Gaddafi: weisse Weste aus dem Westen

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Welche Politiker aus dem Westen haben Gaddafi und seinem blutrünstigen Regime eine weisse Weste verschafft? Wer sonst noch hat dem Regime geholfen? Das könnten vorrangige Themen für investigative westliche Medien sein, denen sie sich systematischer widmen könnten als bisher – zumal immer mehr Informationen zugänglich sind und eigentlich weitaus mehr Sachverhalte aufgedeckt werden könnten, wenn Journalisten sich nur die Mühe machten.

Die Verbrechen Gaddafis sind im Lauf von Jahrzehnten auch im Ausland so bekannt geworden, dass man ihn dafür hätte ächten können. Das trifft auch zu für die Zeit nach 2003, als er die nuklearen Ambitionen seines Landes aufgegeben hatte und „den Terrorismus“ offiziell „bereute“. In keine Weise minderte dies seine Verantwortung gegenüber diejenigen, die von seinem Regime ermordet oder gefoltert wurden.

Schätzungen zufolge sind 1996 im Gefängnis von Abu Salim 1200 Gefangene ermordet worden; das war der blutrünstigste Vorfall in dem dicken Katalog libyscher Verbrechen. Ihr Massengrab wurde vermutlich gerade gefunden. [1] Es lagen ausserdem genug Informationen vor über eine Reihe von öffentlichen Hinrichtungen, vom Verschwinden und von Folterungen sowie ethnischen Säuberungen der letzten libyschen Juden. [2] Ausserhalb Libyens war die Sprengung des Pan Am–Flugs 103 über der schottischen Stadt Lockerbie, die 270 Menschen tötete, der am meisten berüchtigte Terroranschlag. Um hier eine vollständige Liste der libyschen Verbrechen aufzuzählen, reicht der Platz nicht aus.

Nachdem Gaddafi „bereut“ hatte, war der französische Präsident Nicolas Sarkozy der erste europäische Staatschef, der den blutrünstigen Diktator in seinem Land empfing. Im Jahr 2007 schlug Gaddafi in Paris sein Zelt auf und hatte zwei Audienzen bei Sarkozy, der ihm einen Parlamentsempfang und ein Dinner in seinem Präsidentenpalast am Internationalen Tag der Menschenrechte bereitete.[3] Eine so weisse Weste zu erhalten oder zu verschaffen, hat einen Preis oder bringt seine Belohnung – wie man es sehen will. Jedenfalls kaufte Libyen bei dieser Gelegenheit gleich 21 Airbusse und unterzeichnete ein nukleares Kooperationsabkommen. Aus beiden sollte die  französische Industrie mit zehn Milliarden Euro profitieren.

Auch in Rom wurde Gaddafi von Ministerpräsident Silvio Berlusconi 2009 herzlich empfangen. Auf dem Besuchsprogramm stand unter anderem eine Rede des libyschen Führers vor 700 Frauen; die italienische Ministerin für Gleichstellung, Maria Cafagna, erklärte in ihrer Eröffnung, Gaddafis Rede sei „eine starke, klare Botschaft gegen den Missbrauch von Frauen“. Was für ein freundlicher Empfang für einen Serienvergewaltiger! [4]

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Bereits 2004 hatte der britische Premierminister Tony Blair die Sache mit dem Weisswaschen der Weste begonnen, indem er Gaddafi in Tripolis besuchte. [5] Zur Unterzeichnung eines Ölgeschäfts kam er 2007 wieder. [6] Vermutlich werden weitere Informationen über seine vielen Besuche in Libyen an die Öffentlichkeit kommen, nachdem er nun nicht mehr im Amt ist. Es wurde ausserdem aufgedeckt, dass die Blair-Regierung schon 2002 – noch bevor der Diktator „bereut“ hatte – dem Sohn des Diktators Seif al-Islam Gaddafi einen Studienplatz an der Universität von Oxford zu sichern versuchte. [7]

Der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, traf Gaddafi 2004 in Brüssel und verstiess sogar gegen die Regeln des Protokolls, als er den blutrünstigen Diktator am Flughafen empfing. [8] Der griechische Ministerpräsident George Papandreou stattete Libyen 2010 einen offiziellen Besuch ab. [9]

Aber es waren nicht nur Politiker, die dem Gaddafi-Regime Hilfe leisteten. Über Wikileaks wurde bekannt, dass die französische Firma Amesys Libyen ein Software-System verkauft hat, mit dessen Hilfe Emails der libyschen Opposition im Ausland bespitzelt werden konnte.[10] Wikileaks zufolge verkaufen viele andere Firmen weiterhin spyware an Diktaturen. [11]

Im März 2011, als die libysche Revolution bereits im Gange war, gab die grosse amerikanische Unternehmensberatung Monitor Group zu, dass ihr ein Schnitzer unterlaufen sei, indem sie einen 3-Millionen-Dollar-Vertrag vom Gaddafi-Regime akzeptiert habe. Der Rahmen des Vertrages sah unter anderem vor, angesehene Akademiker nach Libyen zu bringen, um ein positives Porträt des Diktators zeichnen zu können. [12]

Die London School of Economics (LSE) geniesst das Ansehen einer fortschrittlichen akademischen Einrichtung. Im März ist ihr Direktor, Sir Howard Davies, zurückgetreten. Zwei grundlegende Fehler gestand Davies ein: Zu einem, dass die Hochschule eine Spende von Gaddafis Sohn Seif angenommen hatte; und zweitens, dass er die libysche Regierung in Fragen finanzieller Reformen beraten habe.[13] Die LSE hat danach Lord Woolf, den ehemaligen Lordoberrichter von England und Wales, als Leiter einer Untersuchung benannt. Woolfs Bericht über die vielen Verbindungen der Einrichtung mit dem Gaddafi-Regime war vernichtend. Er hob dabei besonders die Annahme einer Spende von 1,5 Millionen Pfund Sterling von der Gaddafi-Stiftung hervor. [14]

Weiter kann auch im Detail angeschaut werden, wie viele führende Persönlichkeiten, die sich im Bereich der Menschenrechte einsetzen, ihre Augen gegenüber den Verbrechen des Gaddafi-Regimes verschlossen haben.

Viele der oben genannten Politiker werden weiterhin Tiraden gegen Israel loslassen, und ein Verhalten verlangen, das an den moralischen Ansprüchen ihres Doppelstandards angelegt ist. Das ist einer der vielen Gründe, warum es noch nach Gaddafis Tod wichtig bleibt, weitere Details der Verbindung zwischen ihm und westlichen Politikern zu benennen.

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Aufsichtsratsvorsitzender des Jerusalem Center for Public Affairs.


[1] “Libya’s NTC must protect evidence at Abu Salim mass grave site,” Amnesty International . 26 September 2011.

[2] Maurice Roumani, “The final Exodus of the Libyan Jews in 1967,”  Jewish Political Studies Review 19 vol. 3-4 (Fall 2007)

[3] “Sarkozy’s moral test,” The Economist, 13 December 2007.

[4] Eliza Apperly,  “On another planet : how Italy’s women saw Colonel Gaddafi,” The Guardian, 13 June 2009.

[5] James Kirkup, “Col. Gaddafi killed: ‘Lost secrets’ of Tony Blair’s links.” The Telegraph, 20 October 2011/

[6] “Sarkozy’s moral test,” The Economist, 13 December 2007.

[7] Graeme Paton, “Blair’s government tried to get Oxford place for Saif Gaddafi, The Telegraph, 30 November 2011.

[8] “Gaddafi welcomed by EU chief,” Mailonline, 28 April 2004.

[10] “WikiLeaks: Une Technologie française a permis d’espionner des opposants libyens à l’étranger, » Le Monde, 1 December 2011 [French].

[11] Felicy Morse, “Wikileaks’ Spyfiles: Julian Assange Tells Phone Owners ‘You’re Screwed.’ The Huffington Post, Uk 1 December 2011.

[12] Ed Pilkington, “US firm Monitor Group admits mistakes over $3m Gaddafi deal.” The Guardian 4 March 2011.

[13] “LSE director Sir Howard Davies resigns over Libya links,” BBC News UK, 4 March 2011.

[14] David Matthews: “Woolf returns damning verdict on LSE’s Libya links,” The Times Higher Education, 30 November 2011.