiert )und nichts richtig stellt, der ist ein Hetzer.
    Man sollte Herrn Yaron verpflichten sich diesen Text genau durchzulesen, um seinen Kenntnisstand auf eine richtige Grundlage zu stellen:
    Walfang in der Schweiz
    Die Leser von audiatur-online sollten sich diesen Text der Bloggerin "Lila" ebenfalls zu Gemüte führen, um zu sehen, welchen Unsinn Gil Yaron in diesem Absatz von sich gegeben hat.

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