Zynische Hoffnung in Ramallah

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Selbst das Wetter scheint diesmal auf Seiten der Israelis zu sein: Just in dem Augenblick, in dem Palästinenserpräsident Mahmud Abbas seine historische Rede vor der Generalvollversammlung der Vereinten Nationen in New York halten wird, soll es in Palästina gewittern. In den Morgenstunden überzogen Schauer das trockne Land mit der Gut-Wetter Garantie einen Monat früher als sonst. Der normalerweise heiss ersehnte Niederschlag hätte zumindest für Abbas eine negative Auswirkung: die von seiner Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) geplanten Massenkundgebungen in den Städten des Westjordanlandes, an denen Abbas Rede live aus New York übertragen werden sollen, würden buchstäblich ins Wasser fallen. Es wäre nicht das Einzige, was bei Abbas Versuch, einen unabhängigen Staat Palästina von der UN anerkennen zu lassen, schiefgegangen ist.

Nur wenige Palästinenser dürfte dieser Schlag ins Wasser überraschen. Die meisten haben Hoffnung, ohne wirklich handfeste Veränderungen zu erwarten. Dabei gab sich die PA redlich Mühe, die Mengen in eine Art UN-Begeisterung zu versetzen. Auf dem Manarah Platz Mitten in Ramallah wurde diese Woche ein 6,5 Meter hoher und 3,5 Meter breiter, blauer Stuhl enthüllt. Die Statue aus Stahl und Gips strahlt in UNO-himmelblauer Farbe, weisse Buchstaben weisen ihn als Palästinas Sitz in der UNO aus. Seit Wochen läuft im Land die Kampagne „Palestine 194“: In Radio- und Fernsehclips, Zeitungsanzeigen, auf Postern und Demonstrationen wirbt sie für ihre Bemühungen, als 194. Staat in der UN als vollwertiges Mitglied aufgenommen zu werden. Ramallah sieht inzwischen aus wie ein Grosslager für Palästinafahnen: die schwarz-weiss-rot-grüne Flagge flattert von Polizeiautos, Laternen, Dächern und Terrassen.

Die Mehrheit der Bevölkerung steht im Augenblick hinter Abbas: Laut einer Studie der Konrad Adenauer Stiftung unterstützen 83% der Palästinenser seinen Ansatz. „Zum ersten Mal fühle ich, dass irgendetwas sich bewegt“, sagt Sari Sidan (30), der im glitzernden Shopping Center Ramallahs einen Laden mit DVDs und Videospielen betreibt. „Abbas hat alles versucht, die UN sind unsere letzte Option“, meint Sari. Doch zuversichtlich ist er nicht: „Die Geschichte zeigt doch, dass die USA immer auf Seiten Israels sind. Die Welt, die anderen Araber – sie halten uns gegenüber nie ihre Versprechen ein.“ Wie die meisten Palästinenser verspricht er sich kaum Wandel zum Besseren.

Das mag erklären, warum in der Bevölkerung keine Euphorie aufkommen will. Zwar wollen 54% der Palästinenser an friedlichen Demonstrationen für einen Palästinenserstaat teilnehmen, dennoch musste die PA am Mittwoch eigens schulfrei geben und Beamte und Parteifunktionäre zum Arafat-Platz in Ramallah karren, um für eine zentrale Veranstaltung hier tausende Demonstranten aufzubringen. Es war alles da, was eine gute Demo braucht: Pfadfinder trommelten Märsche, grosse Poster mit Abbas zuversichtlichem Lächeln flatterten im Wind, rhythmische arabische Parolen gingen durch die Masse, während Händler Palästinaschals und Pitabrote verkauften. Doch Begeisterung kam erst auf, als die PLO-Band Al-Aschequeen in Arafat-Militäroutfit Volkslieder spielte.

Die Rede von US-Präsident Barack Obama am Mittwochabend setzte hier einen weiteren, schweren Dämpfer auf: „Es war viel schlimmer als erwartet“, sagt der palästinensische Analyst Sam Bahour. Mitglieder von Abbas Delegation in New York sprachen davon, dass die USA ihnen „in den Rücken gefallen“ seien. Obama hatte sich eindeutig gegen Abbas Initiative ausgesprochen und zur Wiederaufnahme von Verhandlungen aufgerufen.

Heute Abend soll es anders werden. Diesmal wird über der Riesenbühne auf dem Arafatplatz eine riesige Leinwand stehen. Um sechs Uhr werden die Kirchenglocken läuten und Muezzins von den Minaretten rufen: „Es wird eine Unterstützungsdemo für Abbas werden“, sagt Xavier Abu Eid, Mitglied des palästinensischen Verhandlungsteams. Tanzgruppen, Musik und ein paar Reden sind geplant, dann wird Abbas Rede gefeiert. Offiziell sind die Erwartungen an ihn gering: „Das wichtigste ist, dass Abbas nicht aufgibt. Wir haben Israel schon besiegt“, sagt Mustafa Barghouti, der an der Spitze der Kampagne „Palestine 194“ steht. „Mehr als zwei Drittel der UNO Mitglieder hat uns bereits anerkannt. Dies wird nur ein weiterer Schritt auf einem langen Weg“, sagt Barghouti.

Dennoch ist unklar, wie die Massen reagieren werden: „Ich will einen Flughafen, einen richtigen Pass, ein Visum. Ich bin unter israelischer Besatzung geboren. Ich will endlich wissen, wie sich Freiheit anfühlt“, sagt Sari im Shoppingzentrum. Er ist bereit, einen Palästinenserstaat, wie von Abbas gefordert, in den Grenzen von 1967 anzunehmen. „Aber danach machen wir weiter, bis wir Tel Aviv erobern.“ Raed Kadadka, ein Bauarbeiter, der nebenan seinen Kaffee schlürft, stimmt Sari zu: „Wenn die Flüchtlinge heimkehren, ist in Palästina nicht genug Platz. Dann müssen die Juden hier verschwinden.“ Israels Standpunkt will hier niemand hören. Laut Abu Eid soll die Übertragung kurz vor Benjamin Netanjahus Ansprache in der UN abgebrochen werden: „Der Mann ist nur Schall und Rauch. Niemand glaubt ihm. Besser, wir schalten ab, wir wollen ja keine Gewalt gegen die Leinwand hier sehen“, sagt er. Sari ist pessimistisch: „Mit Israel wird nichts friedlich bleiben“, sagt der junge Mann, der auch heute Abend demonstrieren will.

Zwar hat die PA 10.000 Polizisten abgestellt, um Zusammenstösse mit Israelis zu verhindern. Am Kalandia Checkpoint zwischen Jerusalem und Ramallah war am Morgen im Gegensatz zum entspannten Arafatplatz die gehobene Spannung bereits spürbar. Der wichtigste Grenzübergang ist seit drei Tagen geschlossen. In den vergangenen Monaten wurden 9000 Beamte speziell für die Bekämpfung von Massenprotesten ausgebildet, diese Einheiten standen hier nun in Bereitschaft. Im ganzen Westjordanland wurden die Truppen mit fünf Bataillonen verstärkt, neun weitere stehen auf Abruf bereit. Neben der Mauer sind die neuen Geheimwaffen der Armee postiert: Das „Stinktier“ – ein Lastwagen, der eine grüne, stinkende Flüssigkeit versprüht, und der „Schrei“, der einen schrillen Ton erzeugt, der Demonstranten auseinandertreiben soll. Hier liegt noch der Geruch verbrannter Reifen in der Luft, die bei den Protesten am Mittwoch angezündet wurden. Dabei wurden fünf Palästinenser leicht verletzt. Für heute wurde die Polizei in Alarmbereitschaft versetzt.Alle Urlaube wurden gestrichen. Israel und Palästina erwarten den heutigen Abend mit einem explosiven Gemisch aus wenig Hoffnung, und viel Angst und Frust.

Gil Yaron