Georg Kreis und die Obsession mit dem jüdischen Staat

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Georg Kreis ist zornig, weil die Welt den entsetzlichen Massakern des syrischen Diktators zuschaut. Man könnte auch sagen: weil sie dabei mehr oder weniger wegschaut. Er hat Recht. Sein Brief an die NZZ in der Ausgabe 188 stellt auch richtig einen Zusammenhang zwischen den gegenwärtigen Massakern und denen des Vaters, des Verursachers des Massenmords in Hama von 1982, her. Auch damals hat man weithin vorgezogen zu schweigen. Wenn in Nahost nicht Israel zu beschuldigen ist, ist man ziemlich uninteressiert und gern zum Vergessen bereit. Das weiss auch Georg Kreis, weswegen er seine geneigte Leserschaft in der NZZ nun aber aufrütteln will, und zwar mit Israel. Er schreibt: „Von israelischer Seite wird immer wieder mit einer gewissen Berechtigung auf diese Vergessenheit hingewiesen, die im Kontrast zur Kritikfreudigkeit in Fällen israelischer Gewaltexzesse steht.“

Der Leser soll, so verstehen wir es, nicht etwa von der Kritik an den für Georg Kreis offenbar feststehenden „Gewaltexzessen“ Israels als chimärischen Phantasien lassen, sondern seine für ihn berechtigte „Kritikfreudigkeit“ daran nun auch gegen Syriens Gewaltherrschaft wenden. Wir wissen allerdings nichts von vergleichbaren Massakern Israels bzw. einer seiner Regierungen am eigenen Staatsvolk, wie sie in Syrien oder in Libyen stattfinden. Wenn es um historische Vergleiche geht, dann fällt uns etwa das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Frieden in Peking, die Niederschlagung des Prager Frühlings oder des Aufstands in Ungarn ein. Von Israel haben wir jedoch kein Beispiel, das dem horriblen Angriff des syrischen Massenmörders auf sein eigenes Staatsvolk im Handeln israelischer Regierungen vergleichbar wäre. Aber wir wissen, dass es offenbar zur chimärischen Phantasie in Bezug auf Juden gehört, dass sie exzessive Gewalttäter sind. Und Georg Kreis beklagt nur, dass diese (wahnhafte) Wahrnehmung nicht zur Kritik des (realen) syrischen Massenmörders reicht. Wir können ihm dazu nur sagen, dass er die wahnhafte, die chimärische Wahrnehmung Israels als Akteur exzessiver Gewalt selbst zu teilen scheint,  weswegen ihn das von ihm beklagte allgemeine Schweigen zur realen Gewalt in Syrien nicht so überraschen sollte. Aber es ehrt ihn, dass er nicht dazu schweigt, was in Syrien passiert.

Was uns auch nicht so überzeugt, ist, dass er meint, dass „eine engagierte Reaktion auf den Genozid an den Armeniern 1915/16 eine gewisse Abschreckung gegenüber dem Vernichtungsfeldzug gegen die Juden bewirkt hätte“. Die obsessive Feindschaft gegen Juden liess sich noch nie durch irgendetwas moralisch abschrecken. Sie hält sich selbst für moralisch höchst gerechtfertigt. Deshalb sind wir heute Zeugen davon, dass trotz einer engagierten Reaktion auf den Holocaust am Ende doch die Obsession mit den Juden – in der Gestalt des jüdischen Staates – wieder absolut gesellschaftsfähig geworden ist, und zwar nicht nur an extremen Rändern unserer Gesellschaft. Man kann sie in der BaZ, in der NZZ und im Tagi nahezu täglich lesen.

Ekkehard W. Stegemann

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