Jordanien: Alles ruhig an der Ostfront?

0
Lesezeit: 5 Minuten

Da die allgemeine Aufmerksamkeit sich dem palästinensischen Antrag auf Eigenstaatlichkeit und den anhaltenden Massakern an syrischen Demonstranten zuwendet, wird Jordanien nur wenig beachtet – wo das Parlament über 42 Änderungsanträge für die aus dem Jahr 1952 stammende Verfassung des Königreiches debattierte und darüber abstimmte. Die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen haben die anhaltenden wöchentlichen Demonstrationen zwar noch nicht beendet, doch könnte die Kombination aus Reforminitiativen und finanziellen Vorteilen, die Jordanien aus einer Mitgliedschaft im Golf-Kooperationsrat (GCC) ziehen wird, könnte mithelfen, das Königreich zu stabilisieren und das haschemitische Regime zu konsolidieren.

Im Februar und März erlebte Jordanien Massenproteste in den vor allem von Jordaniern aus dem Ostjordan (East Bank) bewohnten Gebieten – traditionell treuen Anhängern der Monarchie. Da diese Demonstrationen kurz auf die Aufstände in Tunesien und Ägypten folgten, reagierte König Abdullah schnell, indem er die Regierung entliess und Ministerpräsidenten Samir Rifai durch den ehemaligen Diplomaten Maaruf Bachit aus dem prominenten Stamm der Abbadi im Ostjordan ersetzte. Im Juni verkündete der König seine Reformagenda, die Änderungen der Verfassung und des Wahlrechts vorsah, und gründete einen verfassungsprüfenden königlichen Ausschuss, der weitere Verbesserungen dieser Agenda vorschlagen sollte.

Zu dessen bedeutenderen Empfehlungen gehörte die Einrichtung eines Verfassungsgerichts und einer unabhängigen Wahlkommission. Viele der vorgeschlagenen Änderungen befassten sich direkt mit legislativen und parlamentarischen Fragen, darunter auch die Einschränkung der Möglichkeiten des Königs, die Regierung zu entlassen.

Doch das Reformdokument definiert sich auch durch seine Auslassungen – so sieht es zum Beispiel nicht vor, zukünftige Regierungen aufgrund parlamentarischer Mehrheiten statt aufgrund der Ernennung durch den König zu bilden.

Islamistische Kritiker

Und so sind zwar auch die Grenzen der Reformen erkennbar, doch die Mehrheit der Jordanier hält sie für einen positiven Schritt. Wenig überraschend sind ihre Hauptkritiker Islamisten. Ihre Hauptforderung ist, dass Regierungen durch parlamentarische Mehrheiten bestimmt werden sollen. Ausserdem sind sie mit der Richtung, die der aktuelle Nationale Dialog nimmt, unzufrieden; die Islamische Aktionsfront (IAF) der Muslimbruderschaft boykottiert ihn. Die IAF litt bisher unter einem Gesetz von 1993, das die jordanischen Wähler durch eine Änderung des Wahrverfahrens dazu zwang, sich bei der Wahl zwischen ihrer Stammeszugehörigkeit und ihren politischen Ansichten zu entscheiden. Dadurch wurde der Erfolg der Islamisten an der Wahlurne schwerwiegend beeinträchtigt. Die IAF fordert „ein modernes Wahlrecht“; es würde eine umfassende Wahlkreisreform erfordern, um die Wahlmanipulation umzukehren, die Jordanier aus dem Ostjordan bisher gegenüber den palästinensischen und islamistischen Jordaniern begünstigte.

Nicht alle Änderungsanträge werden Erfolg haben; das Parlament hat bereits den Antrag abgelehnt, das Mindestalter für Parlamentsmitglieder von 30 auf 25 Jahre herabzusetzen. Es gilt als so gut wie sicher, dass die Monarchie Forderungen nach einer bedeutsamen Reform des Wahlrechts ignorieren wird.

Wirtschaftliche Herausforderungen

Trotz der allgemein positiven Reaktion auf die Änderungsanträge wird die Reformagenda möglicherweise nicht ausreichen, um die Demonstranten zufriedenzustellen, denn die Proteste haben auch mit der ökonomischen Situation des Landes zu tun – insbesondere mit der Arbeitslosigkeit und den steigenden Lebensmittelpreisen. Eine Erhöhung der Rohstoffpreise und die durch die Aufstände bedingte Instabilität in der Region haben einen hohen Tribut gefordert. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2011 erlebte das Königreich einen Rückgang der Investitionen um 60 Prozent und einen dramatischen Einbruch beim Tourismus aus dem Westen.

Der König hatte auf die Demonstrationen vom Februar reagiert, indem er 650 Millionen Dollar als Notsozialausgaben ankündigte. Die Zuwendungen liessen die Intensität der Proteste zeitweise abnehmen, sind aber keine dauerhafte Lösung. Wie die Tunesier und Ägypter haben auch die Jordanier mit zunehmend schlechter werdenden wirtschaftlichen Bedingungen zu kämpfen. Am 10. September wurde ihr Ausmass deutlich, als ein 29-jähriger Strassenverkäufer die Tat des Tunesiers Mohammed Bouazizi wiederholte und sich selbst in Brand setzte, als die Polizei seinen Gemüsestand wegräumte.

Im Mai schienen sich Jordaniens düstere Konjunkturaussichten jedoch ein wenig aufzuhellen, als das Königreich eingeladen wurde, dem Golf-Kooperationsrat (GCC) beizutreten. Diese Entwicklung verspricht eine bedeutende Entlastung für den angeschlagenen Staat. Saudi-Arabien hat bereits eine Beihilfe von 400 Millionen Dollar angeboten, und der GCC sagte bei einer Zusammenkunft im September zu, während der kommenden fünf Jahre jährlich zwei Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus erlebt Jordanien seit Januar einen Zuwachs bei Touristen aus GCC-Ländern. Amman hofft auch, dass eine Mitgliedschaft im GCC dazu beitragen wird, dass mehr Jordanier in der gesamten Golf-Region eine Anstellung finden. Dadurch würde die Arbeitslosigkeitsrate des Königsreiches sinken und die Lohnrücktransfers, die momentan 13 Prozent des Bruttoinlandproduktes ausmachen, steigen.

Nach den Worten König Abdullahs hat die Monarchie vorerst „eine Vorreiterrolle“ ergriffen, indem sie bei den politischen Reformen die Initiative ergriff. Die andauernden wirtschaftlichen Probleme des Königreiches werden schwieriger zu beheben sein, doch die grosszügige finanzielle Unterstützung des GCC sollte helfen, die unmittelbare Krise positiv zu beeinflussen.

Eine mögliche Kehrseite des bevorstehenden Beitrittes Jordaniens zum GCC könnte der damit verbundene Druck auf König Abdullah sein, Israel gegenüber einen härteren Kurs einzuschlagen. Tatsächlich könnte es sein, dass die ungewohnt scharfen Äusserungen Abdullahs zu Israel im September diese Dynamik bereits widerspiegeln. Ungeachtet des veränderten Umgangstons hält König Abdullah jedoch öffentlich weiterhin am Friedensvertrag mit Israel fest, anders als Ägypten, wo populistische Politiker Geringschätzung für den Friedensvertrag mit Israel zum Ausdruck bringen.

Natürlich könnte der Antrag der Palästinenser auf Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen jenseits des Flusses im Westjordanland zur Gewalt anstacheln, mit möglichem Widerhall im Königreich. Doch einstweilen hilft der Fortschritt an der wirtschaftlichen und politischen Front, die Monarchie vor der Instabilität, die zurzeit über die Region hinwegfegt, etwas abzuschirmen.

David Schenker ist Leiter des Program on Arab Politics am Washington Institute.

Kurzfassung der Originalversion: Jordan: All Quit on the Eastern Front? by David Schenker, © The Washington Institute for Near East Policy, Policy Watch # 1855, October 4, 2011