«Die Identifizierung mit Israel macht mich jüdisch»

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Leon de Winter

„Die Niederlande sind bis zu einem gewissen Grad ein dekadenter Staat, vor allem, wenn man die niederländische Gesellschaft betrachtet. In den 60er Jahren begann ein Vorgang, bei dem sämtliche Formen abweichenden Verhaltens offen toleriert wurden. Normatives Verhalten – Anstand und gute Sitten – gingen verloren.“

Leon de Winter wurde 1954 geboren. Er ist einer der bekanntesten niederländischen Schriftsteller. Mehrere Jahre war er dem Hudson Institute Think-Tank angeschlossen. Im Jahre 2006 erhielt er in Deutschland die Buber-Rosenzweig-Medaille für seinen Kampf gegen antisemitische und rassistische Haltungen in der Gesellschaft.

De Winter merkt an: „Ich bin Holländer und ich mag die Niederlande sehr, ihre Verrücktheit, ihre Gegensätze und die Gespaltenheit. Die Niederlande haben eine starke calvinistische Neigung, verbunden mit einer beinahe anarchistischen Toleranz. Die niederländische Gesellschaft sucht ständig ihr Gleichgewicht und hat viele Gesichter, was sie sehr interessant macht.“

„Dass ich mich mit Israel identifiziere, macht mich jüdisch. Ich bin nicht religiös, aber ich zeige genau, wo meine Sympathien im israelisch-palästinensischen Konflikt liegen. Ich glaube, dass viele Leute dies als Zeichen meiner Jüdischkeit ansehen.“

De Winter behauptet, er kümmere sich nicht um „extreme Reaktionen“ auf  das, was er sagt. „Wenn ich im Fernsehen an einer Debatte über Israel teilgenommen habe, will ich nicht wissen, welche E-Mails der Sender als Antwort darauf erhält. Ich weiss, dass es viele negative Bemerkungen über mich auf Websites der Marokkaner, der Muslime und der Neonazis gibt, aber ich suche nicht danach.“

„Ich suche auch keine Orte auf, an denen eine Konfrontation stattfinden könnte. Im Zug werde ich manchmal von marokkanischen Jugendlichen angemacht, die einen holländischen Passagier provozieren wollen, wenn sie merken, dass er zum Beispiel ihre Lärmerei nicht mag.“

Über Israel sagt de Winter: „Manche Niederländer, die Teil des politischen Establishments sind, drücken Gefühle aus, die sie antizionistisch nennen, behaupten aber gleichzeitig, keine Antisemiten zu sein. Wer vom Schicksal der Palästinenser – welches im Vergleich zu anderen Gruppen leicht ist – fasziniert ist, wird sich auch übermässig für die Juden interessieren. Für Antisemiten ist „Zionismus“ ein Deckmäntelchen, um sich negativ über die Juden äussern zu können“.

„Es ist faszinierend, wie diese Probleme für gewisse Leute zur Obsession geworden sind. Der nichtjüdische Niederländer hat die Wahl, auf welches Leid auf der Welt er sich konzentriert. Es könnte sein, dass die Leute wissen, dass dieser bestimmte Konflikt immer Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird.“

„In den Niederlanden gibt es eine kleine antiisraelische jüdische Organisation, die sich „Eine andere jüdische Stimme“ nennt. Ihre Mitglieder behaupten ständig: „Wir Juden haben den Holocaust überlebt und sind verpflichtet, die höchste Moral zu zeigen.“ Sie präsentieren den Holocaust als Bildungsinstitut für Juden, um jüdische Moral zu vermitteln. Mit anderen Worten, die Nazis hielten in den Konzentrationslagern Kurse ab, um die Juden mit Menschlichkeit zu durchdringen. Diese Juden pervertieren die Erinnerung an den Holocaust. Sie sind eine laute Gruppe, die viel Medienaufmerksamkeit bekommt, weil sie eine Botschaft verbreitet, die viele Nichtjuden gerne hören.“

„Die niederländischen Zeitungen stellen Israel stets auf die Titelseite – als ob das, was dort passiert, das Wichtigste der Welt wäre. Die Massenmorde in Darfur und im Kongo mit ihrer riesigen Anzahl an Toten in den letzten Jahren sind offenbar unbedeutend, denn die Zeitungen berichten sehr wenig darüber.“

„Radio und Fernsehen haben intensive Bilder kreiert. Man sieht in den Niederlanden in den letzten 25 Jahren eine riesige Veränderung darin, wie Israel wahrgenommen wird. Die Medien sind durch Nachrichten von niederländischen Korrespondenten im Nahen Osten und durch gefilterte Informationen beeinflusst. Ebenso spielt die Veränderung der demokratischen Haltung und die Einwanderung nordafrikanischer und türkischer Muslime nach Europa und in die Niederlande eine Rolle.“

„Der klassische, starke Antisemitismus unter Nordafrikanern in den Niederlanden ist sehr besorgniserregend. Er hängt mit der Identifikation der marokkanischen Jugendlichen mit den Palästinensern und mit Standpunkten aus dem traditionellen Islam zusammen. Doch in der niederländischen Gesellschaft gibt es auch immer noch Stereotypen über Juden.”

De Winter schliesst: „Was in den Niederlanden und in Europa geschieht, ist der Auftakt schrecklicher zukünftiger Ereignisse. Die grosse Liebesgeschichte der Juden mit Europa hat ihr Ende gefunden. In diesem Sinne waren die Nazis erfolgreich. Die jüdische Präsenz in Europa wird enden.“

„Anstelle ruheloser, schwieriger, kreativer, lustiger und gescheiter Juden hat Europa Muslime importiert, die gewöhnlich schlecht ausgebildet und oft frustriert, aggressiv und destruktiv sind. Ich schreibe schon jahrelang über diese Themen. Aber die Menschen beginnen erst ein wenig zu verstehen, wenn etwas Dramatisches passiert, wie zum Beispiel der Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh oder die Selbstmordattentate in London.“

Gekürzte Version des Interviews, das auf Holländisch in Manfred Gerstenfelds Buch “The Decay: Jews in a Rudderless Netherlands“ (2010) erschien.