Der Mob von Teheran schweisst Irans Gegner zusammen

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Der Sturm auf die britische Botschaft in Teheran durch „Studenten“ am vergangenen Dienstag erinnerte fatal an die Botschaftserstürmung am 4. November 1979. Damals wurden 52 US-Botschaftsangehörige 444 Tage als Geiseln gehalten. Die Geiselkrise und die schiefgegangene Befreiungsaktion im April 1980 desavouierte US-Präsident Jimmy Carter, der Iran und die USA sind bis heute erbitterte Feinde, bis heute sind keine US-Diplomaten nach Teheran zurückgekehrt.

Diesmal begnügte sich der Mob mit der Verwüstung der britischen Botschaft. Nach der Wiener Konvention von 1961 ist das ein flagranter Bruch des Völkerrechts, denn nach Artikel 22 des Konventionstexts ist der Gastgeberstaat verpflichtet, für ausreichenden Schutz der Botschaft zu sorgen. Aussenminister Michael Spindelegger, einer der vielen Juristen in dieser Bundesregierung, urteilte zu Recht: Der Iran stehe völlig ausserhalb des internationalen Rechtsrahmens.

Die britische Reaktion auf die Botschaftserstürmung kam nicht überraschend: Rausschmiss der iranischen Diplomaten aus London, Schliessung der britischen Botschaft in Teheran. Die Entscheidung ist nachvollziehbar und bringt die britische Diplomatie dennoch ins Dilemma. Denn Diplomaten werden gerade in jenen Ländern am meisten gebraucht, mit denen man volatile Beziehungen pflegt. Bisher waren die Briten stets bestens über die Vorgänge in der Islamischen Republik unterrichtet – das wird sich nun ändern. Aber das ist der politische Preis, den London für die Wiederherstellung der Ehre eben in Kauf nehmen muss. Immerhin bleibt Aussenminister William Hague die Genugtuung, dass der iranische Botschafter in London hastig seine Koffer packen muss.

Jene Hardliner, die den Mob angeleitet haben, die Botschaft zu erstürmen, und die Verantwortlichen im Staatssicherheitsapparat, die der diplomatischen Mission den Schutz verweigert haben, haben freilich geschafft, was bisher unmöglich schien: für Geschlossenheit innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft zu sorgen. Frankreich, Deutschland und die Niederlande haben ihre Botschafter zurückgerufen, Norwegen hat die Botschaft „aus Sicherheitsgründen“ geschlossen. Selbst China und Russland, zwei Mächte, die üblicherweise die schützende Hand über den Iran halten, haben protestiert. Sollte es also zu einer Einigung mit Moskau und Peking kommen, die Sanktionsschraube im Atomstreit mit Teheran fester zu ziehen, dann ist das auch ein Verdienst des Mobs vor der britischen Botschaft.

Der Botschaftssturm ist der bislang letzte Eskalationsschritt in den schon in der Vergangenheit recht stürmischen Beziehungen zwischen dem Iran und einer recht bunten Allianz von Gegnern. Die arabische Welt – vor allem die Golfstaaten – fürchten die Islamische Republik vielleicht sogar noch mehr als Israel, das sich von Teheran existenziell bedroht sieht. Europäer und Amerikaner sind nicht nur über die iranischen Atombombenbasteleien besorgt, sondern fürchten auch die Ausdehnung der persischen Einflusszone in der Nachbarschaft, die sich nach dem Truppenabzug aus Afghanistan und dem Irak nur noch beschleunigen wird.

Der Arabische Frühling hat Teheran nervös gemacht, denn lange bevor die ersten Proteste in Tunesien begannen, waren in den iranischen Städten im Jahr 2009 über Monate Demonstrantenmassen auf den Strassen, um gegen Wahlbetrug und Gängelung zu protestieren. Im März 2012 finden im Iran Präsidentenwahlen statt, im Juni 2013 wird ein Nachfolger von Präsident Mahmud Ahmadinejad gewählt: Aus Teheran sind daher sogar noch schärfere Töne zu erwarten.

Das Dilemma für den Westen: Eine Beschleunigung der Eskalationsspirale wäre fatal, gerade weil der Iran immer unberechenbarer zu werden scheint. Gleichzeitig verstärkt eben diese Unberechenbarkeit die Notwendigkeit von härteren Sanktionen. Doch das reicht nicht. Wir brauchen schlauere, konterintuitive Sanktionen. Etwa, indem der Westen der iranischen Zivilgesellschaft die Hand entgegenstreckt: Ein Regimewechsel ist eher von den Demonstranten von 2009 als von Bomben auf Teheran zu erwarten.

Thomas Seifert, Die Presse, 02.12.2011