Tunesiens "Liberale" und die ledigen Mütter

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Souad Abderrahim

Souad Abderrahim – eine der bekanntesten wie umstrittensten weiblichen Persönlichkeiten der Ennahda-Partei, Mutter von zwei Kindern und Apothekerin – wurde in die verfassungsgebende Versammlung gewählt. Während des Wahlkampfes vertrat sie das moderate Image der Ennahda-Partei: sie trägt keinen Schleier. „Wir werden die Polygamie nicht wieder einführen und Frauen den Schleier nicht aufzwingen,“ entgegnet sie den von tunesischen Frauen und Säkularisten geäusserten Bedenken.

Am 9. November jedoch löste Souad Abderrahim auf Radio Monte Carlo mit ihrer Aussage, dass ledige Mütter eine Schande für Tunesien seien und „kein Existenzrecht haben“,  eine Debatte aus. Ferner sagte sie, dass „ich mich für arabische und muslimische Länder schäme, die Entschuldigungen für Leute suchen, die gesündigt haben.“ Sie beharrt darauf, dass nur Vergewaltigungsopfer Anrecht auf gesetzlichen Schutz hätten, nicht aber ledige Mütter. Auch sollten die Gesetze in Tunesien auf arabisch-muslimischer Tradition aufbauen, und sie sagte ferner, dass es in Tunesien „keinen Platz für volle und absolute Freiheit gibt.“

In Tunesien werden durchschnittlich vier Babys pro Tag ausserehelich geboren, doch Souad Abderrahim stellt die Existenz von Ein-Eltern-Familien in Abrede. Ihrer Ansicht nach sollte in einer muslimischen Gesellschaft „eine Familie nicht ausserhalb der Ehe gegründet werden.“

Erst kürzlich gab Souad Abderrahim der algerischen Tageszeitung El Watan ein Interview und stellte sich und ihre politisches Credo dar:

“Ennahda spricht nicht im Namen des Islam, es gibt ein Programm, und sie definiert sich nicht als religiöse Partei, sondern als eine Partei mit religiösem Bezugspunkt,“ sagte sie, „sie steht für Bürgerrechte und idschtihad [idschtihad ist ein technischer Begriff im islamischen Recht und bedeutet das Verfahren zur juristischen Entscheidungsfindung durch unabhängige Auslegung der Rechtsquellen, dem Koran und der Sunna]. Das Tragen eines Schleiers ist nicht verpflichtend, es ist eine persönliche Angelegenheit, ich selber bin nicht verschleiert,“ sagt sie weiter, „für uns bedeutet Säkularismus nicht der vollständige Bruch mit der Religion. Wir wollen nicht, dass Religion den Staat beherrscht, aber auch nicht, dass die Religion vom Staat beherrscht wird.“

Ob sie das Familienstandsgesetz beibehalten möchte, dazu sagte sie: „[Ennahda] würde gern den Paragraphen zur Adoption verändern, weil es nicht mit der muslimischen Religion übereinstimmt.“

Auch auf die Frage zur Gleichheit von Frauen und Männern in Erbschaftsangelegenheiten, wie es einige Feministinnen vorschlagen, brachte sie religiöse Erklärungen an, auch wenn sie behauptet, dass Ennahda nicht im Namen des Islam spricht.

“Im Koran gibt einen eindeutigen Vers zum Thema. Feministische Verbände, die volle Gleichberechtigung bezüglich Erbschaft fordern, sind nur eine Minderheit und stehen nicht repräsentativ für die tunesischen Frauen. Diese Forderung entspringt nicht der tunesischen Öffentlichkeit. Es ist ein westliches, französisch inspiriertes Projekt. Ennahda ist dafür, dass sich Frauen und Männer gegenseitig in einer Partnerschaft ergänzen.“, sagte sie.

Abschliessend fragt der Interviewer sie, wie sie die Zukunft Tunesiens sieht:  „Es wird arabisch und muslimisch sein. Sein Motor wird ein moderner Islam sein. Vorher wurden politische Projekte aus Frankreich importiert, wie volle Freiheit für Frauen und Unterstützung für ledige Mütter. In unserer Gesellschaft können wir unverheiratete Frauen oder das Kind, das den Namen seiner Mutter trägt, nicht unterstützen. Das ist nicht konform mit unserer tunesischen Identität. Einige andere Parteien bringen falsche Probleme hoch. Ich verteidige die Meinungsfreiheit im Rahmen beständiger Merkmale und sozialer Werte in Tunesien, die nicht notwendigerweise muslimisch sind, aber wenn es das Aufstellen einer nackten Frau auf einem öffentlichen Platz betrifft, sage ich nein!  [Souad Abderrahim spielt auf einen Künstler an, der die Statue einer nackten Frau auf dem Habib Bourghiba Platz errichten wollte] Ich bin gegen Radikalismus. […]”

Wie ironisch ist es doch, dass Abderrahim sich selber als liberal sieht, nachdem sie eine extremistische, radikale Rede gehalten hat- und wie viele selbsternannte Liberale nicht einmal erkennt, wie totalitär und intolerant sie gegenüber jeder abweichenden Meinung geworden sind („ein Fisch weiss nicht, dass er nass ist“) – und dann erklärt, dass sie „gegen Radikalismus“ sei.

Originalversion: Tunisia’s “Liberal” MP: “Single Mothers Have no Right to Exist” by Anna Mahjar-Barducci © Hudson New York, December 9, 2011. Deutsche Übersetzung © Audiatur-Online.