Keine Entschuldigung an die Türkei

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Recep Tayyip Erdogan

Seit im letzten Jahr neun türkische Teilnehmer der Gaza-Flottille durch israelische Marinekommandos getötet wurden, beharrt die Türkei auf einer Entschuldigung Israels. Das erweist sich als grosses Hindernis in den aktuellen Verhandlungen zur Verbesserung der Beziehung zwischen beiden Ländern. Und doch kommen diese Gespräche zum richtigen Zeitpunkt. Die Wahlen in der Türkei, in deren Vorfeld der türkische Ministerpräsident Recep Tayyib Erdogan antiisraelische Ressentiments als Propagandainstrument eingesetzt hat, sind längst vorbei. Und eigentlich ist Israelhetze purer Luxus, dann, wenn es keine dringenderen Themen für die türkische Regierung gibt.

Dass die Israelhetzte auf Eis gelegt ist, mag Erdogan auch dabei helfen, Israel von seinen sich verbessernden Beziehungen mit Griechenland, Bulgarien und Zypern abzulenken. Denn diese Länder sehen den steigenden Einfluss der Türkei in der Region durchaus negativ. Während seines Besuchs in Israel im Juli deutete der griechische Präsident Karolos Papoulias an, dass die Verbesserung der griechisch-israelischen Beziehungen mit einer Verschlechterung der türkisch-israelischen einhergeht. [1]

Für die Türkei sind die andauernden Unruhen in Syrien und deren Unterdrückung ein echtes Problem. Erdogan kann nicht wissen, ob Präsident Bashir al-Assad Syrien weiter regieren wird und für wie lange. Auch ist unklar, wie viele Flüchtlinge die Türkei aufnehmen muss. Die zahlreichen wichtigen Entwicklungen in der arabischen Welt verlangen von der Türkei volle Aufmerksamkeit. Wer wird Ägypten nach den Herbst-Wahlen regieren und wie wird die neue Regierung die türkische Unterstützung der Hamas beurteilen? Wird sie in Kairo positiv oder negativ gesehen werden? Eine Entschuldigung Israels für den Tod der türkischen Passagiere auf der Mavi Marmara würde Erdogan helfen, sein Gesicht zu wahren, verlangt er doch ständig, dass Israel „seine Schuld“ zugeben soll. Wie zweifelhaft dies ist, wird er sehr wohl wissen – lehnt doch die Türkei ihrerseits es weiterhin ab, sich für den Völkermord an den Armeniern vor hundert Jahren zu entschuldigen.

Innerhalb der israelischen Regierung wird heftig darüber debattiert, ob sie sich entschuldigen oder ihr Bedauern ausdrücken solle, und wenn ja, in welchem Umfang. In den israelischen Medien argumentieren manche, eine Entschuldigung sei doch „nur ein Wort“,  und verglichen mit dem Nutzen verbesserter Beziehungen zur Türkei sei der Preis, das eigene falsche Handeln einzugestehen, nicht zu hoch.

Allerdings sind in dem investigativen Bericht von Steven Merley, einem Spezialisten für politischen Extremismus, zahlreiche Verwicklungen der türkischen Regierung in die Flottille-Vorgänge nachzulesen. Merley konnte die Unterstützung der Flottille durch die türkische Regierung offenlegen, die durch das türkische Netzwerk der Muslimbruderschaft geleitet worden war. So nahmen beispielsweise viele hohe Mitglieder von Erdogans AKP- Partei an wichtigen Veranstaltungen des Netzwerks der Muslimbruderschaft zugunsten der Flottille teil. Auch Erdogan selbst war mit einer Delegation der Global Muslim Brotherhood und der Flottille- Bewegung aus England und Frankreich Teilnehmer einer solchen Veranstaltung. [2] Ohne die Unterstützung der türkischen Regierung hätte die Mavi Marmara wahrscheinlich nie israelische Hoheitsgewässer erreicht.

Eine israelische Entschuldigung birgt mehr negative Faktoren, als es auf den ersten Blick scheint. Entschuldigungen beenden naturgemäss eine Debatte, und beide involvierten Parteien stimmen damit einer gemeinsamen Interpretation der Vergangenheit zu. Wie kein anderes Land hat Israel und hat das jüdische Volk historische Erfahrung mit Entschuldigungen und sollte daher Verständnis für ihre Wichtigkeit haben. Viele Nationen und auch Organisationen wie das Rote Kreuz haben sich genauso wie kirchliche Institutionen für ihr Verhalten während des Holocaust entschuldigt. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus forderte Israel solche Entschuldigungen dann von den neuen unabhängigen Staaten Osteuropas; dabei wurde kritisiert, diese seien nicht aufrichtig. Angeführt wurde auch,  dass diejenigen, die sich entschuldigten, nicht die Verbrechen des Holocaust begangen hätten.

Die israelische Regierung hat jedoch verstanden, dass offizielle Entschuldigungen eine wichtige Rolle als potenzieller Anker in der  kollektiven Erinnerung spielen. Ihre symbolische Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. „Nur ein Wort“, im Archiv aufbewahrt und als wichtige historische Quelle erhalten, prägt eine solche Entschuldigungen das Gedächtnis zukünftiger Generationen.

Die Welt hatte genug Zeit Erdogans Vorgehensweise zu verstehen. So hat er Israel im Jahr 2004 Staatsterrorismus vorgeworfen. 2005 kam er dann nach Israel, um den Schaden zu beheben. Welche Garantie gibt es, dass er das Fundament seiner zukünftigen Beziehung zu Israel zum Positiven verändern wird? Wenn der Druck auf ihn nachlässt, könnte es sich für Erdogan lohnen, Israel wieder verbal anzugreifen. Dann würde sich zeigen, dass eine Entschuldigung nicht zu ultimativ verbesserten Beziehungen geführt hat, die Türkei aber eine unverdiente Entschuldigung bekommen hätte, die auf immer und ewig dokumentiert ist.

 

Manfred Gerstenfeld  ist Verfasser von zwanzig Büchern. Er hat Forschungsessays zu den wichtigsten Entschuldigungen von Ländern und Organisationen für ihre Beteiligung am Holocaust publiziert.


[1] Herb Keinon,”J’lem, Athens pursue a strong relationship in all aspects,” Jerusalem Post, 10 July 2011.

[2] Steven G. Merley, Turkey, The Global Muslim Brotherhood, and the Gaza Flotilla, (Jerusalem: Jerusalem Center for Public Affairs, 2011), 7